Gipfel

Ein G. ist, neben der in der Landschaft herumstehenden Bergspitze, ein Treffen von Politikern, in diesem Zusammenhang gern „Spitzenpolitiker“ genannt. Dabei suggeriert die namensgebende Bergkuppe, dass bei einer solchen politischen Zusammenkunft irgendein Höhepunkt erreicht, irgendein Problem bezwungen, eben irgendein G. erklommen wird. Das aber geschieht praktisch nie. Es gab tatsächlich eine Zeit, als bei einem Stelldichein führender Politiker Kriege beendet, die Zukunft ganzer Landstriche geplant, ja überhaupt weltverändernde Entscheidungen getroffen wurden. Aber das ist lange her. Damals hießen die Runden auch noch sehr viel weniger protzig Konferenz, abgeleitet vom lateinischen conferre ‚zusammentragen‘. Heute hingegen kommt jedes Kaffeekränzchen von ein paar Wirtschaftsministern gleich als G. daher. Was viel über die dort geführten Verhandlungen sagt. Denn, so lautet eine stehende Neusprech-Regel, je großspuriger die Verpackung, desto dürftiger der Inhalt. Und tatsächlich sind die Ergebnisse solcher Veranstaltungen inzwischen so mager, dass es den Teilnehmern oft schwerfällt, sie anschließend als Erfolg zu verkaufen. Was sicher auch daran liegt, dass die als „Spitzenpolitiker“ Gerühmten selbst gar keinen Anteil mehr an dem ganzen Prozess haben. Die Verträge und Abschlusserklärungen nämlich werden längst von sogenannten Sherpas ausgehandelt, lange bevor sich die Politiker überhaupt treffen. Professionelle Bergführer also bestimmen, was die gewählten Vertreter der Völker anschließend nur noch verkünden dürfen. Die G. sind damit so etwas wie der vorgetäuschte Orgasmus der Politik: Sie sehen wichtig aus, sind viele Millionen teuer, haben aber keinen Höhepunkt. Ein Schwindel also.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

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3 Kommentare

  1. Der Gipfel ist einer der zahllosen unerkannten Anglizismen der deutschen Sprache mit einer erfreulichen unbeabsichtigten Nebenwirkung: “Das ist der Gipfel” versteht jeder als den Gipfel der Unverschämtheit.

  2. Sehr richtig, heutige Gipfeltreffen sind eigentlich Konferenzen. Wie viele Staatsmänner hätten auf einem Berggipfel Platz, ohne herunterzufallen? Und die Luft dort ist dünn, schneidend dünn. Das ist alles eine Dimension zu groß für die Merkels, Barrosos und Rajois. Die könnte ich mir nur in Atemmasken vorstellen und einer Hubschraubereskorte um sie herum. G8-Treffen sind kein Jalta oder Reyjkavik.

    Gipfel heute zeichnen sich durch den Nebel aus, der die obere Sphäre von der unteren Sphäre trennt.

  3. Dieser Artikel beschreibt – sehr treffend – den Sprachgebrauch des Begriffes im Kontext internationaler Politik. In der Innenpolitik gibt es auch eine ganze Reihe von Gipfeln: gerade eben lesen ich in den Nachrichten die Ankündigung des nächsten Gipfels, des “Intergrationsgipfels” am 28.05. 2013.
    Diese innenpolitischen Gipfel haben kosten vielleicht nicht mehrere Millionen wie die internationalen Zusammenkünfte, aber der Mechanismus dahinter scheint mir ein ähnlicher zu sein: große Reden schwingen, einen Durchbruch vorgaukeln und viel heiße Luft zu produzieren. Nicht zu vergessen, das obligatorische Foto für die Presse.

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