Finanzindustrie

Ein Gastbeitrag von Matthias G.

Suggeriert, dass diese Branche etwas Handfestes produziert und damit einen Mehrwert schafft, obwohl dem natürlich nicht so ist. Denn bei credit default swaps werden viele Schulden lediglich mit wenigen echten Werten zu einem neuen Finanzprodukt Zockerpapier verpackt, was – zugegeben – auch irgendwie kreativ ist. Dabei hat dieses dann auch noch ein scheinbar geringeres Ausfallrisiko als seine einzelnen Bestandteile. Weswegen es Manchem sogar mehr wert ist als die Summe der in ihm zusammengefassten Papiere lauernden Einzelrisiken. Doch auch wenn dieser Mehrwert nur in der Vorstellung der Aktienhändler existiert, hält die Allgemeinheit diese Praxis der Banken und Versicherungen offenbar für Wertschöpfung und Veredelung. Und nimmt es daher klaglos hin, wenn die F. solche Produkte produziert und damit, statt Werte zu schaffen, ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzt.

Wahrscheinlich ist die Motivation, sich solche Worte auszudenken, ähnlich wie bei den Benennungsverschiebungen von Atomkraft zu Kernenergie oder von Vorratsdatenspeicherung zu Mindestspeicherdauer: Die neuen Begriffe klingen einfach viel schöner, mehr nach ehrlicher Arbeit. Beziehungsweise: Die alten Begriffe haben inzwischen einen ziemlich üblen Klang, und zwar aufgrund des Handelns der Protagonisten. Warum sonst sollten Banken und Versicherungen, die früher immerhin als Geldverleiher beschimpft wurden, dann aber lange als respektable Unternehmen galten, nun gern als F. bezeichnet werden wollen?

Vergleiche auch: Finanzprodukt; Metonymie, die den Eindruck erweckt, dass in einem aufwändigen Produktionsprozess „finanzielle Rohstoffe“ „veredelt“ werden. Gemeint sind jedoch Aktien und andere Wetten auf die Zukunft, deren Wert allein durch die Gier des Käufers definiert wird und eigentlich nur durch dessen Hoffnung existiert.

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18 Kommentare

  1. Insgesamt sehr schön auf den Punkt gebracht. Der Vergleich mit der Kernenergie hinkt. Dieser Begriff war schon immer der präzisere. Ein seriöser Wissenschaftler sagt in der Regel nicht Atomkraft, weil das einfach nicht den physikalischen Tatsachen entspricht. Atomkraft war bisher immer nur ein vereinfachender Ersatzbegriff in den Massenmedien und der Politik. Da diese Energiequelle in Misskredit gekommen ist und als Ablenkung die eigentlich sinnvollere Bezeichnung Kernkraft verwendet wird ist schon fast wieder eine Ironie des Schicksals.

  2. Schöner Beitrag! Mir sind nur einige Kleinigkeiten bei der Argumentation aufgefallen:

    Das Wort “Industrie” im Wirtschaftskontext entlehnt sich eher dem englischen “Industry” – auch: Branche, Gewerbe, Wirtschafszweig. So kam es in deutschen Unternehmen und der Wirtschaftspresse zu einer semantischen Verschiebung des Wortes “Industrie”. Es ist also die Finanzbranche gemeint.

    Im Übrigen: Auch die Rüstungsindustrie (hier: produzierendes Gewerbe) produziert sehr handfeste Dinge, die der Allgemeinheit eher schaden als nutzen. Aber sind es deswegen keine Produkte? Die Frage ist nur – wie bei Finanzprodukten auch -, wem Wert gestiftet wird, und wie der Wert aussieht ;)

    Nichtsdestotrotz kann man – so denke ich – dem Tenor dieses Beitrags zustimmen, dass gewisse Konnotationen bei der Wortwahl nicht ungewünscht sind.

  3. Günther Schramms Ansichten halte ich inzwischen für problematisch. Zinskritik ist keine vernünftige Argumentation (s. hier und hier. Zinskritik ist nicht nur im logischen Sinne verkehrt. Problematisch ist vor allen Dingen die Personalisierung in Form persönlicher Schuld von Geldverleihern, Bänkstern und Spekulanten am Desaster. Gerade die Qualifizierung des Zinses als “leistungslosem Einkommen”, das insinuiert, daß Zins Einkommen sei, das nicht ehrenhaft erlangt wurde, sondern der Gesellschaft gestohlen wurde, offenbart, daß es sich bei Zinskritik nicht um Kritik am System handelt (s. hier) sondern um Apologie desselben, denn gerade der Begriff “Leistung” ist Kern kapitalistischer Ideologie und Rechtfertigung aller Gebrechen, die der Kapitalismus hervorbringt.

    Auch die Verteufelung von Derivaten, insbesondere von CDS, ist eher unangemessen (s. hier).

