Steigerung von →Rettungsschirm. Ähnlich wie beim Rettungsschirm, der sprachlich aus dem Bereich des Fallschirmspringens entlehnt zu einer Art Regenschirm gemacht wurde, denkt man auch beim A. an einen irgendwie schützenden Schirm. Nur dass der A. noch etwas aktiver ist, denn er rettet nicht nur vor irgendetwas, sondern wehrt sogar nicht näher bezeichnete Dinge ab. Der Wortschöpfer, Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), wollte damit Verbrauchende und Unternehmen vor steigenden Kosten schützen, somit ist er vor allem eine staatliche Subvention. Subventionen jedoch haben politisch einen schlechten Ruf, die Abwehr von etwas potenziell Schädlichem klingt da viel besser. Unter uns, er klingt auch viel besser als die Wortschöpfung des Bundeskanzlers dazu, der diese Subvention als →Doppelwumms bezeichnete. Das Wort A. stammt dabei aus der Militärsprache. Dort ist es eine Übersetzung aus dem Englischen. Der „missile shield“ besteht aus Raketen, die abgefeuert werden, um andere Raketen abzufangen (Raketenabwehrschirm). Beim A. wird mit Geld gefeuert, viel Geld. Er ist „milliardenschwer“, ihn aufzuspannen, dürfte also gar nicht so leicht sein. Offenbar handelt es sich hier um eine Mehrfachmetapher, der man die Übertreibung leicht ansieht, noch dazu wenn mit ihm gar nichts abgewehrt wird.
Neusprechfunk 18
Willkommen bei einem der letzten echten Laber-Podcasts, willkommen beim Neusprechfunk. Wir haben uns zum 18. Mal getroffen, um über politische Sprache zu reden und darüber, was sich hinter einzelnen Begriffen verbirgt. Es erwarten euch zwei Stunden Bahnsprech, Politikgeschwurbel und ein ausführliches Quiz zu der Frage, wie verständlich Politikerinnen und Politiker reden. Bitte hier entlang. Das Ganze gibt es hier natürlich auch wieder als ogg-Version.
Wir reden, das ist für uns durchaus ein Novum, über das Marketing von Marlboro und die Versuche der Tabakindustrie, sich zu einer „Gesundheits- und Wellnessmarke“ zu „mausern“. Und dabei nebenbei auch über die DDR-Zigarettenmarke „Kenton“. Wie gesagt, ein echter Laber-Podcast.
Im Juni haben die Innenminister der EU den sogenannten Asylkompromiss verhandelt. Beziehungsweise eine, wie es offiziell heißt, Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Wie reden über die Sprache der Reform, bedeutet sie doch vor allem weniger Rechte für diejenigen, die Asyl suchen. Der Kompromiss bezieht sich dabei nur auf den politischen Streit innerhalb der EU, Asylsuchende hatten keinen Anteil an der Debatte und würden sich sicher einen anderen Kompromiss wünschen. Unter anderem sollen Menschen, die in der EU Schutz vor Verfolgung suchen, zuerst in → Asylzentren an den Außengrenzen der EU ihren Asylantrag stellen gefangen gehalten werden. Diese Lager wurden schon unter vielen verschleiernden Namen diskutiert: → Ankerzentren, → Entscheidungszentren, → Willkommenszentren, → Aufnahmezentren … Neu ist, dass die Lager nun nicht einmal mehr auf dem Boden der EU errichtet werden sollen – was noch weniger Rechte und noch weniger Schutz für die Schutzsuchenden bedeutet. Später geht es dann auch noch um das Grundrecht auf Asyl, das die Union gleich ganz abschaffen will.
Dabei sprechen wir am Rande auch über die Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), das sogenannte Heizungsgesetz, beziehungsweise den „Heiz-Hammer“, wie eine bestimmte Zeitung es nennt.
Zwischendurch sind wir etwas ratlos über die Veränderungen sozialer Debattenplattformen und fragen uns, wo künftig gesellschaftliche Verhandlungen stattfinden, wenn nicht mehr auf Twitter. Was nutzt Ihr? Schreibt es uns gern in die Kommentare.
Maha berichtet von einem seiner Lieblingsthemen. Als Mensch, der sehr viel die Deutsche Bahn und ihre Dienste nutzt, beschäftigt er sich oft mit Bahnsprech, hier mit der Debatte um die Zerschlagung der Deutschen Bahn, die CDU und CSU planen. Beziehungsweise mit einem Artikel, der diesen Begriff auf etwas seltsame Art verwendet. Da wir schon dabei sind, geht es auch um das Deutschlandticket und die sprachlichen und rechtlichen und finanziellen Nuancen dieser Tarifmodelle.
Eine Studie der Universität Hohenheim (pdf) hat untersucht, wie verständlich die Reden verschiedener Politiker und Politikerinnen im Bundestag sind. Wir quizzen uns selbst, ob wir einige der amtssprachlichen Begriffe, die in Reden verwendet wurden, erraten und erklären können. Dabei schauen wir, wann und wie oft diese im Bundestag erwähnt wurden, das geht mit dieser Suchmaschine hier. Siehe Petitum.
