Internetkriminalität

Es gibt in politischen Reden und in Dokumenten des Bundeskriminalamtes keine Briefkriminalität, keine Rohrpostkriminlität, keine Autokriminalität und keine Postkutschenkriminalität. Nur um ein paar Beispiele zu nennen. Dabei können sie alle als sogenanntes Tatmittel dienen, als Weg also zu einer Straftat. Genau wie das Internet. Warum also gibt es in Äußerungen von Politikern und Polizisten eine I.? Es steht zu befürchten, dass damit ein Vorurteil transportiert werden soll. Denn das Internet ist neutral, genau wie Briefe, Rohrpostsendungen, Autos und Postkutschen. Menschen begehen die Urheberrechtsverletzung, den Betrug oder die Erpressung. Nicht das Netz.

Herzlichen Dank an Mitpodcasterin Constanze K., die in der Enquetekommission “Internet und digitale Gesellschaft” im Bundestag fragte, was dieser Begriff in der Überschrift eines Abschnitts zu suchen habe. Leider ohne Ergebnis.

Grenzschutzagentur

Nicht immer will politische Sprache übertreiben, manchmal geht es auch darum, einen Gegenstand etwas harmloser aussehen zu lassen. Wie bei der G., die sich dazu des Ausdrucks Agentur bedient. Sprachlich ist sie damit eine Vertretung, die entweder einen Grenzschutz vermarktet, Grenzschützer repräsentiert, oder eine Grenze vor irgendjemandem schützt. Inhaltlich geht es jedoch um Polizisten, ausgerüstet und losgeschickt, um die europäischen Grenzen zu überwachen und Menschen zu verjagen, die sich diesen Grenzen nähern – somit eine Grenzpolizei, beziehungsweise das Oberkommando derselben. Denn die G. koordiniert die nationalen Grenzpolizeien. Noch weniger hilfreich ist das oft verwendete Akronym Frontex. Das ist zusammengezogen aus dem französischen Frontières extérieures ‚Außengrenzen‘. Über die Tätigkeit der Polizisten, die Flüchtlinge verhören, aber auch neue Überwachungstechniken testen, sagt das nichts.

Experte

Es gibt Wörter, die streuen wir in unsere Sätze ein, obwohl sie keinen tieferen Sinn haben. Sie sollen lediglich über Lücken im Text hinweghelfen und dabei ein kuscheliges Gefühl vermitteln. In der Linguistik werden sie, eben weil sie überall stehen könnten, Passepartoutwörter genannt (französisch für passer ‚hindurchgehen‘ und partout ‚überall‘). Der E. ist ein solches Füllwort. Einst war damit mal jemand gemeint, der überdurchschnittlich viel von einem Gebiet versteht, der darin also erprobt ist, auf lateinisch expertus. Inzwischen allerdings wird der E. vor allem von Medien als Titel für all die Menschen verwendet, die entweder keine anständige Berufsbezeichnung haben oder deren Beruf so kompliziert ist, dass er nicht in die dreißig Zeichen langen Untertitel auf dem Bildschirm passt. So werden diese dann zum Beispiel zu Internet-E., Terrorismus-E. oder Wirtschafts-E., gelegentlich auch hochgeschwurbelt durch den Zusatz ,führende‘. Das klingt kompetent und soll darüber hinwegtäuschen, dass der Betreffende auch nicht mehr über die Situation weiß, als die Moderatoren und die Zuschauer. Denn seit Massenmedien allein in Deutschland täglich gefühlte dreihundert E.-n verheizen, um die komplizierte Welt zu erklären, werden sie knapp. Insofern ist der Begriff längst Medienneusprech und steht nicht mehr für einen Fachmann, sondern für ‚irgendjemanden, der bereit war, mit uns über diesen Unsinn zu reden‘. Oder, wie der Medien- und/oder Internetexperte Stefan Niggemeier in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ schrieb: „Wer solche Experten kennt, braucht keine Laien.“

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

berufsqualifizierend

Wie gut klingt es, wenn ein Studienabschluss b. ist! Leider stimmt es nicht, jedenfalls nicht im Wortsinn, denn ein Studienabschluss wie der Bachelor qualifiziert nicht für einen Beruf, sondern qualifiziert eher allgemein, so dass man danach einen Beruf erlernen kann, für den mehr als nur das Abitur benötigt wird. Treffender wäre also die Bezeichnung einstellbar. Und siehe da: b. ist die deutsche Übersetzung für englisch employable, was in der Tat nicht mehr und nicht weniger heißt als ‚einstellbar‘. Das englische Wort wird daher auch im Deutschen gern als Ersatz für b. verwendet. Dummerweise ist der Gebrauchskontext und damit die genaue Bedeutung in Großbritannien aber eine andere: Dort wird es nämlich im Bereich von Sozialmaßnahmen für Jugendliche verwendet, die eben weil sie psychisch oder sozial auffällig sind, nicht einstellbar sind. Da sind wir dann wieder weit vom deutschen Hochschulwesen weg, denn bei aller Kritik wird niemand ein Bachelorstudium als psychisch-soziale Maßnahme ansehen.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

Exzellenzinitiative

Neusprech ist die Kunst, von Schwächen abzulenken, oder noch besser, sie als Stärken zu verkaufen. Besonders funkelnde Wörter sollten daher stutzig machen. So wie die E., sie gleißt geradezu: Exzellent sind nur überragend gute Dinge. Eine Initiative außerdem ist entweder ein Anstoß, der Beginn von etwas Neuem. Oder sie ist, wie in Bürgerinitiative, ein Zusammenschluss von Vielen, um gemeinsam ein höheres Ziel zu erreichen. Was also will die E.? Soll sie ein erster Schritt sein, um zu erreichen, dass deutsche Universitäten wahnsinnig gut werden? Oder soll sie diverse, in ihren Fachgebieten führende Forscher zusammenbringen, damit sie gemeinsam etwas Neues, noch nie Dagewesenes schaffen? Der Begriff selbst verrät es nicht. Was unter Umständen die Absicht seiner Erfinder war. Denn wer sich die Idee der E. anschaut, kommt schnell dahinter, dass es hier um etwas anderes geht, um Mangelverwaltung. 1,9 Milliarden Euro hatte der Staat übrig und wollte damit die Universitäten vier Jahre lang fördern. Bekäme jede Hochschule etwas, beschränkte sich die Förderung auf ein paar neue Drucker und vielleicht noch hier und da eine Mikrofonanlage für den Hörsaal. Da das nicht sonderlich funkelt und nicht zum Angeben taugt, entstand bei Politikern die Idee der E.: Wenige bekommen viel und sehen damit gut aus, der Rest soll sehen, wo er bleibt. Verzeihung, die anderen sollen das natürlich als Ansporn betrachten. Das hat den Vorteil, dass sich mit den Auserwählten prima protzen lässt. Auch wenn es in der Summe natürlich noch immer nicht viel bringt, schon gar nicht für alle. Zu wenig Geld ist eben zu wenig Geld, egal, wie es verteilt wird. Siehe auch → Leuchtturmprojekt.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“.