    Häufig mißverstanden wird auch das Zinsverbot der Religionen. Günther Schramm vergißt hier, daß sich Zeiten ändern. In den alten Subsistenzwirtschaften, also in einer Wirtschaftsform, in der die Menschen ausschließlich für den eigenen Bedarf produzierten, benötigte man den Kredit nicht. Zinsen waren Ausdruck liederlichen Lebenswandels, das der Gesellschaft Schaden zufügte wie Alkohol und Drogen. Die moderne Gesellschaft ist aber eine warenproduzierende Wirtschaft. Kredite sind hierin eine Form der Kapitalverwertung. Unternehmer borgen sich ja nicht Geld, weil es bis zum Monatsende nicht reicht, sondern um sich Profitquellen zu schaffen. Das ist etwas ganz anderes.

  4. @JMe
    “Das Wort “Industrie” im Wirtschaftskontext entlehnt sich eher dem englischen “Industry” – auch: Branche, Gewerbe, Wirtschafszweig. So kam es in deutschen Unternehmen und der Wirtschaftspresse zu einer semantischen Verschiebung des Wortes “Industrie”.”

    Semantische Verschiebung – schön gesagt. Früher hätte man das einfach einen Übersetzungsfehler genannt.

  5. Der gleiche Unsinn ist in der Energiewirtschaft zu beobachten. Aus der Steckdose kommt immer nur Strom, und zwar genau der, der den physikalischen Gesetzen folgend dorthin gelangt. Aber die Kaufleute und Marketingexperten haben es geschafft, daraus ein Marken”produkt” zu machen. Auf dem Papier bekommen Sie Wasserkraft aus Österreich oder Skandinavien, garantiert atomfreien Solarstrom und was da sonst noch so gerade hip ist. Hunderte von “Produkten”, die sich eigentlich nur in Preis, Zahlungsmodalitäten und Empfänger der Dividende unterscheiden. Den “Energiemix” im Netz beeindruckt das wenig.

  6. Tach neusprech!
    Famoser Blog, lese (und verbreite) ich mit Vergnügen.
    Aktuell: Habt Ihr Euch schon ‘mal mit dem V-Mann auseinandergesetzt? V = Vertrauen – Vertrauen im Sumpf?, Vertrauen in ein Mitglied von braun …, kriminell …, … Ja, geht’s noch? Komplett verbieten, so eine Schoiße!!

  7. die Argumentation mit dem fehlenden handfesten Produkt trifft auf viele Dienstleistungen zu. Da aber in der Dienstleistungsindustrie, der Softwareindustrie usw. durchaus Werte geschaffen werden, möchte ich das der Finanzindustrie nicht absprechen. Außerdem ist für mich der Begriff Industrie auch nicht positiv besetzt, sondern verbunden mit Unnatürlichkeit auf der einen und mit Massenfertigung auf der anderen Seite.

    Ich möchte auch kein Loblied auf die Finanzwelt singen, aber der Text ist nach meinem Geschmack sehr einseitig formuliert. CDS sind tatsächlich ein Negativbeispiel aus der Produktpalette der Finanzwelt, obwohl es für die tatsächlichen Risikoinhaber durchaus sinnvoll ist, solche Absicherungen vornehmen zu können.
    Und eine Aktie so negativ darzustellen, trifft zwar den aktuellen Zeitgeist. Aber gedacht ist das Papier ja eher zur Verteilung einer Investition in eine Unternehmung auf möglichst viele Schultern. Natürlich ist das auch eine Wette in die Zukunft, aber das ist jede Form von Unternehmen.
    Es gibt auch noch andere Produkte der Finanzwelt, z.B. ein Girokonto, eine Kreditkarte, einen Kredit und eine Anleihe, ohne die unsere Welt schon bedeutend komplizierter wäre. Das sehe ich schon als Werte an, die von der Finanzindustrie geschaffen werden.

    Was sicherlich hinterfragt werden muss, sind Produkte, die rein spekulativen Zwecken dienen und darüber hinaus einen hohen Komplexitätsgrad haben. Fasziniert bin ich allerdings auch darüber, dass die Finanzwelt sich zwar regelmässig total abgedrehte Finanzprodukte ausdenkt, am Ende aber immer irgend welche Leute so etwas kaufen.

  8. Es hat sich ein inhaltlicher Fehler in den Artikel eingeschlichen:
    “Denn bei credit default swaps werden viele Schulden lediglich mit wenigen echten Werten zu einem neuen Finanzprodukt Zockerpapier verpackt, was – zugegeben – auch irgendwie kreativ ist.”
    CDS-Kontrakte sind eher eine Art Kreditausfall-Versicherung, zumindest werden sie oft dafür genutzt. Was der Autor eigentlich meinte, sind Collaterized Debt Obligations – dort werden die Gewinnansprüche (und Verlustrisiken) vieler Wertpapiere gebündelt und als neue Papiere (mit verschiedenen Kategorien) an Investoren verkauft.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Collateralized_Debt_Obligation

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