Staatswohl

Vermutlich handelt es sich bei S. um eine Lehnübersetzung des französischen salut public (eigentlich: ‚öffentliches Wohl‘). Im Namen dieses Staatswohls kam es in der Folge der französischen Revolution zum so genannten Terreur, dem Namensgeber von Terror und Terrorismus. Ein Wohlfahrtsausschuss, das Comité du salut public, versuchte damals, die revolutionären Tugenden ohne Ansehen der Person mit der Guillotine durchzusetzen. Trotz dieser unrühmlichen Vorgeschichte schaffte es das Konzept bis in die aktuelle Politik. Allerdings wurde es auf dem Weg dorthin heftig umgedeutet. Aus dem Wohl der Öffentlichkeit, also aller Menschen, wurde das Wohl des Staates, also einiger weniger. Das S. wird heute immer dann hervorgeholt, wenn es darum geht, Bürgerrechte zu beseitigen. Die wurden ins Grundgesetz geschrieben, damit das Gewaltmonopol des Staates Grenzen bekommt und damit der einzelne und somit gegenüber dem Staat ohnmächtige Bürger sich zumindest ein wenig wehren kann. Das wollen viele Regierungen so jedoch nicht hinnehmen und bemühen dazu die abstrakte Idee des S. Sie erheben den leblosen Staat zu einem lebendigen Wesen, dessen Wohlergehen gefälligst allen am Herzen zu liegen habe. Beispielsweise um die Überwachung durch die NSA und den Bundesnachrichtendienst zu rechtfertigen. Gleichzeitig verbietet das S. praktischerweise, dieser Überwachung etwas entgegen zu setzen, ja sogar: die genauen Umstände der Überwachung aufzuklären und öffentlich zu debattieren. Denn der Begriff ist so wunderbar schwammig und undefiniert, dass letztlich alles das S. gefährden kann. Damit knüpfen jene, die das S. als Argument gegen Bürgerrechte anbringen, direkt an die unrühmliche Tradition der französischen Revolution an: Das Wohlergehen des Staates (und seiner Diener) steht über der individuellen Freiheit der Bürger. Siehe auch → Balance (von Sicherheit und Freiheit).

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5 Kommentare

  1. Staatswohl oder auch Staatsräson gehen von der Idee aus, dass ein Staat im Prinzip eine Verlängerung der alten Herrschermacht des Adels ist. An Stelle des Königs ist das Abstraktum Staat getreten, das es von unbotmäßigen Wünschen der Untert…Bürger zu schützen gilt. Zudem wird dem Abstraktum offenbar so etwas wie ein zu schützendes Persönlichkeitsrecht zuerkannt.

    Das ist geradezu eine Umkehr demokratischer Ideen. In einer Demokratie sollte der Staat den Bürgern dienen, nicht umgekehrt. Und schon gar nicht sollten die Interessen des Staates (die ihm nur von den Herrschenden zugeschrieben werden) über die Interessen der Bürger gestellt werden.

    Ähnlich wird mit dem “Markt” verfahren, dem teilweise menschliche Eigenschaften und so etwas wie ein eigener Wille zuerkannt wird. Damit wird verschleiert, dass Staat und Markt gleichermaßen menschliche Konstrukte sind. Sie werden so dargestellt, als ob sie dem menschlichen Zugriff oder Einfluss entzogen seien, gewissenmaßen transzendiert und auf eine Ebene mit Naturgewalten oder sogar göttlichen Kräften gehoben. Dies wird gegenüber den Bürgern im Falle des Staates durch Gesetze und Verordnungen zum Ausdruck gebracht, die als theoretisch unangreifbare Ordnung gelten, und – um im Bild zu bleiben – gewissermaßen den Gottesdienst darstellen. In Wahrheit sind sie zunehmend Ausdruck einer technokratischen Herrschaftsposition, in der das System alles und der einzelne nichts mehr gilt.

  2. Ich habe Euer Blog gerade erst entdeckt und finde es eine hervorragende Idee.
    Auch wenn ich völlig verspätet auf Euren Artikel reagiere: Habt Ihr eigentlich schon einmal die Unwörter “Arbeitgeber” und “Arbeitnehmer” untersucht? (Tut mir leid, ich habe das Blog noch nicht im Einzelnen gelesen …) Eigentlich müssten die beiden genau umgekehrt verwendet werden!

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