Es kann doch nicht sein, dass …

Floskel; immer dann verwendet, wenn etwas genauso so ist, wie es angeblich nicht sein kann. Dabei wird oft Bedauern zum Ausdruck gebracht oder der Wunsch, dass es anders wäre, ohne jedoch einen Vorschlag zu machen, wie die kritisierte Situation geändert werden könnte. Daher ist der Satz vor allem Ausdruck von Hilflosigkeit. So bei Thomas de Maizière, wenn er die gestiegene Zahl der Wähler von rechtspopulistischen Parteien bedauert, indem er sagt: „Es kann doch nicht sein, dass man diejenigen wählt, die keinerlei Lösungskompetenzen haben.“ Oder in Ursula von der Leyens Ausruf: „Es kann nicht sein, dass Europa am Zaun von Idomeni scheitert.“ Obwohl das natürlich nicht nur sein kann, sondern tatsächlich so ist. Europa scheitert am Zaun von Idomeni, übrigens genau wie Angela Merkel, schließlich hatte sie zuvor gesagt, es könne nicht darum gehen, dass irgendetwas geschlossen wird. Da in dieser Konstruktion die Realität ignoriert wird, kann sie auch als „Ignorativ“ bezeichnet werden. Es kann nicht sein, das … Doch.

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7 Kommentare

  1. naja..

    alternativ auch gerne verwendet um eben genau die beschriebene sache als Tatsache hinzustellen, obwohl es nicht mal annähernd so ist oder auch nur irgendwer das als realistisch ansieht.

  2. Mit Verlaub: Das halte ich nicht für “Neusprech”, sondern, wie im Blogeintrag ja steht, für den Ausdruck von Verständnis- und Hilflosigkeit angesichts der Situation. Ob nun unser formidabler Innenminister das Wahlergebnis nicht erklären kann (ich könnte ihm allerdings helfen) oder die Verteidigungsministerin angesichts der Tagesschaubilder aus Idomeni verzweifelt – “das kann doch nicht sein” bedeutet hier “wieso ist das so und warum tut niemand etwas dagegen”.

  3. Floskel; immer dann verwendet, wenn der Sprecher die Welt nicht mit seinem Bild von ihr in Deckung bringen kann.
    Ihr habt gut beschrieben, was ich das “Weltbilddenken” nenne, wobei das Bild nicht falsch sein kann.

  4. Zu Achim:

    So wie ich Mahas Aufsatz ‘Neusprech im Überwachungsstaat’ verstehe, meint „Neusprech 2.0“ bestimmte Veränderungen in der derzeitigen Sprache. Durch Neuerungen im Wortschatz (bzgl. eines Themen- oder Sprachbereichs), grammatische Veränderungen (z.B. die Verwendungsweisen von „wir“) und rhetorische Mittel (z.B. Gebrauch bestimmter Floskeln) will ein Sprecher seine politischen Ziele vorteilhafter kommunizieren als sie in einer angemesseneren Sprache erscheinen würden

    „Es kann doch nicht sein, dass …“ wäre demnach ein Beispiel für eine Veränderung in der Rhetorik, wobei vielleicht schon ein auffällig häufiger Gebrauch dieser Floskel eine sprachliche Veränderung im Sinne von Neusprech 2.0 ist.

    Ich habe „es kann doch nicht sein, dass …“ bisher als Phrase verstanden, die eine Empörung (über eine für falsch gehaltene Sache) ausdrückt. Wobei die (Tat-) Sache – wie im Blogartikel geschrieben – nicht als Realität wahrgenommen werden soll oder – wie im ersten Kommentar geschrieben – als vorweggenommenen Sachverhalt in einem Strohmann-Argument verwendet wird.

    Bei diesem Nichtseinkönnen fällt auf, dass der Sprecher keine Begründung liefert, warum es denn nicht sein kann. Bei einer Empörungen folgt in der Regel auch keine Begründung. Soziologisch ist eine Empörung vor allem ein Ausdruck für den Verstoss gegen eine soziale Norm.

    Wenn sich ein Politiker mit dieser Floskel empört, gegen welche Norm wird dann aus seiner Sicht verstossen? Vielleicht gegen seine politischen Normen, die sich aus dem Mandat der Wähler, aus der Ressortpolitik oder aus den Verabredungen mit dem Bundeskanzler ergeben? Aber vielleicht ist die Empörung auch nur inszeniert, als rhetorisches Mittel bewusst eingesetzt, um das Faktische zu entkräften und um die eigene Meinung über die Nichtrichtigkeit einer Tatsache als sozial akzeptiert darzustellen.

  5. “Ignorativität” ist dann vermutlich eine Art Maß für “Regierungsfähigkeit”? ;)

    Schön, dass ihr den Vorschlag doch noch aufgegriffen habt.

    Die Erklärung von “Happy Birthday” leuchtet mir am ehesten ein: Es geht dem Sprecher genau darum, keine Begründung zu liefern, sondern stattdessen die eigene Position als soziale Norm darzustellen und so den Zuhörer über den Mechanismus sozialer Konformität auf seine Seite zu ziehen. Ein rhetorischer Überwältigungsversuch.

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