Was hier so griffig klingt, ist sprachlich kompletter Murks. Richtig müsste das ganze Ding, das eine Absichtserklärung für bessere Hochschulen sein will, Bologneser Erklärung heißen. Denn erstens werden im Deutschen Städtenamen adjektiviert, wenn sie ein Substantiv qualifizieren. Niemand würde von einem Göttingen-Pamphlet oder einem Berlin-Manifest sprechen. Warum man das Adjektiv Bologneser vermeiden wollte, ist rätselhaft. Vielleicht klang es den Beteiligten zu kulinarisch, vielleicht nicht ernsthaft genug? Zweitens aber – und das sagt noch viel mehr über den Quark, der da in Bologna angerührt wurde – denkt man bei einem Prozess zunächst an eine Gerichtsverhandlung. In diesem Fall saß man dann wohl über die Stadt Bologna zu Gericht? Nein, das kann bestimmt nicht gemeint gewesen sein. Was dann? Das Wort zumindest geht auf das lateinische procedere‚ zurück, was ,fortschreiten, vorgehen‘ bedeutet. Neben Gerichtsverhandlungen, die eben auf immer gleiche Art vonstatten gehen, meint das Vorgänge, die – einmal angestoßen – von selbst ablaufen. Und offensichtlich hatten genau das die Bildungspolitiker im Sinn: Die anvisierte Reform als unausweichlichen, unumkehrbaren und geradezu natürlichen Prozess darzustellen. Was reichlich vermessen ist angesichts des Chaos, das sie in ihrer Planlosigkeit angerichtet haben. Dank des Etiketts B. aber wirkt es nun, als träfe niemanden die Schuld an dieser Bildungskatastrophe. Hübsch, oder?
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Dann könnte man noch bemerken, daß, falls es sich nicht wie hier um eine beschreibende Bezeichnung im Sinn eines Eigennamens handelte, bologneser klein geschrieben würde ,)
> zu kulinarisch, vielleicht nicht ernsthaft genug
kurzum: zu treffend? ;)
@vera: nicht zwingend
@jan: möglicherweise :-)
Fällt mir gerade auf: Bei Zürich macht man auch keine Adjektivierung. Es gibt den Zürichsee (nicht: Zürcher See), den Zürichberg (nicht: Zürcher Berg), die Zürich-Versicherung (nicht: Zürcher Versicherung), den Züri-Leu (Zürich-Löwe, Wappentier) und den Züri-Tirggel (Gebäck). Aber es gibt bzw. gab auch die Berlin-Krise und die Berlin-Klausel. Das mit der Adjektivierung scheint keine zwingende Sache zu sein.
In Berlinkrise ist Berlin nicht die Ortsangabe, sondern das, worum es in der Krise geht (wie eben im Bolognaprozess auch über Bologna verhandelt werden müsste). Genauso verhält es sich bei der Berlin-Klausel. In einer Berlin-Konferenz wird über Berlin verhandelt, bei einer Berliner Konferenz in Berlin. Eine Bolognaerklärung befasst sich mit Bologna, eine Bologneser Erklärung wird in Bologna abgefasst.
Zürich-… ist allerdings eigenartig.
Also beim besten Willen, der Artikel ist ja wirklich Quatsch.
Wieso sollte man beim Wort Prozess an eine Gerichtsverhandlung denken? Prozess bedeutet soviel wie Vorgang oder Ablauf. Juristische Prozesse sind nur ein Beispiel dafür, weitere sind etwa chemische, Wirtschafts- oder Arbeitsprozesse. Und die müssen keineswegs von selbst ablaufen. Das ist bei chemischen Prozessen zwar der Fall, aber gerade bei juristischen eben nicht. Wenn der Richter einschläft, dann steht der Prozess erstmal, bis er vielleicht von jemand anderem /vorangetrieben/ wird. Da läuft gar nix von allein.
Weiß nicht, habe bei dem Artikel das Gefühl, dass er mehr geschrieben werden wollte als geschrieben werden konnte. “Bologna-Prozess” hat sich als Schlagwort (unter Akademikan) eingebürgert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: die Reform ist allgegenwärtig. Aber die Intentionen, die hier unterstellt werden, sind meines Erachtens ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
“Denn erstens werden im Deutschen Städtenamen adjektiviert, wenn sie ein Substantiv qualifizieren. Niemand würde von einem Göttingen-Pamphlet oder einem Berlin-Manifest sprechen.”
Das ist für mich purer Grammatismus. Als ob Neologismen IRGENDWELCHEN Regeln unterlegen würden. Sie sind doch gerade der Bruch mit der Regel, nicht zwingend der grammatischen, aber sie sind eben doch stets unregelhaft (Vorsicht, Wort steht nicht im Duden!). Da müsste man auch die Wendung “etwas macht Sinn” für Murks erklären. Eine elitäre Denkweise, die mir sehr missfällt. Das Wort ist aus dem Englischen entlehnt worden wie das so oft bei inter- und transnationalen Vereinbarungen der Fall ist. Im Englischen würde man unter process im Regelfall nicht an gerichtliche Verhandlungen denken. Reform und Prozess sind zudem alles andere als zwangsläufig widersprüchliche Konzepte, vielmehr können sie in diesem Fall zwei Teile eines Kompositums formen. Dass man nicht von “Bologna-Reformprozess” spricht, geht meines Erachtens auf ökonomische sowie uniformische Erwägungen zurück. Auf das Wort als Anglizismus hätte man eingehen können, dann hätte es Sinn gemacht(sic!). So finde ich es gezwungen komisch und an der Substanz vorbei geschrieben.
Zu Beginn habe ich dieses Blog gerne gelesen, aber irgendwie denke ich nach und nach, dass es wohl eher ein zweiter Zwiebelfisch ist – nur anders angestrichen. Dieses Bestehen auf eine angebliche sprachliche Richtigkeit, die linguistisch nun einmal nicht gegeben ist, finde ich ziemlich pedantisch – besonders wenn er von jemandem kommt, der Linguistik studiert hat und es überdies lehrt (wenn ich mich nicht täusche ist dieser Artikel doch von Maha, oder?).
Naja, nichts für ungut. Nur meine 50 Pfennig, um einen weiteren Anglizismus zu bemühen.
Es sollte korrekterweise heißen:
“Als ob Neologismen IRGENDWELCHEN Regeln unterlegen müssten.”
Macht es Ihnen keine Sorgen, dass jemand schon bei der Benennung eines solchen Dinges so schlampig war? Mir schon. Ich fürchte dann immer, dass er sich auch bei dem Rest nicht so viele Gedanken machte, wie er vielleicht hätte tun sollen.
By the way: “etwas macht Sinn” ist Murks :)
Beste Grüße
Kai Biermann
@Lara Neologismen unterliegen Regelmäßigkeiten, auch wenn diese andere sind als im zentralen Bereich von Lexikon und Grammatik.
Während beim Zwiebelfisch darüber geurteilt wird, ob etwas richtig oder falsch ist, geht es mir darum, hier sprachliche Veränderungen aufzuzeigen, zu demaskieren, wie Sprache eingesetzt wird bzw. eingesetzt werden kann, um zu maskieren und zu demaskieren und welche versteckten Bedeutungen hinter den Wörtern stehen. Das ist hier auch ganz deutlich: Aufgrund fehlender Analogien ist eine Bildung wie Bologna-Prozess höchst auffällig.
Im Übrigen verfassen wir die Artikel hier gemeinsam, genannt ist immer der Hauptautor.