Vertrauen, vollstes

Man kann jemandem vertrauen – oder eben nicht. Zwischenstufen, etwa halbes Vertrauen, ein bisschen Vertrauen oder ziemlich viel Vertrauen sind kaum denkbar. Dass Vertrauen immer vollständig ist, kommt schon durch die Wortbildung zum Ausdruck, denn etymologisch ist vertrauen ein vollständiges trauen und zwar nach lateinischem Vorbild, wo confidere eben ein vollständiges fidere (‚(ver-) trauen, glauben‘) ist. Aber die Neigung von Politikern zur Übertreibung beziehungsweise zur Hyperbel kann sogar die Vollständigkeit noch vervollständigen. So wurde aus Vertrauen volles Vertrauen und aus vollem Vertrauen wie gerade mal wieder bei der Bundeskanzlerin vollstes Vertrauen. Mehr geht nun wirklich nicht! Gerade die Übertreibung weckt allerdings Zweifel daran, ob es überhaupt weit her ist mit dem Vertrauen – das übrigens mit dem Konzept der Treue wortgeschichtlich zusammenhängt. Jedenfalls ist mit dem Superlativ das Ende erreicht: Wenn ein Politiker sich genötigt fühlt, einem anderen vollstes V. zu schenken, kann danach nur noch der Absturz kommen. Merke: Wer den Gipfel erreicht hat, dem bleibt nur noch der Weg nach unten.

Mit Dank an Sascha L. für die Inspiration.

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42 Kommentare

  1. Sehr schön. Nur eine kleine Ergänzung: im vollsten Vertrauen schleicht sich etwas körpersprachliches in die übliche politische Vertikalspannung. Der Fülle des Vollen folgt die Entleerung, insofern bezeichnet die Formel den Beginn eines Verdauungsorozesses, an dessen Ende die Person, der das vV bekundet wird, ausgeschieden ist, eine unbewusste Anspielung auf das Menschenfressende des politischen Betriebs.

  2. “So wurde aus Vertrauen volles Vertrauen und aus vollem Vertrauen […] vollstes Vertrauen. Mehr geht nun wirklich nicht!”

    Ich könnte mir zumindest noch Steigerungen wie “allervollstes Vertrauen” vorstellen.

  3. “Dass Vertrauen immer vollständig ist, kommt schon durch die Wortbildung zum Ausdruck,…”
    Nein, es ist genau andersherum: Soziale Beziehungen sind viel komplexer und differenzierter, als Sprache sie abbilden kann. Es gibt tausende von Abstufungen von Vertrauen, denn Vertrauen ist nur eine Erwartung in Bezug auf künftiges Verhalten einer anderen Person. Und mal ist dieses zu erwarten, mal jenes – und genau so differenzieren sich auch soziale Beziehungen: erstens nach Sphären wie Familie, Verwandtschaft, Freund, aber auch innerhalb derer – bester Freund, Freund, Bekannter usw.
    Merke: Wer aus Sprache heraus argumentiert, gibt nur Hinweise. Erst die Phänomene zu betrachten hilft ungemein, um die Welt zu verstehen, Sprache eingeschlossen.
    (Und natürlich ist “vollstes” sprachlich schief und schon deswegen verdächtig wie alles Rhetorische. Nur ist der Text hier davor einfach unüberlegt.)

  4. @ Christoph: Wohl eher nicht. Wenn Du jemandem vertraust, bedeutet das, dass Du davon ausgehst, dass sie/er richtig haldelt und Du sein Handeln nicht mehr überprüfen (musst), weil Du ihr/ihm eben vertraust. Vertrauen ist damit weitaus mehr, als eine die Erwartung vertretbaren Verhaltens und nichts, was man jedem aussprechen kann. Es ist eine ganze Menge.

    @maha: Mehr geht immer. Es ist ja schon die Frage, ob etwas voller als voll oder gleich vollstens sein kann. Wie viele Abstufungen kann es bei „voll“ denn geben. „Voll“ eignet sich nicht mehr. Mein Vorschlag wäre: brutalstmögliches Vertrauen!

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