Sicherheitsraum für Daten, europäischer

Die SPD will ja nun Netzpartei werden. In diesem Zusammenhang forderte der Baden-Württembergische Europaminister Peter Friedrich, dessen Name wohl nur zufällige Ähnlichkeiten mit dem eines gewesenen Innenministers aufweist:

„Jeder Mittelständler muss in den nächsten Jahren in die Cloud um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dafür brauchen wir einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum für Daten, sonst lesen die Wettbewerber von überall auf der Welt mit.“

Was „die Cloud“ mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun hat, erschließt sich nicht unmittelbar. Auch ist dem Europaminister unter Umständen nicht klar, was „die Cloud“ bedeutet. Zumindest aber scheint er zu spüren, dass in einer Cloud Daten gar nicht sicher sein können. Denn wer seine Daten irgendwohin kopiert und nicht weiß, was dort mit ihnen geschieht, kann kaum darauf hoffen, dass niemand darauf zugreift. Oder, wie Frank Rieger vom Chaos Computer Club, mal sagte:

„Na ja, meine Definition von Cloud lautet: Ihre Daten sind woanders, und Sie wissen nicht, wo. Davon halte ich prinzipiell nichts.“

Aber da hat der Baden-Württemberger Friedrich auch schon einen Vorschlag: Den S. Der enthält die schönen Ausdrücke Raum und Sicherheit, das klingt immerhin beruhigend. Natürlich ist damit kein physischer Raum gemeint, sondern ein digitaler. Wie ein solcher S. funktionieren soll, bleibt allerdings unklar. Es liegt in der Natur des Internet, dass Daten Wege nehmen, die der Nutzer nicht kontrollieren kann. Er weiß im Zweifel nicht, wer sie alles einsieht oder sogar manipuliert. Es sei denn, er verschlüsselt seine Daten selbst und nutzt Technik, die diese Verschlüsselung unterwegs nicht bricht. Davon aber erwähnt Frierich nichts. Leider, denn alles andere ist nur schöne Rhetorik und hilft nicht gegen all die Dienste und Spione, die überall mitlesen wollen.

Stiftung

Der Ausdruck stiften kommt aus dem Germanischen und bezeichnete wahrscheinlich, Bauten auf Pfählen zu bauen. Er wandelte sich dann zum allgemeinen Gründen oder Errichten und meint heute vor allem, Eigentum herzugeben, um anderen in Form einer S. etwas Zugute kommen zu lassen. Die Betreiber deutscher Atomkraftwerke beweisen gerade grenzenlosen Zynismus, indem sie diese positive Bedeutung umdrehen. Sie wollen, schreibt Der Spiegel, ihre sämtlichen Atomkraftwerke einer S. übergeben. Die soll dem Bund gehören. Der möge dann dafür sorgen, sie zu betreiben, solange sie noch betrieben werden dürfen und anschließend sich bitte auch um den Abriss und die Entsorgung des Mülls kümmern. Dreißig Milliarden Euro wollen die Kraftwerksbesitzer in die S. einzahlen, also einen Bruchteil der wahrscheinlichen Kosten. Deren tatsächliche Höhe ist kaum abzuschätzen und wird garantiert viel größer sein. Sollten die dreißig Milliarden nicht genügen, müsste der Bund den Rest übernehmen – und damit alle Bürger, denn der Bund bekommt sein Geld von den Steuerzahlern. Jahrzehntelang haben die Betreiber der Atomkraftwerke riesige Gewinne kassiert, die drohenden Verluste aber wollen sie nun der Gesellschaft aufbürden. Sie stiften ihr ein unkalkulierbares finanzielles Risiko, wohl wissend, dass sie damit allen schaden. Damit die Bundesregierung dieser eigennützigen S. zustimmt, wird ihr unverhohlen gedroht: „Möglicherweise“ wären die Kraftwerksunternehmer im Gegenzug bereit, auf milliardenteure Klagen gegen die Regierung zu verzichten. Von denen reden die Stromfirmenbosse seit einiger Zeit, da die Politik die Frechheit besaß, das unkalkulierbare technische Risiko Atomkraftwerk gesetzlich zu beenden.

Neusprechfunk, wirklich!

Wir bekennen uns ausdrücklich zum Neusprechfunk! Warum uns dieses Bekenntnis wichtig ist, verraten wir aber nicht, dafür muss man sich den vierten Neusprechfunk selber anhören. Schon um sich gegebenenfalls danach selbst bekennen zu können, etwa in den Kommentaren.

