Arbeitgeber

„Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das ,Kapital’ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird.“ Den Satz schrieb Friedrich Engels im Vorwort zur dritten Auflage von Karl Marx’ „Kapital“. Geholfen hat es nichts, das Kauderwelsch ist inzwischen gang und gäbe, überall ist vom A. die Rede. Der klingt, als würde er der Welt einen Gefallen tun, wenn er den Menschen mit all ihrer überschüssigen Arbeitskraft großzügig die Möglichkeit gibt, sich an Arbeitsplätzen abzuarbeiten. Folgerichtig heißt der, der sich dort abarbeiten darf, dann auch → Arbeitnehmer. Für Marx selbst war Arbeitskraft ganz nüchtern eine Ware, die von dem einen verkauft und von dem anderen gekauft wird. Die sich jedoch überhaupt nur auf dem Markt befindet, weil der Anbieter keine anderen Waren verkaufen kann – also gezwungen ist, seine Arbeitskraft gegen Geld zu tauschen. Irgendwie haben es deutsche Firmenchefs und Politiker geschafft, dieses Verhältnis sprachlich umzudrehen. Die, die hier ,nehmen‘, haben gar keine andere Wahl, als jeden Tag eben jenem Verkauf ihrer Kraft zuzustimmen. Und im Übrigen auch nur wenig Einfluss darauf, wie hoch der Preis dafür ist.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah.‘“

Übersichtsaufnahme

Das Wort klingt nach Architekturführer, nach Röntgenbildern beim Arzt, nach astronomischen Beobachtungen. Es klingt harmlos. Das ist es nicht. Die Berliner Polizei spricht von Ü., wenn sie ohne Anlass eine friedliche Demonstration filmt. Schließlich, so lautet die Argumentation dazu, soll die Einsatzleitung die Übersicht behalten. Übersicht ist hier metaphorisch zu verstehen. Denn das Wort hängt mit übersehen zusammen, also eher damit, Details zu ignorieren und nur ein ungefähres Bild der Lage zu bekommen. Bei hochauflösenden Videoaufnahmen ist das natürlich anders, da geht es weniger um Übersicht als vielmehr um Detailsicht. Einzelne Gesichter zu erkennen, ist kein Problem. Damit nicht genug: Die Videobilder sollen der Polizei die Arbeit erleichtern. Das ist der einzige Grund, warum Demonstrationen komplett abgefilmt, man könnte auch sagen, videoüberwacht werden. In Artikel acht des Grundgesetzes steht: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Wie alle Freiheitsrechte wurde auch dieses in den vergangenen Jahrzehnten eingeschränkt, beschnitten, begrenzt. Versammlungsgesetze erlauben es der Polizei bereits, zu filmen, wenn sie glaubt, dass jemand Gewalt ausübt, dass Straftaten begangen werden, dass eine Gefahr droht. Doch das genügt offensichtlich nicht. Der Berliner Senat möchte, dass im Versammlungsgesetz auch Ü. gestattet werden. Polizei und Politik vermeiden in diesem Zusammenhang den Ausdruck Videoüberwachung. Schließlich würden die Bilder ja nicht gespeichert. Auch der Plural hat wie so oft eine abschwächende Wirkung, irgendwelche Aufnahmen halt wie aus dem Familienalbum. Das kennt doch jeder. Schauen wir kurz, was das Verwaltungsgericht Berlin zu dieser Idee zu sagen hat: „Die Beobachtung einer Versammlung durch die Polizei mittels Kameras und die Übertragung der Bilder in die Einsatzleitstelle ohne die Einwilligung der Versammlungsteilnehmer stellt einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dies gilt auch, wenn keine Speicherung der Bilder erfolgt.“ Wer sich beobachtet fühlt, verhält sich anders. Er geht möglicherweise gar nicht erst zu der Demonstration, nimmt sein Recht auf Versammlung also nicht wahr. Der richtige Ausdruck ist somit Videoüberwachung, und sie ist eine Bedrohung für unsere Grundrechte.

Der Ausdruck Ü. wurde 2013 mit einem Big Brother Award ausgezeichnet.

Steuersünder

Wer Steuern nicht bezahlt, ist nach gängigem sprachlichen Verständnis ein Steuerhinterzieher und somit ein Straftäter. Doch leben wir in einer Privilegiengesellschaft, daher gibt es selbstverständlich auch hier Unterschiede. Was sich nicht zuletzt an der Sprache zeigt. Sünden waren einst eine rein kirchliche Angelegenheit und galten in diesem Zusammenhang als schweres Vergehen. Seit dem Mittelalter hat sich in Kirchendingen allerdings einiges geändert und auch die Sünde ist nicht mehr, was sie einst war. Seit der Zeit der Aufklärung ist ihr moralisches Gewicht eher gering und so gilt sie im alltäglichen Sprachgebrauch zwar noch immer als Verfehlung, aber nicht unbedingt als Verbrechen. Sünder nehmen wir gern wieder in unsere Mitte auf, wenn sie ein wenig Reue zeigen und ein oder zwei Vaterunser beten. Folglich ist der S. eine privilegierte Version des Hinterziehers, einer also, dem wir gern verzeihen und sogar die Strafe erlassen. Die gleiche semantische Nachsicht zeigt sich auch beim Steuerflüchtling. Für Flüchtlinge immerhin haben wir – auch wenn wir sie nicht ins Land lassen, siehe → Flüchtlingsbekämpfung –, ein wenig Mitleid übrig. Dass mit diesen verharmlosenden Begriffen dauernd Menschen bezeichnet werden, die dem Staat nicht nur eine Handvoll Euro schulden, sondern gleich ganze Millionen, macht die Sache nicht besser. Kein Wunder, dass Steuern zu hinterziehen kaum jemandem als Straftat gilt, die alle schädigt.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah.‘“

