Freizügigkeitsmissbrauch

Innenminister Hans-Peter Friedrich hat mal wieder versucht, eigenmächtig Rechte umzuschreiben, dieses Mal das sogenannte Freizügigkeitsgesetz. Das erlaubt es jedem Bürger der Europäischen Union, seinen Aufenthaltsort in der EU frei zu bestimmen, also dort zu leben, wo er mag. Das ist, nur nebenbei, ein Grundrecht. Friedrich nun würde dieses Grundrecht gern einschränken, fürchtet er doch, dass beispielsweise Rumänen oder Bulgaren nach Deutschland ziehen, um hier Sozialhilfe zu bekommen. Zitat: „Wir müssen die Möglichkeit schaffen, bei Missbrauch des Freizügigkeitsrechts auszuweisen und die Wiedereinreise von Ausgewiesenen zu verwehren.“ Erstens wäre es keine Freizügigkeit mehr, wenn es eingeschränkt wäre, genau deswegen heißt es so. Zweitens kann man Freizügigkeit nicht missbrauchen, eben weil sie jedem frei gewährt wird. Der F., den Friedrich behauptet, ist also ein Paradoxon, er verkauft Krieg als Frieden und betreibt mit einem Wort: Propaganda. Er will Menschen kriminalisieren, die ein allen gewährtes Recht wahrnehmen. „Freizügigkeit heißt nicht, die Freiheit zu haben, nur wegen höherer Sozialleistungen das Land zu wechseln”, sagte der Innenminister. Doch, genau das heißt es.

Wir danken Ferrer für seinen Kommentar und zitieren daraus: “Seit dem Maastrichter Vertrag gelten in der EU die sogenannten vier Freiheiten. Das heißt, es dürfen in der EU vier „Sachen“ frei zwischen den Ländern verkehren, und es lohnt sich, auf die genaue Formulierung zu achten, denn „Sprache bringt es an den Tag“:

– Kapital. Natürlich
– Dienstleistungen. Logisch sie gehen mit dem Kapital Hand in Hand.
– Güter. Selbstverständlich. Keine Zölle, keine Handelshemmnisse.
– Und Arbeitnehmer. Nicht Menschen. ArbeitNEHMER.

Jedes Land kann freizügiger sein, man darf Menschen ins Land lassen, auch wenn sie keinen Arbeitsvertrag vorweisen können. Studenten zum Beispiel. Man darf die Familienzusammenführung mehr oder weniger großzügig auslegen. Aber man darf kein Sozialtourismus (welch abscheuliches Wort!) betreiben. Rumänien und Bulgarien sind obendrein von diesen sogenannten Grundfreiheiten ausgenommen, es gelten Übergangsregeln. Wie sie früher für Polen galten, und davor für Spanien, Griechenland und Portugal.”

Friedrichs sprachlicher Trick übrigens ist mehr als das. Der Innenminister will damit nicht nur martialisch klingen, er will ohne rechtliche Notwendigkeit Gesetze verschärfen – nicht um ein Problem zu beseitigen, sondern allein um Gesetze zu verschärfen. Er sagte: „Die Freizügigkeit umfasst nicht das Recht, Leistungen zu erschleichen.“ Nein, natürlich nicht. Wer sich Leistungen erschleicht, wer also falsche Angaben macht, um Geld vom Staat zu bekommen, der verstößt gegen diverse Gesetze und wird dafür nach allen Regeln der Kunst bestraft. Mit dem Ausdruck F. suggeriert Friedrich, es gebe eine → Schutzlücke. Die gibt es nicht, der behauptete Missbrauch ist ein ganz normaler Gebrauch, der tatsächliche Missbrauch ist selbstverständlich untersagt. Ein schmutziger aber beliebter Kniff in der Politik: Das Verbot von etwas fordern, das längst verboten ist, um → Handlungsfähigkeit zu beweisen.

Mit herzlichem Dank an Detlef W.

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11 Kommentare

  1. Der F. ist eine typische juristische Idee – in der Tradition des Rechtsmissbrauchs. Das Gejammere über Freizügigkeit in der EU begann schon Jahre vor dem Wirksamwerden und richtete sich ausschließlich gegen die befürchtete Zuwanderung aus dem tiefen Osten und Südosten der EU.

    Insofern ist der F. eine rhetorische Figur, die kaum verhüllt negativ diskriminiert. Sie wird, wenn Friedrich dem Schwafeln auch Restriktionen folgen lässt, ein Fall für den Europäischen Gerichtshof. Wer wird dann gegen die Bundesrepublik klagen? Im Grunde müsste es die EU-Kommission tun.

    Interessant auch, auf welche Fälle der F. nicht angewandt wird: zum Beispiel auf die steuerlich subventionierte Verlagerung von Arbeitsplätzen in “billigere” EU-Länder.

  2. Herr Friedrich redet wieder falsch. Das, was er verbieten will, ist ohnehin nicht erlaubt. Seit dem Maastrichter Vertrag gelten in der EU die sog. 4 Freiheiten. Das heisst, es dürfen in der EU vier ¨Sachen¨ frei zwischen den Ländern verkehren, und es lohnt sich, auf die genaue Formulierung zu achten, denn ¨Sprache bringt es an den Tag¨:
    – Kapital. Natürlich
    – Dienstleistungen. Gehen mit dem Kapital Hand in Hand, sind also logisch.
    – Güter. Selbstverständlich. Keine Zölle, keine nicht tarifären Handelshemmnisse. Man kann dazu das oft zitierte Urteil zur Crème de Cassis googeln. Damit fing alles an.
    – Und Arbeitnehmer. Nicht Menschen. ArbeitNEHMER.
    Die EU setzt den Rahmen, und das ist er. Jedes Land kann allerdings freizügiger sein, man darf Menschen ins Land lassen, auch wenn sie keinen Arbeitsvertrag vorweisen können. Studenten zum Beispiel. Man darf die Familienzusammenführung mehr oder weniger großzügig auslegen. Aber man darf kein Sozialtourismus (welch abscheuliches Wort!) betreiben.
    Rumänien und Bulgarien sind obendrein von diesen sog. Grundfreiheiten ausgenommen, es gelten Übergangsregeln. Wie sie früher für Polen galten, und davor für Spanien, Griechenland und Portugal.
    Das heisst leider, dass der im Beitrag zitierte Satz ¨Das erlaubt es jedem Bürger der Europäischen Union, seinen Aufenthaltsort in der EU frei zu bestimmen, also dort zu leben, wo er mag. Das ist, nur nebenbei, ein Grundrecht.¨ falsch ist. Bedaure.
    Die EU hat noch einen weiten Weg zu gehen. Herr Friedrich bedient nur wieder die dumpfsten Ängste seiner Wählerschaft, oder das, was er dafür hält. Fallen Sie bitte nicht auf diesen Rattenfänger herein. Seine Prämissen sind falsch. Erstunken und erlogen. Diese Debatte ist keine.
    Dabei wäre mehr Freizügigkeit meines Erachtens nach wünschenswert und positiv für alle. Aber nicht mit diesen Politikern.

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