Gibt es endlich ein Gesetz, dass den Netzausbau in Deutschland durchsetzen soll? So zumindest klingt das N., weil Durchsetzung ein Tätigkeitsnomen ist: Wenn ein solches Nomen wie hier mit einem nominalen Erstglied versehen wird, ist dieses Nomen das Objekt des zugrundeliegenden Verbs: Flurbereinigung, Telekommunikationsüberwachung, Zugangserschwerung. Doch das N. ist anders. Hier bleibt offen, was durchgesetzt werden soll, der Name verschleiert es. Wer verstehen will, wozu das N. dient, muss das Gesetz selbst lesen. Die Lektüre zeigt, dass mit Netzwerk nicht etwa das physische Netz gemeint ist – also das Internet, sondern die sozialen Medien, die bisweilen soziale Netzwerke genannt werden. Nebenbei: Beides sind eher unbeholfene Lehnübersetzungen aus dem Englischen. Wenn aber schon die Bezeichnung eines Gesetzes Murks ist, dann gilt das oft auch für den Inhalt. Das N. ist ein Beleg für diese Theorie. Denn von ihm betroffen sind nicht nur Facebook, Google und Twitter, auf die es das federführende Ministerium eigentlich abgesehen hatte, sondern praktisch alle, die im Internet Inhalte anbieten. Da ihnen dank des N. hohe Strafen drohen, wenn sie Inhalte verbreiten, die nach den Regeln des Gesetzes problematisch sind, werden viele vorauseilend löschen, was sie für problematisch halten, ohne genau zu prüfen, ob die Äußerungen nun wirklich rechtswidrig sind oder nicht. Statt die Justiz anzurufen, wird hier Selbstjustiz gefördert. Statt auf erprobtem Wege mithilfe von Gerichten die Rechte der Bürger durchzusetzen, fordert der Staat mit dem N. von jedem Anbieter im Netz Zensur. Wer zuviel Bilder, Kommentare, Äußerungen löscht, auch wenn sie gar kein Problem sind, soll straffrei bleiben, nur wer zu wenig löscht, soll bestraft werden. Dass dadurch wirklich Hass und Gewalt im Internet eingeschränkt werden können, glaubt außer dem Bundesjustizminister kaum jemand. Ganz bestimmt aber wird das N. die Meinungsfreiheit stark beeinträchtigen, sollte es wirklich zu gültigem Recht werden. Bessere Bezeichungen für dieses unausgegorene juristische Machwerk wären also: Meinungsbeschränkungsgesetz oder Zensurdurchsetzungsgesetz.
Genauso Neusprech ist die Antwort auf dieses Gesetz: die “Deklaration für Meinungsfreiheit” auf http://deklaration-fuer-meinungsfreiheit.de/ – darin steht zu lesen:
“Gegen strafrechtlich relevante / rechtswidrige Inhalte muss effektiv vorgegangen werden können. Und zwar mit allen gebotenen und verhältnismäßigen, dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln. […] Wir sind der Auffassung, dass eine politische Gesamtstrategie notwendig ist, um das Aufkommen von Hassrede und absichtlichen Falschmeldungen im Netz einzudämmen. Wir erkennen an, dass Handlungsbedarf besteht, […]”
Es geht den Beschwerde-Führern also nicht darum, die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu verhindern. Sie wollen sie auch, nur wollen sie sie anders ausgestaltet sehen, als es im Gesetzesentwurf der Fall ist.
Die “Deklaration für Meinungsfreiheit” ist also in Wirklichkeit eine “Deklaration gegen zuviel Meinungsfreiheit, aber anders” – und damit ebenfalls Neusprech.
Meinungsfreiheitvernichtungsgesetz
Ein Aspekt, den ich bisher eher selten gelesen habe, ist der, dass Netzwerkbetreiber mit diesem Gesetz praktisch zu staatlichen Akteuren gemacht werden. Aber eben nur de facto, nicht de jure. Die Entscheidung, einen Beitrag aufgrund dieses Gesetzes zu löschen, ist im Prinzip eine Entscheidung der Exekutive. Da sie aber von einem privaten Akteur getroffen wurde, gibt es kein Recht auf einen Rechtsweg.
Betont man das Wort auf der 4. Silbe kommt der Sinn und Zweck besser zum Vorschein. Das Netzwerk wird von Stolperfallen und Kontrollinstanzen durchsetzt oder auch zersetzt.
@Volker Birk: Sie missverstehen da etwas. Die Deklaration für Meinungsfreiheit nennt doch explizit “strafrechtlich relevante / rechtswidrige Inhalte” und diese werden und wurden nicht durch das Recht auf freie Meinung abgedeckt. Denn dieses Grundrecht kennt seine Grenzen, nämlich genau dort, wo die Rechte von anderen verletzt werden; dann wird aus der freien Meinung eine Straftat, wie bspw. Beleidigung oder Verleumdung, etc.
Gegen diese Straftaten soll und muss natürlich vorgegangen werden, und ja, es ist da auch notwendig, sich der neuen technischen Möglichkeiten zur Verbreitung von eben solchen Äußerungen, die nicht mehr Meinung, sondern Straftat, sind vorzugehen. Das NetzDG allerdings ist denkbar ungeeignet, da es einerseits eben auch viele Meinungen, d.h. nicht strafbare Äußerungen/Inhalte, durch Löschung unterdrücken wird, aber eben nicht präventiv gegen strafbare Äußerungen/Inhalte wirkt.
Ein weiterer, oft vergessener, Punkt ist, dass man laut NetzDG auch als Privatperson einen Auskunftsanspruch gegenüber Betreibern wie Facebook, etc. bzgl. der persönlichen Daten derjenigen hat, die zu löschende Inhalte verbreiten; und das dann aber unabhängig davon, ob die Strafbarkeit dieser Inhalte überhaupt jemals festgestellt wurde.
Wenn man den Namen so versteht, dass Netzwerke mit etwas durchsetzt werden sollen (beispielsweise mit einer gefühlten oder angenommenen “richtigen Meinung”), dann passt es wieder…