Anschließend raten wir gleich weiter, was denn eine „Schwachstelle der Wiedervereinigung“ gewesen sein könnte, wie es CDU und CSU einst bezeichneten und wie es der Spiegel berichtete. Spoiler: Kommt Ihr nie drauf.
Das fröhliche Wörterraten geht weiter mit der „Leichtigkeit des Verkehrs“, einer Wortschöpfung des FDP-regierten Verkehrsministeriums, und mit der „Potenzialstärkung“.
Hier ist der Podcast als mp3.
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Erderwärmung
Auch Erderhitzung. Technisch korrekt, schließlich wird die Erde wärmer. Allerdings klingt der Begriff angesichts des Ausmaßes der darin liegenden Katastrophe erstaunlich passiv. So als würde die Welt zufälligerweise ganz von allein wärmer, ohne dass irgendwer etwas dafür kann. Dabei gibt es, da ist sich die Wissenschaft einig, klare Verursacher dieses Effektes: Menschen. Mit unseren Handlungen und unserem Lebensstil sind wir Menschen die eigentlichen Erderwärmer. Solche Passivformen können in der Sprache durchaus eine verschleiernde Funktion haben, die aktiv Handelnden verschwinden durch sie aus dem Fokus. Wer will, kann das im Fall der E. natürlich positiv deuten, im Sinne von: Es soll hier nur möglichst sachlich um die Tatsache an sich gehen. Es ließe sich aber auch negativer betrachten. Noch immer gibt es Menschen, die leugnen, dass die → Klimakatastrophe von uns selbst verbockt wurde. Sie leugnen nicht die Erwärmung an sich, sondern ihre Ursachen. Um diese ängstlichen Ignoranten nicht zu verärgern, gibt es Ausdrücke wie E. In der Politik existiert ein stehender Begriff für solches Verhalten gegenüber Aggressoren: Appeasement, zu deutsch Beschwichtigungspolitik.
Siehe auch → Klimawandel und → Klimahysterie.
Mit Dank an Hannes N. und andere.
Doppel-Wumms
Wumms ist (als Variante zum Bumms) ein lautmalerisches Wort (Onomatopoetikum). Solche Wörter sind eher aus Comics bekannt oder werden von Kinder gesagt. In der politischen Rede fanden sie bisher keine Verwendung. Das hat sich geändert. Es begann 2020 mit einem Wumms, der damals noch nicht mal ein Substantiv war. Am 3. Juni 2020 erklärte der damalige Finanzminister Olaf Scholz, er wolle „mit Wumms aus der Krise“ – er meinte die Coronapandemie. Nun gibt es neue Probleme, nämlich die hohen Energiekosten; Scholz, inzwischen Kanzler, will diesen Problemen mit dem D. begegnen. Nicht nur er ist also befördert worden, sondern auch der Wumms, der jetzt sprachlich verstärkt und ein vollwertiges Substantiv ist, auch wenn nicht ganz klar wird, ob es Maskulinum oder Neutrum ist, zeitgemäß genusdivers also. Die Steigerung mit dem Erstglied (Präfixoid) Doppel- ist eigentlich eine Idee aus George Orwells 1984. Aber vielleicht ist auch der D. doppel-plus-gut.
Siehe auch →Abwehrschirm.
Fortschrittslücke
Wenn eine Regierung jahrelang an etwas arbeitet, sogar eine eigene Bundeseinrichtung und eine Kontrollbehörde dafür eingerichtet hat, es aber trotzdem kein Resultat gibt, dann benötigt sie offenbar Neusprech, um dieses Versagen zu kaschieren. Im Fall der F. geht es um die bislang vergebliche Suche nach einem möglichst sicheren Lager für radioaktive Abfälle, einem sogenannten Endlager. Um es zu finden, wurde eigens die Bundesgesellschaft für Endlagerung gegründet und dazu als Kontrollbehörde das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung geschaffen. Letztere liefert dann auch den nötigen Neusprech. Die F. des Bundesamtes will ausdrücken, dass bei der Suche nach einem Endlager der entscheidende Fortschritt ausgeblieben ist, nämlich eines zu finden, oder auch nur einen möglichen Lagerort zu identifizieren. Bundesgesellschaft und Bundesamt haben also das, wofür sie gegründet wurden, nicht getan. Das als Lücke im Fortschritt zu bezeichnen und also kleinzureden, ist dreist. Verantwortlich dafür ist aber vor allem die Regierung, hat sie als Gesetzgeber doch festgelegt, dass dieser Fortschritt bis zum Jahr 2031 Zeit hat und das Lager selbst sogar erst ab 2050 genutzt werden soll. Je länger dieser Fortschritt ausbleibt und je größer diese Lücke wird, desto weniger Zeit bleibt am Ende aber für die Beteiligung der von dem Atommüll-Lager betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Vielleicht ist die F. daher ja sogar im Interesse der Regierung.
Vor allem aber ist sie ein Beispiel dafür, wie gern die Lücke in der politischen Sprache genutzt wird, um zu suggerieren, dass sich Probleme schnell lösen lassen. Wir hatten schon zu tun mit: → Schutzlücke, der → Sicherheitslücke und zahlreichen → Fähigkeitslücken (I, II, III) – neuerdings auch mit der Winterlücke bei der „Energiepreispauschale“.