Gefahrenpotenzial, erhebliches

Das Adjektiv erheblich bedeutet so viel wie ‚groß’, klingt aber noch ein wenig gewichtiger. Möglicherweise ist es eine Lehnübersetzung von relevant, das sich vom französischen lever (‚heben‘) ableitet. Aber so groß auch ein Potenzial sein mag, es bleibt ein Potenzial, also eine Möglichkeit. Ein G. ist somit die Möglichkeit einer Gefahr. Wobei dem Substantiv Gefahr ebenfalls eine Möglichkeit innewohnt, denn es bezeichnet die drohende Gefahr, nicht eine bereits passierende Katastrophe. Es handelt sich also beim G. um die Möglichkeit einer Möglichkeit und die ist dann auch noch erheblich. Mit anderen Worten: Das BKA liegt immer richtig, wenn es vor so etwas warnt. Gleichzeitig kann es natürlich überall solche möglichen Möglichkeiten sehen. Oder nirgends. Siehe auch → abstrakt hoch.

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9 Kommentare

  1. Ach Herr Haase,

    wie gerne ich Ihre Beitrage in diesem Blog oder die Neusprech-Vorträge auf dem Congress verfolge, so fällt mir hin und wieder aus meiner Sicht eine Überspitzung und Überinterpretation einiger Beiträge auf.

    Konkreter Anlass dieses Kommentars ist jedoch die Meta-Beschreibung des Begriffs Gefahr: “[…] Gefahr […] bezeichnet die drohende Gefahr”.

    Oder soll hier der Leser selbst auf die Probe gestellt werden?

    MfG
    M

  2. Lieber Martin Haase,

    da haben Sie diesem Bürokraten-Plusterwort schön die Luft herausgelassen!

    Ich möchte ergänzen, dass es eine Reihe analoger frequenter Wortbildungen mit “Potenzial” gibt: Wachstumspotenzial, Konfliktpotenzial, (Ein)Sparpotenzial, Steigerungspotenzial, Streitpotenzial. Und diese kommen, wie der Eintrag im Wortschatzlexikon der Uni Leipzig zeigt, in signifikanter Kookkurenz zum Adjektiv “erheblich” vor.

    Mir fällt auf, dass bei den meisten dieser Wortbildungen auch das Vorderglied durch “erheblich” qualifiziert werden kann – erhebliches Wachstum, erheblicher Konflikt, erhebliche Steigerung, erheblicher Streit. (Mit Spar- gäbe es den “erheblichen Spareffekt”.) In semantischer Hinsicht könnten diese Ausdrücke deshalb auch als “Potentiale für erhebliches Wachstum etc.” interpretiert werden.

    Aber wie das so ist mit Potenzialen – es gibt sie potenziell überall! Es gibt immer irgendeinen Zwegat, der selbst noch bei einer Bettlerexistenz Einsparpotentiale entdecken kann. ;-)

    So wäre also das blasse Plastikwort “Potential” in der Bildung “Gefahrenpotential” zu seiner endgültigen Bestimmung als bedeutungsleeres Füll- und Spreizwort gekommen – so wie im ebenso drolligen “Risikopotenzial”.

    Oder findet hier eine subtile Meinungsmanipulation durch Sprache statt? “Gefahrenpotential” suggeriert, dass noch gar keine aktuelle Gefahr besteht, sondern nur die Möglichkeit dazu. Insofern würden Fässer mit atomverseuchtem Material keine Gefahr darstellen, sondern nur ein, allerdings erhebliches, Gefahren_potential_. Selbst Falschfahrer auf der Autobahn sind zunächst mal nur ein e. G., bis es dann wirklich kracht.

    Grüße,
    Jürgen

  3. @Jürgen
    oder umgekehrt man manipuliert indem man etwas aufbläst:

    Der Terrorismus, die Raubmordkopierer, whatever stellen ein erhebliches/hohes Gefahrenpotential für die Bevölkerung, die Kunst™, wenauchimmer da.