Aufgezeichnet haben wir den Podcast im Februar 2014, der Neusprechfunk 4 (mp3) ist jedoch innerhalb der nächsten drei Jahre einigermaßen zeitlos. Denn unser vorrangiges Thema war der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, in dem es so einiges Überraschendes und vor allem enorm viele Lücken zu entdecken gibt.

titelseite

Wir gehen ein wenig darauf ein, wie der Koalitionsvertrag zustande kam, insbesondere interessierte uns aber: Was steht denn drin, und wie ist das Geschriebene unter Neusprech-Gesichtspunkten zu interpretieren?

therapieunterbringung

Wir streifen Zwischenlösungen bei der Finanzpolitik, reden über Boni, suchen nach Anhaltspunkten zu Vorratsdatenspeicherung, Datenschutz und Beinahe-Treffer bei Massen-Gentests. Wir finden sogar am Rande die Konsequenzen der NSA-Affäre! Der Vertrag bleibt jedoch voller Lücken, insbesondere Sicherheitslücken, Wirtschaftlichkeitslücken und Schutzlücken.

In einer alten SPIEGEL-Ausgabe zu blättern, konnten wir uns auch wieder nicht verkneifen. Diesmal war es die Nr. 22 aus dem Jahr 2008, die in „Obamania“ erstaunliche Weitsicht auf das deutsch-amerikanische Verhältnis beweist. Besonders die Bundeskanzlerin wird die Momente der transatlantischen Freundschaft genossen haben:

obama

… nur: das „Fenster der Gelegenheit“ klappte wieder zu. Auch die vorprogrammierte und mittlerweile eingetretene Enttäuschung legt der damalige SPIEGEL (und Autor Ralf Beste) schon nahe:

enttaeuschung programmiert

Beschäftigt hat uns auch ein Artikel von Cordt Schnibben in ebenjener Ausgabe, der sich wunderbar an die Übersetzung von Neusprech macht. Was wir im Podcast (im Februar) übrigens schon angedeutet hatten, ist unterdessen ein SPIEGEL-Titel von Schnibben geworden: „Mein Vater, der Mörder“, eine ausgesprochen persönliche Geschichte, begleitet von einer multimedialen digitalen Story, die aber in der Aufmachung eher Geschmackssache ist.

Im Artikel „Die 60-Minuten-Demokratie“ überträgt Schnibben Neusprech ins Normaldeutsche:

schnibben uebersetzt

Dieser Podcast ist wie immer nicht jugendfrei, schon weil wir auch wieder über die SPD reden. Denn deren noch nicht vollständig aus der Partei ausgetretene Marktfraktion könnte jederzeit den nächsten Grabenkrieg auslösen.

grabenkrieg

Immer für einen Aufreger gut und selbst mit ordentlich Zynismus nur schwer zu verdauen: der Neoliberalismus und die Bildungspolitik. (Vorsicht, nur mit Ad-Blocker klicken)

neoliberal

neoliberal

Na dann.

Wir sprachen – nicht nur sozialpalavertechnisch – über:

Hier ist unser Podcast als mp3.

Wie vielfach gewünscht: Es gibt auch wieder die ogg-Version von Neusprechfunk 4.

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Metadaten

Geheimdienste und Regierungen beteuern immer wieder, dass sie sich nicht für die Daten der Bürger interessieren, sondern ‚nur‘ für die M., als ginge es dabei um völlig Irrelevantes, nachgerade um Datenabfall, der sowieso bei jeder Datenübertragung anfällt und im Gegensatz zu den ‚richtigen‘ Daten nicht besonders schützenswert sei. “Niemand hört mit”, sagte US-Präsident Barack Obama nach Bekanntwerden der Snowden-Dokumente und wollte damit alle beruhigen. Was für eine Lüge.

Das griechische Präfix μετά- bedeutet ‚nach‘ oder ‚jenseits‘, wörtlich sind also M. ‚Nachdaten‘ oder ‚jenseitige Daten‘. Im Deutschen wird das Präfix jedoch meistens verwendet, um anzuzeigen, dass es sich um etwas handelt, das auf einer höheren Abstraktionsebene anzusiedeln ist, in diesem Fall also: Daten über Daten.

Es sind eben jene Daten, die benötigt werden, um Informationen zu übermitteln: Wer schickt was und wie viel wie oft wohin, wo befindet er sich dabei, welche Geräte benutzt er dazu, wie lange dauert das alles? Die M. sind für die Kommunikation essenziell, ohne sie könnten wir uns nicht digital unterhalten.

Spätestens seit Edward Snowden wissen wir, dass Geheimdienste M. abschnorcheln, speichern und auswerten, wo sie nur können. Denn Inhalte sagen, was wir sagen. M. aber sagen, was wir tun, und was wir denken. Sie enttarnen uns und unsere Pläne, ohne dass wir es merken. M. erlauben es, soziale Netzwerke aufzudecken, die Standorte von Menschen zu ermitteln und Bewegungsprofile zu erstellen.

Statt sie wie Abfall zu behandeln, den jedermann aufsammeln kann, müssten sie mindestens ebenso gut geschützt werden, wie der Inhalt unserer Kommunikation. Denn sie sind ganz und gar nicht so ‚jenseitig‘, wie das Präfix andeutet.

