Content

Der C. ist ein Wichtigtuerwort. Verlags- und Werbemenschen fuchteln damit herum, wenn sie die Dinge meinen, die in Konzerten gespielt, im Fernsehen gezeigt, in Zeitungen gedruckt oder im Internet veröffentlicht werden. Texte klingen aber auch langweilig, nicht so cool wie C. Englisch schließlich ist hierzulande längst Zweitsprache. Das führt gelegentlich zu skurrilen Erfindungen wie dem Rückenladen, aka Back-Shop und dem WC-Center, also der Pinkelzentrale, so etwas wird aber als schick empfunden. So erfolgreich waren die Werbemenschen, dass der C. sich bald eine ganze Branche eroberte. Doch geht es nicht nur um Wichtigtuerei. In dem Bemühen, sich durch den Anschein harter Arbeit aufzuwerten, beschreiben sich Sender und Verlage gern als C.-industrie, siehe auch FinanzindustrieDas hat den Vorteil, dass niemand mehr an die Autoren denkt, die sich all die Texte, Bilder und Töne ausgedacht haben und denen ihre Verwertungsrechte abgepresst wurden. Der C. ist weit von ihnen entfernt und lässt sich damit viel unbeschwerter vermarkten. Wie Sascha Lobo twitterte: „Inhalte nennt man in Deutschland immer dann ,Content‘, wenn jemand damit Geld verdienen will.“ Womit das unscheinbare englische Wort für ,Inhalt‘ langsam zum Euphemismus wird. Denn diese „Industrie“ produziert keine Musik, keine Bilder und keine Texte. Sie verwertet sie lediglich, beziehungsweise die damit verbundenen Rechte der Urheber. Kritiker werfen den Firmen deswegen vor, das Wort C. beschreibe ihren Umgang mit der Arbeit vieler kreativer Menschen nur allzu gut und bezeichnen sie daher als C.-mafia. Natürlich ist die „Mafia“ in diesem Zusammenhang genauso unsinnig wie die „Industrie“. Es zeigt jedoch: Aus dem einstigen Deppenbegriff ist eine Kampfvokabel geworden. Das war nur möglich, weil der Ausdruck, der ja für Inhalt steht, ironischerweise so inhaltsarm ist, dass er überallhin passt.

Beteilige dich an der Unterhaltung

40 Kommentare

  1. Interessanter Artikel und interessante Diskussion. Ich kenne den Begriff »Content« seit sehr vielen Jahren und ich kam zum ersten Mal damit in Berührung, als die »Lernsoftware« eingeführt wurde.

    Diese Lernsoftware bestand nämlich aus »Contents« (ich wehre mich immer noch gegen den Plural »Inhalte«, aber laut Duden ist die Pluralbildung zulässig).

    Plötzlich musste überall das elektronisch gestützte Lernen eingeführt werden und ich bekam den Auftrag, ein eigenes Manuskript für den Einsatz auf einer Lernplattform aufzubereiten. Ich war jung und ich brauchte das Geld — also habe ich mitgemacht.

    Vom ersten Augenblick an war klar: Wer Texte, Formeln und (technische) Grafiken abgeliefert hat, sagte niemals »Content«. Der nannte die Dinge beim Namen.

    Die Auftraggeber nannten sich z.B. »Content Manager« und sie haben haben niemals von Texten, Grafiken oder Formeln gesprochen. Sie kannten prinzipiell nur Blähwörter.

    Ich möchte nicht wissen, wie viele Milliarden Fördergeld schon für solche »Contents« aus dem Fenster geworfen wurden. Die meisten Teilnehmer lernen heute trotzdem noch aus Büchern und Lehrbriefen. Warum? Weil bei der Herstellung der Lernmodule immer ganz viel Geld für technische Spielereien und DRM ausgegeben wurde, aber im Vergleich dazu relativ wenig Geld für den eigentlichen Inhalt.

    Deshalb ist »Content« im Zusammenhang mit Ideen oder Manuskripten bis heute ein Reizwort für mich, auch wenn ich auf der anderen Seite mit Lösungen zum Single-Source-Publishing (auf anderen Gebieten) gutes Geld verdiene.

  2. Ich bin damals unter anderem durch die Alternativlos-Folge 12 auf neusprech.org gelandet und finde es echt super. Tolle Arbeit! Ich habe mich letztens gefragt, ob es die Beiträge auch als Podcast irgendwo zu hören gibt. Dachte, dass wär vielleicht mal ganz nett für unterwegs. Vielleicht findet ja “der mit den vielen Podcasts” noch Zeit dafür.

  3. Das eigentliche Problem ist doch, dass wir alle uns zu schnell von derlei Begriffen ins Bockshorn jagen lassen, ohne sie erst einmal zu hinterfragen. Der Begriff “Content” ist rein deklaratorischer Natur und nicht konstitutiv für irgendetwas. Ich kann meinen Kleinwagen auch Jaguar nennen und er ist es doch nicht. Aus einem Arbeitsvertrag wird auch kein Werkvertrag, selbst wenn Arbeitgeber diesen Begriff gern aufs Papier schreiben – die vermeintlichen Vorteile treten nicht ein. Ich wünsche allgemein mehr Gelassenheit bei diesem Thema.

  4. > Natürlich ist die „Mafia“ in diesem Zusammenhang genauso unsinnig wie die „Industrie“.

    Nein, ist sie nicht.
    Man schaue sich nur mal an welch horrende Abmahn-/Leermedienschutzgelder man bezahlen muss und in welchem Umfang die Contentmafia dem Nutzer die Rechte nimmt*.

    *bzw. vom nicht beeinflussten, unabhängigen Parlament nehmen lässt

  5. “Bilder und Töne ausgedacht haben und denen ihre Verwertungsrechte abgepresst wurden.”

    ich arbeiten mit Musiker (Komponisten und Interpreten) seit 46 (sechsundvierzig) Jahren zusammen; keinem von denen sind ihre Rechte “abgepresst” worden. Sie haben alle freiwillig (und überglücklich) Platten- und sonstige Verträge abgeschlossen udn waren glücklich, endlich solche Vertrag zu haben und etwas Geld zu verdienen. Und jemand zu haben, der einen Großteil der Arbeit für sie tut.
    Ich weiß, dass es ein beliebtes Spiel ist, die Plattenfirmen, Musikkverleger, Produzenten, etc. als Schmarotzer, Gangster, Diebe, Halunken, Haifische etc. zu beschreiben; besonders die ahnungslosen Journalisten machen das gerne (anstatt sich um die wahren Mechanismen und Zusammenhänge in der Musikbranche zu kümmern. Bestes Beispiel: Die immer wiederkehrende Velwechsrung in der Presse (sogar in Musikmagazinen) von Plattenfirma und Musikverlag: zwei völlig unterschiedliche Dinge.
    Will sagen: da ist oft wenig Ahnung zu bemerken, aber reichlich gemeine Unterstellungen; offensichtlich verkauft das “Böse” ein bedrucktes Papier besser als die (langweilige?) Wahrheit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert