Das G. ist eine Rechtsform der Antike. Damals gab es Vereinbarungen, Gästen Schutz zu garantieren, die in Rom zwischen Familien, in Griechenland zum Teil zwischen (Stadt-) Staaten geschlossen wurden. Ethik und Religion banden den Gastgeber, aber nicht das Gesetz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zum ersten Mal in der Geschichte eine weltweite, völkerrechtlich gültige Konvention geschaffen, um Flüchtenden eine Zuflucht zu bieten. Das Asylrecht soll es Verfolgten ermöglichen, in einem anderen Staat eben Schutz vor Verfolgung zu finden. Es gilt in allen Staaten, die sich der Genfer Flüchtlingskonvention angeschlossen haben. Das sind immerhin 147. Es gilt für alle Schutzsuchenden – ohne Obergrenze. Ausgenommen vom Asylrecht sind lediglich Kriegsverbrecher (denen ist der Prozess zu machen). Ansonsten kann es nicht verwirkt werden. Selbst dann nicht, wenn eine geflüchtete Person eine Straftat begeht. Ja, sie kann nach Paragraf 33 Absatz 2, ausgewiesen werden, wenn sie für eine Straftat verurteilt wurde und/oder erwiesenermaßen eine Gefahr für die Sicherheit darstellt. Aber sie darf nicht dorthin zurückgeschickt werden, wo Verfolgung oder Tod auf sie warten. Denn keine Straftat darf menschenunwürdig bestraft werden. Wer das Asylrecht als G. bezeichnet und damit suggeriert, dass es eine freiwillig erteilte Gnade ist, entwertet ein im Grundgesetz verankertes Menschenrecht und verharmlost das Leid der Verfolgten.
Der Podcast mit der längsten Vorfreude: Neusprechfunk 7
Der Neusprechfunk sieben, verehrte und vermutlich überraschte Hörer, steht zum Abruf bereit. Wir haben den Podcast nach längerer Sendepause im Januar aufgenommen und einen Rückblick auf das vergangene Jahr gewagt. Vollständigkeit wollen wir aber natürlich nicht beanspruchen.
Unser beliebtes Gewinnspiel war diesmal mehrseitig: Während unseres Gesprächs erkiesen wir einen neuen Gewinner und berichten kurz von der Übergabe des Preises vom letzten Podcast. Gleichzeitig haben wir selbst gewonnen und Geschenke eingeheimst. Selbstverständlich verraten wir aber nichts, schließlich wollen wir ja mehr Podcast-Hörer anlocken.
Die europäische Politfigur des Jahres war wohl Yanis Varoufakis (pdf), Hochschullehrer in Politischer Ökonomie, Mikro- und Makroökonomie und ehemaliger griechischer Finanzminister. Wir nähern uns an seinem Beispiel der Frage, ob man nur noch als Antiheld ein populärer Politiker sein kann, und analysieren seinen Sexappeal, auch im Vergleich zu anderen Politikern.
Wo wir bei Antihelden sind: Beim Rückblicken darf natürlich der wirklich unsägliche Donald Trump nicht fehlen, dem Yascha Mounk in der FAZ einen Artikel widmet:

Er zieht einen Vergleich zu einem europäischen Politiker ähnlicher Exzentrik und schreibt über Politikverdrossenheit, unheilbar korrupte Politsysteme und Vorhersagen, die durch sich selbst wahr werden, also selbsterfüllende Prophezeihungen. Die bestünden darin, dass mangelndes Vertrauen in die Politik dazu führe, dass Politiker Probleme nicht lösen könnten. Und wenn sie keine Probleme lösen würden, schwinde wiederum das Vertrauen.
Außerdem gibt uns Mounk ein neues Schlagwort mit, zu dem wir uns wohl bekennen müssen: der neue Zynismus, ein bissiger, manchmal verletzender Spott.

Wie so oft, hat uns außerdem FAZ-Polit-Redakteur Jasper von Altenbockum beschäftigt, der die Snowden-Falle ausgemacht haben will:

Das führt uns direkt zum NSA-BND-Untersuchungsausschuss, der im Rückblick nicht fehlen darf und ein Quell hochkarätiger Neusprech-Wendungen war. Wir erwähnen die Live-Lesung beim Chaos Communication Congress, in der die Begriffe in den Kontext gerückt wurden:

Die BND-Mitarbeiter und Beauftragten der Bundesregierung, die als Zeugen im Ausschuss sprechen mussten, bescheren uns etwa das schöne neue Wort erfahrungswissenschaftlich.
Weniger schöne Worte nutzt Innenminister Thomas de Maizière bei der Beschreibung der Lage. Die ist natürlich wie immer ernst, wie ernst genau, mag er aber nicht sagen. Der Lage-Minister bleibt so vage in seinen Äußerungen zu terroristischen Gefahren, dass er Unsicherheit und damit Angst schafft, statt sie abzubauen.
Natürlich war das Jahr geprägt von den Menschen, die aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien nach Europa kommen. So sprechen wir über Flüchtlinge, das Recht auf Asyl, Entwicklungshilfe, Fluchtursachen und deren Bekämpfung, unter anderem mit Bomben.
Doch nicht nur Bomben, auch ein vollendeter Überwachungsstaat wird zur Bekämpfung von manchen herbeigesehnt, nämlich wenn es gegen den Terrorismus geht. Dem auch im letzten Jahr populären Thema können wir uns nicht entziehen. Es geht im Neusprechfunk 7 (mp3) daher auch um einen Klassiker der Terror-Anekdoten, nämlich die Sauerland-Gruppe, deren Geheimdienst-Verbindungen vom SPIEGEL thematisiert wurden:

Die Weltgegend, wo sich Geheimdienste aller Couleur und befreundete Militärs geradezu drängeln, haben wir auch kurz in den Blick genommen. Ein ehemaliger SPD-Verteidigungsminister, Peter Struck, ließ sein Volk im Herbst 2001 wissen, dass die Freiheit der Bundesrepublik auch am Hindukusch verteidigt werden müsse. Das wird sie auch im Jahr 2016 noch, denn der robuste Einsatz ist weiter im Gange. Zwischendurch, im Jahr 2009, erschien ein SPIEGEL-Artikel, über den wir sprechen. Der Titel lautet Murads Rache und bezieht sich auf einen afghanischen Militärgeneral:

Bei der Gelegenheit darf der geneigte Hörer schon mal schätzen, welche Geldsummen beim Stabilisierungseinsatz am Hindukusch verbraten werden. Wir lösen im Podcast dann auf.
Wir sprechen neben dem Tummelplatz der Taliban auch über:
- nebulöse Hinweisgeber. Der Begriff wird zuweilen auch als Synonym für Whistleblower verwendet,
- die Pressemitteilung des Bundesinnenministers vom 1. Januar 2016 zur Sicherheitslage. Man handele demnach „umsichtig, besonnen und entschlossen“,
- „die schlechteste Behörde Deutschlands“ samt CDU-Politikern und Lageso-Verantwortlichen sowie deren stoischen Schlendrian,
- Luna- und Predator-Drohnen der Militärs,
- die Abschusspolitik, die ab 2005 gesetzlich geregelt worden war, und die Rettungstötung (pdf).
Hier ist der Neusprechfunk 7 als mp3. Alternativ gibt es eine ogg-Version von Neusprechfunk 7.
Wir bedanken uns für die Aufmerksamkeit! :}
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Neusprech-Unworte des Jahres 2015
Unworte des Jahres? Hier sind unsere. Die am meisten gelesenen Begriffe im Neusprechblog im Jahr 2015 waren in dieser Reihenfolge:
1. Videoschutz
2. Ersatz-Personalausweis
3. Routineverkehr
4. Transitzone
5. Geldgeber
6. Verkehrsdatenspeicherung
7. besorgt
8. Spurensicherung, digitale
9. Flüchtlingsstrom
10. Staatswohl
Aufgelistet sind nur die neuen Begriffe des jeweiligen Jahres. Der Ausdruck alternativlos erscheint daher nicht, obwohl er bisher noch jedes Jahr einen der vorderen Plätze belegte.
Das Unwort des Jahres des gleichnamigen sprachkritischen Projektes war 2015 der Gutmensch.
Floskeln als Krisenbarometer
Udo Stiehl und Sebastian Pertsch, die zwei Journalisten der Floskelwolke, durchsuchen täglich Google News und analysieren, welche von insgesamt 130 Floskeln dort wie oft erwähnt werden. Ihre Daten stellen sie allen Interessierten zur Verfügung. Wir haben daraus zwölf vor allem für das Thema Flüchtlinge und Asyl relevante Begriffe herausgesucht und ihre Erwähnungen im Jahr 2015 visualisiert. Das Ergebnis haben wir in unserem Vortrag beim 32C3 genutzt um zu belegen, dass sich in Floskeln und Phrasen zeigt, wie gesellschaftliche Probleme wahrgenommen und debattiert werden. Hier die Grafik:

Darin zeigt sich zum Beispiel, wie sich die gesellschaftliche Debatte zum Thema Asyl verändert. In den letzten Wochen des Jahres 2015 tauchen häufiger Begriffe auf, die vor allem Angst vor Flüchtenden schüren sollen wie Flüchtlingstsunami, Flüchtlingsansturm oder Phrasen wie das Boot ist voll.
Und es zeigt sich, dass der auch von Angela Merkel gern genutzte Ausdruck alternativlos so etwas wie ein Nullwert politischer Kommunikation ist, der immer passt.
Fluchtursachen, Bekämpfung von
Rechtfertigung für den Einsatz der Bundeswehr in Ländern wie Afghanistan, Irak, Mali oder Syrien. Die Bundeswehr solle die Menschen dort vor den Angriffen der in diesen Ländern bereits kämpfenden Nationen schützen, besagt die Doktrin, die Union und Teile der SPD verkaufen wollen. Bomben werfen also, damit die Menschen, die dort verzweifelt vor Bomben fliehen, bleiben und nicht nach Deutschland kommen … Das Konzept ist genauso bekloppt, wie es klingt. Was wohl der Grund für die verschwurbelte Bezeichnung ist? Zwar ist Bekämpfung zumindest sprachlich insoweit ehrlich, als es um Krieg und Kampf geht. Wobei das Verbalabstraktum Bekämpfung gegenüber Krieg und Kampf eine Abschwächung ist. Leider ist es sogar noch in der abschwächten Form eine Lüge, denn 500 Bundeswehrsoldaten können in Mali noch so viel spähen und schießen, sie werden kaum erreichen, dass das Land sicherer wird. Geschweige denn dort Demokratie einführen und wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen. An den Fluchtursachen ändert sich durch deutsche Soldaten nichts. Warum also sollen sie in Kriege geschickt werden? Zynischerweise nutzt vor allem die CDU/CSU die Angst von vielen ihrer Wähler vor Fremden aus, um Milliarden für Rüstung ausgeben zu können, statt sie als Entwicklungshilfe zum Bau von Schulen in den betroffenen Ländern „verschleudern“ zu müssen. Aus Eigennutz schürt die Union die irrationale Hoffnung, die Kriegsflüchtlinge blieben, wo der Pfeffer wächst, wenn man nur genug Krieg in ihre Länder trage. Sie nimmt dabei in Kauf, im Zweifel auch Diktaturen zu stabilisieren, wenn die als Gegenleistung ihre Menschen im Land einsperren festhalten. Übrigens: Ein sicher nicht ganz unerwünschter Nebeneffekt: Die Union nutzt die Angst vor Fremden, um den ihr längst lästig gewordenen deutschen Pazifismus gleich mitzubekämpfen.

