Stabilitätsanker

Viele Jahrzehnte lang führte der S. ein nützliches und rhetorisch unauffälliges Dasein in der Bautechnik. Bei Kränen dient er beispielsweise als Gegengewicht zur Last am Kranarm. Und in Bauordnungen gibt es ausführliche Bestimmungen für die Absicherung „fliegender Bauten“ wie Karussells, Riesenräder oder Achterbahnen durch eben solche Anker. In der Politik jedoch wird gern vergessen, dass ein S. den Ausgleich von Lasten beschreibt. Den politischen Wunsch nach Stabilität kann der S. daher nur schlecht bis gar nicht erfüllen. Was sich anschaulich in der Seefahrt zeigt: Ein Kapitän setzt zwar Anker, um sein Schiff eine begrenzte Zeit gegen das Abdriften zu sichern. Doch schlingern tut es noch immer, und er lichtet sie auch wieder, wenn es weiterfahren soll. Wer daher wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann die Zentralbanken als S. bezeichnet, spricht wahrscheinlich wahrer, als er es wollte. Und Saudi-Arabien ist sicher auch nicht so stabil, wie es sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière wünscht. Ganz abgesehen davon, dass die Gegenseite des Gebildes zappelnd in der Luft hängt, wenn an ihr ein S. befestigt wird. Auf dem Bau wird der S. daher auch „toter Mann“ genannt und in der Heer- und Pioniertechnik gleich als „Totmannanker“ bezeichnet und in einer „Totmanngrube“ versenkt. Und da gehört auch dieses unpassende Wort hin.

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13 Kommentare

  1. offtopic: kommt, versprochen. Sie ist sogar schon aufgenommen, muss nur noch fertig produziert werden.

    lg
    k

  2. Die Politiker kommen einer Sicherheitsforderung in der Bevölkerung nach, die überwiegend ein großes Bedürfnis nach Stabilität hat. Doch in einer schnell sich wandelnden Welt steht, äh, fährt man wahrscheinlich sicherer ohne den Stabilitätsanker. Kann sein.

  3. Veit

    Die “Sicherheitsforderung in der Bevölkerung” klingt nicht abwegig, unterstellt allerdings einen Mechanismus, der durch dieses neusprech-Wort trickreich umgangen wird.

    Mit dem S. wird der Eindruck von Stabilität erzeugt und ausgeblendet, was und wer auf der Gegenseite in der Luft hängt. Wer vom S. redet, darf vom Totmanngrab und denen, die in der Luft zappeln, nicht schweigen

  4. Hier die vollzählige Übersicht, wer und was alles in den letzten 14 Monaten zum S. erhoben wurde:

    Exotenbörsen, die EU-Reform, Gold im Portfolio, die FDP, Euro-Anleihen, der NRW-Landeshaushalt, Deutschland (Stabilitätsanker und Wachstumslokomotive: halb zog sie ihn, halb hielt er hin), die CSU, die EZB, bevor sie Bad Bank geworden sei, EZB-Chefvolkswirt Stark, ehe er hinwarf, deutsche Wohnimmobilien, das Vertrauen unserer Mitmenschen nach Ansicht von Monsieur Trichet, Familienunternehmen, der bayerische Mittelstand, der Euro höchstselbst, die Expo Real, der Yen,die deutsch-französische Freundschaft, Staatsanleihen keineswegs, das ägyptische Militär, das Handwerk, Landrat Schröter und sein Vize Hamelow in Ost-Prignitz Ruppin, Tschechien, Südwest-SPD-Chef Nils Schmid, die Schweiz, der Singapur-Dollar, der IWF, Vertrauen ganz allgemein, Somaliland in Somalia (immerhin habe es das Potenzial nach Auffassung von BM Niebel), Bayern, Deutsche Euroshop im Depot, Rainer Brüderle, McDonalds, die VR China, der europäische Binnenmarkt, das VW-Gesetz, die Immobilie schlechthin, die Sparkassen, die Volksbanken und Raiffeisenbanken, die Industrie insgesamt, Tanzania, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate nach Ansicht des damaligen Bundespräsidenten (“auf dem Weg zum Emir”), der Tigerstaat Türkei, Unternehmens- und Hochzinsanleihen, die gute Binnennachfrage, die Elektroindustrie, Saudi-Arabien, der Wirtschaftsstandort NRW, der private Konsum, der Einzelhandel, Guido Westerwelle, Syrien, die Niederlande, die Schwellenländer, Nordkorea, die CSU in der Berliner Koalition, die Sparkasse Göttingen, die Schweiz, die Große Koalition im Bund, das deutsche Berufsbeamtentum, ein Euro-Kurs zum Dollar von 1,30, die Tarifpolitik der IG Metall, die Grundsteuer B für die Kommunen, Kasachstan, die GRÜNEN, die BW-Bank, die Pfarren in Österreich, die Bausparkasse Schwäbisch-Hall, Polen, nachhaltige japanische und amerikanische Dividendenrenditen, die Bauwirtschaft, der Pfandbrief, Edmund Stoiber, Panama, eine gute Dividendenstrategie, das internationale Reifengeschäft, die regionalen Finanzinstitute, die Tarifeinheit, die Mutter eines Brandstifters, der deutsche Stahlmarkt, die Hannoversche Volksbank, Tunesien, der deutsche KFZ-Markt, die Sparkasse Hanau, die UniCredit-Töchter HVB und Bamk Austria, die Achse Griechenland-Zypern-Israel, die Tarifpartnerschaft, die CDU in der Hanse-Stadt Lübeck, Einzelhandelsflächen, der Gesundheitssektor, der Staat, Bundesschatzbriefe, die Machtverhältnisse in der EU, früher die DM, das Handwerk auch im Osten, Prozessoren für leistungsstarke Firmenrechner im Intel-Geschäft, Nigeria, die UN-Truppe Kfor im Kosovo, Banken, Dienstleister, die Bundesbank – aber nur noch nominell wegen ihrer Inflations-Duldung, die Guldenmark als Parallelwährung zum Euro, die Augsburger VR-Bank, das Handwerk auch in Oberfranken, Frankreich, Dividendenaktien, der Arbeitsmarkt, Immobilienaktien, Kenia, und immer wieder: Deutschland, Deutschland, Deutschland.

  5. @Veit:

    “Doch in einer schnell sich wandelnden Welt (…)”

    Damit benutzt Du selber bereits die nächste Neusprech-Vokabel, denn eine sich angeblich “schnell wandelnde Welt” suggeriert geradezu, dass dieser Wandel quasi ein nicht beeinflussbares Naturgesetz sei. Das ist aber Unsinn.

    Die gegenwärtigen Veränderungen sind initiiert von der neoliberalen Bande der Superreichen und deren Vasallen. Die Welt wandelt sich nicht selbst – sie wird vielmehr geplant und bewusst zum Nachteil der überwältigenden Mehrheit der Menschen verändert.

  6. Früher hieß es “Wellenbrecher” (damals allerdings noch “gegen Neonazismus und Chauvinismus” *hust*).

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