Das Wort klingt nach Architekturführer, nach Röntgenbildern beim Arzt, nach astronomischen Beobachtungen. Es klingt harmlos. Das ist es nicht. Die Berliner Polizei spricht von Ü., wenn sie ohne Anlass eine friedliche Demonstration filmt. Schließlich, so lautet die Argumentation dazu, soll die Einsatzleitung die Übersicht behalten. Übersicht ist hier metaphorisch zu verstehen. Denn das Wort hängt mit übersehen zusammen, also eher damit, Details zu ignorieren und nur ein ungefähres Bild der Lage zu bekommen. Bei hochauflösenden Videoaufnahmen ist das natürlich anders, da geht es weniger um Übersicht als vielmehr um Detailsicht. Einzelne Gesichter zu erkennen, ist kein Problem. Damit nicht genug: Die Videobilder sollen der Polizei die Arbeit erleichtern. Das ist der einzige Grund, warum Demonstrationen komplett abgefilmt, man könnte auch sagen, videoüberwacht werden. In Artikel acht des Grundgesetzes steht: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Wie alle Freiheitsrechte wurde auch dieses in den vergangenen Jahrzehnten eingeschränkt, beschnitten, begrenzt. Versammlungsgesetze erlauben es der Polizei bereits, zu filmen, wenn sie glaubt, dass jemand Gewalt ausübt, dass Straftaten begangen werden, dass eine Gefahr droht. Doch das genügt offensichtlich nicht. Der Berliner Senat möchte, dass im Versammlungsgesetz auch Ü. gestattet werden. Polizei und Politik vermeiden in diesem Zusammenhang den Ausdruck Videoüberwachung. Schließlich würden die Bilder ja nicht gespeichert. Auch der Plural hat wie so oft eine abschwächende Wirkung, irgendwelche Aufnahmen halt wie aus dem Familienalbum. Das kennt doch jeder. Schauen wir kurz, was das Verwaltungsgericht Berlin zu dieser Idee zu sagen hat: „Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt.“ Wer sich beobachtet fühlt, verhält sich anders. Er geht möglicherweise gar nicht erst zu der Demonstration, nimmt sein Recht auf Versammlung also nicht wahr. Der richtige Ausdruck ist somit Videoüberwachung, und sie ist eine Bedrohung für unsere Grundrechte.
Der Ausdruck Ü. wurde 2013 mit einem Big Brother Award ausgezeichnet.
Schreibe einen Kommentar