Außer den Überwachten scheint daran aber niemand Interesse zu haben. Was sich unter anderem daran zeigt, dass die große Lüge von den harmlosen M. auch sprachlich aufrecht erhalten werden soll. Das Synonym ,Verbindungsdaten‘ macht nicht im Ansatz klar, wie umfangreich und aussagekräftig unsere M. sind. Als Verschleierung genügt das aber offensichtlich auch nicht mehr, inzwischen ist ‚Rahmendaten‘ das neue Ersatzwort.

Für den Versuch, diese flächendeckende Überwachung sprachlich zu verheimlichen, erhält der Begriff ,Metadaten‘ einen Big Brother Award 2014.

zu Protokoll geben

Wenn es schnell gehen muss im Bundestag, oder wenn es schon spät ist, dann werden keine Reden mehr gehalten. Dann nehmen die Abgeordneten ihre fertigen Manuskripte und geben sie zu P. Sprachlich ist das korrekt, sie landen in der Akte, die alles chronologisch verzeichnet, eben dem P. Auch der Öffentlichkeit werden die Reden nicht vorenthalten, jeder kann sie nach ein paar Tagen dort lesen. Ist das also schlimm? Fehlt den Reden nicht vielleicht nur eine „gewisse Würze“, weil es keine Zwischenrufe gibt, wie es der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Tauber in seinem Blog mal schrieb?

Nein, es ist schlimm, dem Parlament fehlt mehr. Ihm fehlt die Debatte und damit die Daseinsberechtigung. Und den Wählern fehlt Transparenz. Reden zu P. zu geben, ist noch nicht lange üblich. Es schlich sich vor ein paar Jahren ein, 2012 beschloss der Bundestag dann, seine Geschäftsordnung zu ändern und legte fest, dass im Parlament nicht unbedingt gesprochen werden muss. Kein Problem, lautet ein Argument der Befürworter, gesprochen und verhandelt werde ja in den Ausschüssen und in den Fraktionssitzungen. Wenn Gesetze ins Plenum kämen, seien sie sowieso längst beschlossen, die Reden dort also nur eine Form modernen Theaters, das man schadlos sparen könne.

Es mag sein, dass die Reden nur Theater sind, aber das macht das Ganze nur schlimmer. Ausschüsse und Fraktionssitzungen finden gern unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Streit und Meinungsfindung bleiben somit geheim, niemand kann sehen, wer welche Haltung vertrat oder vielleicht änderte. Dabei ist genau das eine Errungenschaft unserer Zivilisation: öffentlich zu streiten, ohne sich die Schädeldecke einzuhauen. Diesen Streit zu sparen, damit es schneller geht, ist gefährlich. Die Abgeordneten nehmen sich dadurch die Chance, in der Debatte vor aller Augen eine Meinung zu finden. Und sie nehmen den Wählern die Möglichkeit, die Meinungsvielfalt zu erleben, die im Parlament und damit in der Gesellschaft existiert.

Aber es ist nicht nur die fehlende Transparenz. Das P. ist zu einem Weg geworden, Demokratie zu umgehen. Mit seiner Hilfe werden gern Vorschläge der Opposition begraben: Erst im Ausschuss dank Regierungsmehrheit abgelehnt, anschließend im Parlament schnell via P. verabschiedet und noch schneller vergessen. Lästige Gesetzesvorlagen muss man ja nicht auch noch mit der Aufmerksamkeit langer Debatten adeln, oder? Das zeugt von Missachtung der politischen Opposition. Und der Wähler. Denn es ist beileibe nicht nur unwichtiger Kram, der auf diese Art hastig abgehandelt wird. Mindestlohn, Adresshandel, Pressefreiheit, Netzneutralität, Genmais, Opferschutz – viele wichtige Gesetze wurden so schon verklappt. Beim Leistungsschutzrecht kam es nur zur nächtlichen Debatte, weil Tausende sich über den Plan aufregten, alles nur zu P. zu geben.

Haben die Volksvertreter einfach keine Lust mehr, sich zu streiten? Schwer zu glauben, da sie es gleichzeitig im Fernsehen umso lieber tun. Mit einem entscheidenden Unterschied: Die Besetzung in Talkshows hat niemand gewählt, welche Meinung und welche Fraktionen dort sitzen, entscheidet nicht die Öffentlichkeit. Zu P. geben? Sprachlich mag das keine Lüge sein, im Sinne der Demokratie aber ist der Ausdruck ein Euphemismus. Er verbirgt, dass damit unbequeme Gesetze in den Akten verklappt werden sollen. Er ist ein parlamentarisches Armutszeugnis. Der Bundestag hat sich damit selbst entmachtet. Übrigens, der Name Parlament kommt von parlare. Das heißt reden.