  4. @Heinz
    Stimmt. Die Gefahr wird als ubiquitär dargestellt, aber gleichzeitig wird technokratische Beherrschbarkeit signalisiert. Beliebte Methode von Behörden oder Verbänden, die eigene Existenz immer auf das Neue zu legitimieren.

  5. Pre-Crime, so hieß es doch im Film “Minority Report”. Dort, wo Verbrechen vorausgesehen werden konnten und Sicherheitskräfte nicht nur einschreiten, sondern gleich noch Beschuldigte inhaftieren durften – für Verbrechen, die zwar nicht geschehen sind, aber hätten geschehen k ö n n e n.

    Das ‘erhebliche Gefahrenpotential’ ist für mich eine dermaßen nebulöse Konstruktion, dass ich mittlerweile auch hinsichtlich der Spitzfindigkeiten der BegriffsschöpferInnen an deren Intelligenz verzweifle.

    Indessen wissen wir ja alle von Gefahren. Beim Autofahren, beim Spatzierengehen usw. Hinter den Gefahren lauert aber noch das Potential möglicher anderer Gefahren, so muss uns wohl bewusst werden. Nur das erhebliche Gefahrenpotential, das uns von kriegstreiberischer Politik, von Geheimdiensten, Lobby-Vernetzungen unserer Politiker usw. ausgeht – das alles soll der zum Konsumenten degradierte Bürger mal so einfach hinnehmen. Da warnt kein Verfassungsschutz vor, kein Staatsanwalt greift da ein. Blind sollen wir vielmehr vertrauen.

    Wer hat eigentlich die Deutungshoheit über erhebliche Gefahrenpotentiale inne? Nun, zumindest wissen wir, was geschieht, wenn sich gewisse Politiker heute wieder potentiell gefährdet fühlen. Leute, wie bspw. Herr Mollath, können davon ein Lied singen, wenn sich gar Justizminsterinnen gefährdet fühlen. Ein ganz trauriges Lied, das erhebliches Gefahrenpotential deswegen aufweist, weil es ‘wahr’ ist…
    http://www.swr.de/report/presse/-/id=1197424/nid=1197424/did=10579888/1fr44to/index.html

  6. Das doppelt gemoppelte Doppelmoppel (Gefahren-Potential) fällt tatsächlich erst auf, wenn man den Begriff mit etwas Ruhe betrachtet.
    Gegen den Zusatz “erheblich” habe ich wenig einzuwenden; weit oben auf einer Skala eben. Gefahr oder Risiko lässt sich anhand bisheriger Daten messen und vergleichen. Interessant ist jedoch, dass “erheblich” einen hohen Wert suggeriert, häufig ohne mit anderen Gefahren zu vergleichen.

    Befragt man das Statistische Bundesamt online nach den Gefahren für das Früh-Ableben oder schwere Verletzungen eines Menschen, findet sich nach wie vor der Straßenverkehr an erster Stelle, neuerdings der Griff zum Handy oder das Handy am Ohr während der Fahrt. Ich bin für eine Aufnahme dieser Gefährder in die geplanten Datenbanken mit schwerst mehrfach rückfallgefährdeten potentiellen Gefährdern.

  7. Hier mal ein konkretes Beispiel für die korrekte Verwendung des Begriffs “Gefahrenpotential”: Medizintechnik, z.B. eine Herz-Lungen-Maschine, oder eine Infusionspumpe. Erleidet ein solches Gerät einen Defekt, so besteht Gefahr für den daran angeschlossenen Patienten. Für jedes der in einem solchen Gerät verbauten Teile besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dieses ausfällt und damit die Wahrscheinlichkeit, den Patienten zu gefährden, also ein Gefahrenpotential. In der Medizintechnik quantifiziert man daher für jede Baugruppe deren Gefahrenpotential und besteht in einer Konstruktion ein erhebliches Gefahrenpotential für den Patienten wird diese nicht zugelassen.

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