Ach, diese Politiker. Da wollen sie einem sagen, unter welch fürchterlichem Druck sie stehen, und der gemeine Wähler ist schon versucht zu denken: die armen Schweine. Doch dann ruinieren sie doch wieder alles mit ihrem Hang zur Dramatik, zur Überhöhung, zum Plural. Über Twitter ließen die Grünen in Nordrhein-Westfalen kürzlich verlauten, sie seien zwar weiter gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, aber „die Fraktion hat sich aufgrund parlamentarischer Zwänge anders entschlossen“. Unter Zwang also standen sie? Wurden von bösen Mächten am Guten gehindert? Auch wenn es den Grünen in NRW nicht klar war – ihre Sprache enttarnt, was sie wirklich sagen wollten. Denn es war kein Zwang, niemand hat sie gegen ihren Willen gezwungen, es waren völlig richtig Zwänge – und somit Konventionen, denen sie sich freiwillig unterwarfen. Trickreich, diese Substantive. Manche davon bezeichnen eine Handlung oder einen Zustand und sind von Verben abgeleitet. Diese nun haben die interessante Eigenschaft, dass sie eine neue Bedeutung bekommen, werden sie in den Plural gesetzt. Der Gang hat noch mit gehen zu tun, die Gänge etwas mit Korridoren oder Getrieben; Aufmerksamkeit ist ein Zustand, Aufmerksamkeiten sind kleine Geschenke. Die parlamentarischen Z. also sind klar, was sie wohl sein sollten: eine Ausrede. Gerade die Grünen, mag ausrufen, wer sich noch an frühere Zeiten erinnert. Immerhin hatten die einst einen in ihren Reihen, der sich um solche Konventionen nicht scherte, indem er in Turnschuhen zur Vereidigung als Minister erschien.
Was ich mich ja schon immer gefragt habe: Wann ist ein Zwang eigentlich ein Zwang?
Eigentlich hat man _immer_ die Wahl zwischen Alternativen. Manchmal sind alle Alternativen bis auf eine halt sehr bescheiden… Aber wie bescheiden müssen die Alternativen sein, damit man bei Zwang angelangt ist und wie misst man das?
Sehr lehrreich diese kaum zu definierende Grenze zwischen
Konventionen und Zwängen. In der kompromissdurstigen Schweiz
übrigens mag man Parlamentarier, die sich nur parlamentarischen
Zwängen unterwerfen müssen, fast schon ein wenig beneiden
angesichts der oft beschworenen Konkordanz.
“Joschka Fischer” wiederum ist eine verniedlichende Bezeichnung für einen eiskalten Machtpolitiker namens Joseph Fischer, der für den politischen Aufstieg gerne die Inhalte hintenangestellt hat. Er hat den “Atomkonsens” und den Kosovokrieg vorangetrieben, also gegen die beiden Grundpfeiler der Grünen gearbeitet und ist dafür von den Medien mit “Realpolitiker” geadelt und eben penetrant beim Spitznamen genannt worden. Denn wie er so gegen die Grundprinzipien seiner Partei verstößt, ist er doch auch irgendwie putzig, gell?
Offen bleibt auch jedes Mal die Frage, welchem Zwang/welchen Zwängen ein Abgeordneter unterworfen sein kann, der nur seinem eigenen Gewissen unterworfen ist und nicht an Weisungen und Aufträge gebunden ist. Gewissensbisse? Man weiß es nicht. #Art.38GG