Vertrauen, vollstes

Man kann jemandem vertrauen – oder eben nicht. Zwischenstufen, etwa halbes Vertrauen, ein bisschen Vertrauen oder ziemlich viel Vertrauen sind kaum denkbar. Dass Vertrauen immer vollständig ist, kommt schon durch die Wortbildung zum Ausdruck, denn etymologisch ist vertrauen ein vollständiges trauen und zwar nach lateinischem Vorbild, wo confidere eben ein vollständiges fidere (‚(ver-) trauen, glauben‘) ist. Aber die Neigung von Politikern zur Übertreibung beziehungsweise zur Hyperbel kann sogar die Vollständigkeit noch vervollständigen. So wurde aus Vertrauen volles Vertrauen und aus vollem Vertrauen wie gerade mal wieder bei der Bundeskanzlerin vollstes Vertrauen. Mehr geht nun wirklich nicht! Gerade die Übertreibung weckt allerdings Zweifel daran, ob es überhaupt weit her ist mit dem Vertrauen – das übrigens mit dem Konzept der Treue wortgeschichtlich zusammenhängt. Jedenfalls ist mit dem Superlativ das Ende erreicht: Wenn ein Politiker sich genötigt fühlt, einem anderen vollstes V. zu schenken, kann danach nur noch der Absturz kommen. Merke: Wer den Gipfel erreicht hat, dem bleibt nur noch der Weg nach unten.

Mit Dank an Sascha L. für die Inspiration.

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42 Kommentare

  1. Ein Gedanke: Könnte es sein, dass dieses Vertrauen aussprechen von DDR-Sprech inspiriert wurde? In alten DDR-Zeitungen findet man öfter mal sowas wie: “Michail Sergejewitsch Gorbatschow, Staatspräsidenten der UdSSR, sichert Erich Honnecker, Generalekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzenden, sein Vertrauen in der Angelegenheit zu.

  2. Wo in diesem Beitrag ist die Entlarvung der Sprachlüge? Die Dreistigkeit und Raffiniertheit, jemanden das vollste Vertrauen auszusprechen, liegt doch in der Eleganz, gleichzeitig 1.) jegliche Verantwortung aufgrund angeblicher und scheinbar berechtigter Unkenntnis von sich zu weisen, 2.) die betreffende Person ohne den geringsten Verdacht des Verrats im Stich zu lassen und 3.) der jeweils komplimentierten Person jede Verteidigung zu nehmen, ohne dass sie sich selbst als vertrauensunwürdig brandmarken muss. Alles ethymologische Geschwurbel ist doch nebenrangig. Sorry!

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