Wachstumsspritze

Anlehnung an die Medizin. Spritzen tun etwas weh, sind vor allem aber sehr wirksam, denn dort wird hochkonzentrierter Wirkstoff direkt in den Körper injiziert. Dieses uns allen vertraute Bild will sich der Sprecher oder die Sprecherin hier zunutze machen. Politische Sprache soll die komplexe Wirklichkeit vereinfachen. Metaphern, also sprachliche Bilder, eigenen sich dafür sehr gut. Gesucht sind daher stets leicht verständliche Begriffe, die Assoziationen wecken. Wie die W. – ein kleiner Piks und dann wird schnell alles besser. Das ist das Bild, das hier vermittelt werden soll. Es könnte falscher kaum sein. Die Wirtschaft besteht aus zahllosen sehr komplizierten Zusammenhängen und Abhängigkeiten. Ihr Wachstum zu befördern, ist weder leicht noch billig und geht schon gar nicht schnell. Aber eine W. klingt besser und vor allem einfacher als: Wir senken die Steuern von Unternehmen in der Hoffnung, dass die dann billiger produzieren und mehr exportieren und so mehr Umsatz machen – in dem Wissen, dass wir selbst nicht sicher sind, dass es funktioniert und in Kauf nehmend, dass die Eigentümer dieser Unternehmen so noch viel reicher werden, als sie ohnehin schon sind.

Investitionsspielraum

Hochgestochener Ausdruck für den Fakt, mehr Geld zur Verfügung haben zu wollen, das ausgegeben, daher investiert werden kann. Der Spielraum wird hier in seiner ursprünglichen Wortbedeutung benutzt als Raum, in dem sich ein Körper frei – beziehungsweise freier als bisher – bewegen kann. Im Zusammenhang mit staatlichem Handeln wird daraus jedoch ein Euphemismus, denn hinter dem I. verbirgt sich meist die Forderung, mehr Schulden aufzunehmen. Schließlich ist das für eine Regierung der leichteste Weg, an mehr Geld zu kommen: Sie verdient es nicht, sie leiht es sich.

Islamisten, radikale

In seinem Buch über die Sprache des so genannten Dritten Reiches stellte Victor Klemperer fest, dass ein expressiver Ausdruck immer weiter gesteigert werden muss, da Übertreibungen abstumpfen und so neue Übertreibungen nötig machen. Er illustriert das an dem Adjektiv fanatisch, das den Nazis irgendwann nicht mehr expressiv genug war und deshalb durch den adverbialen Zusatz wild noch expressiver gemacht werden musste. Ähnlich verhält es sich mit den I. Ein Islamist ist eben nicht einfach ein Anhänger des Islam, sondern ein Anhänger des „Islamismus“, einer fundamentalistischen Ideologie, die den Islam über alle anderen Weltanschauungen stellt und seine Regeln durchsetzen will. Diese Bedeutung schließt Radikalisierung schon mit ein. Das reicht aber offenbar nicht mehr, so dass irgendwann ein qualifizierendes Adjektiv ergänzt werden musste: radikal bedeutet, dass etwas von der Wurzel her verändert werden muss, also eine grundlegende Veränderung der Gesellschaftsordnung angestrebt wird. Das stimmt, aber diese Forderung ist im Begriff „Islamismus“ bereits enthalten. Möglicherweise wird sich also auch diese Steigerung abnutzen. Daher kommen hier ein paar nicht ganz ernst gemeinte Vorschläge für eine weitergehende Steigerung ins Unsinnige: extremistischer Islamismus oder islamistischer Extremismus.

Wende

In Deutschland wird gerne gewendet. Alles begann mit der geistig-moralische Wende Helmut Kohls 1980, bei der weder geistig noch moralisch viel gewendet wurde. Dann kam die Wende ohne weitere Qualifikationen 1989/90 – sozusagen die Mutter aller Wenden. In neuerer Zeit wurde die maritime Metapher wieder aufgegriffen: zunächst mit der Zeitenwende von Olaf Scholz und neuerdings will seine vorläufige Nemesis Friedrich Merz ihr eine Politikwende entgegensetzen. Kurz gesagt: In Deutschland wird gern gewendet.

Dublin-Zentrum

Das D. ist leider kein Büro des irischen Fremdenverkehrsvereins. Es ist ein offenbar bewusst gewählter Begriff, der die eigentliche Funktion dieser Einrichtung verbirgt und völlig im Unklaren lässt, worum es dabei geht. Denn das gerade in Hamburg eingerichtete erste deutsche D. und das für Brandenburg beschlossene D. sind Abschiebehaftanstalten. Nach dem Dubliner Übereinkommen von 1990 ist in der EU jenes Land für Geflüchtete und ihre Asylverfahren zuständig, in dem diese Menschen das erste Mal europäischen Boden betreten haben. Wer also in Griechenland ankommt, dann aber nach Deutschland weiterreist, weil er vielleicht in Griechenland niemanden kennt, oder Deutschland schöner findet, den darf Deutschland umgehend nach Griechenland zurückschicken. Sobald ein Asylantrag hierzulande künftig als unzulässig abgelehnt wird, weil der Mensch nicht zuerst nach Deutschland eingereist ist, soll er oder sie in einem D. interniert und so schnell wie möglich abgeschoben werden. Verzeihung, der offizielle Ausdruck lautet natürlich rücküberstellt. Das Ganze ist legal, trotzdem sieht man in den Innenministerien offensichtlich die Notwendigkeit, den Vorgang sprachlich zu beschönigen. Und das schon seit sehr langer Zeit, vgl. →Transitzentrum, →Ankerzentrum, →Entscheidungszentrum, →Aufnahmezentrum, →Bundesausreisezentrum, →Willkommenszentrum.