Gipfel

Ein G. ist, neben der in der Landschaft herumstehenden Bergspitze, ein Treffen von Politikern, in diesem Zusammenhang gern „Spitzenpolitiker“ genannt. Dabei suggeriert die namensgebende Bergkuppe, dass bei einer solchen politischen Zusammenkunft irgendein Höhepunkt erreicht, irgendein Problem bezwungen, eben irgendein G. erklommen wird. Das aber geschieht praktisch nie. Es gab tatsächlich eine Zeit, als bei einem Stelldichein führender Politiker Kriege beendet, die Zukunft ganzer Landstriche geplant, ja überhaupt weltverändernde Entscheidungen getroffen wurden. Aber das ist lange her. Damals hießen die Runden auch noch sehr viel weniger protzig Konferenz, abgeleitet vom lateinischen conferre ‚zusammentragen‘. Heute hingegen kommt jedes Kaffeekränzchen von ein paar Wirtschaftsministern gleich als G. daher. Was viel über die dort geführten Verhandlungen sagt. Denn, so lautet eine stehende Neusprech-Regel, je großspuriger die Verpackung, desto dürftiger der Inhalt. Und tatsächlich sind die Ergebnisse solcher Veranstaltungen inzwischen so mager, dass es den Teilnehmern oft schwerfällt, sie anschließend als Erfolg zu verkaufen. Was sicher auch daran liegt, dass die als „Spitzenpolitiker“ Gerühmten selbst gar keinen Anteil mehr an dem ganzen Prozess haben. Die Verträge und Abschlusserklärungen nämlich werden längst von sogenannten Sherpas ausgehandelt, lange bevor sich die Politiker überhaupt treffen. Professionelle Bergführer also bestimmen, was die gewählten Vertreter der Völker anschließend nur noch verkünden dürfen. Die G. sind damit so etwas wie der vorgetäuschte Orgasmus der Politik: Sie sehen wichtig aus, sind viele Millionen teuer, haben aber keinen Höhepunkt. Ein Schwindel also.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

Bankenabgabe

Auch: Abgabe auf Bankeinlagen oder Sonderabgabe. Gemeint ist die nachträgliche Besteuerung Enteignung von zyprischen Bankkunden. Um einen Kredit in Höhe von zehn Milliarden Euro zu bekommen, den Zyperns Regierung sich von der EU wünscht, müssen die Bankkunden eine Art Steuer zahlen, insgesamt 5,8 Milliarden Euro. Der Ausdruck Abgabe und seine Erweiterung Sonderabgabe sind hier ein Technizismus. Sie sind zwar technisch korrekt, geben aber nicht annähernd wieder, worum es geht, eben um eine zwangsweise Enteignung. B. ist gar ein Euphemismus, denkt man bei dem Wort doch vielleicht an eine Abgabe der Banken. Aber nicht Banken geben etwas ab, sondern die Bankkunden. Und sie geben das Geld auch nicht für ihre Bank ab, sondern damit der Staat sich Geld leihen kann.

Nicht nur der Versuch, das Ganze sprachlich zu verschleiern ist entlarvend. Sondern auch die Logik des Zwangs-Deals. Hier erläutert sie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: „Wenn Banken insolvent werden, dann können nicht die Steuerzahler das Risiko übernehmen, das müssen dann schon diejenigen, die in guten Zeiten mit Banken und mit Geldanlagen Geld verdienen.“ Das heißt, wer Gewinne gemacht hat, muss auch Verluste tragen und kann diese nicht der Gesellschaft aufbürden. Interessanterweise gilt das erstens offensichtlich nur für Zypern, nicht für andere Länder, wie beispielsweise Deutschland oder Spanien. Die Verluste der Banken anderer europäischer Länder wurden ganz selbstverständlich den Steuerzahlern aufgebürdet und nicht denen, die die Gewinne erwirtschaftet haben. Zweitens erwähnt Schäuble als Gewinner, die „in guten Zeiten mit Banken Geld verdienen“, nur die Bankkunden, nicht jedoch die, die wirklich Geld mit den Banken verdienen – die Bankbesitzer.

Interessanterweise war die B. ursprünglich tatsächlich als eine Steuer geplant, die die Banken entrichten sollten. Im Jahr 2010 zumindest wurde diskutiert, eine globale B. einzuführen, die auch unter dem vernebelnden Pseudonym Stabilitätsgebühr firmierte. Der Plan, sie in der gesamten EU einzuziehen, ist bislang nicht umgesetzt. Lediglich in Deutschland und Österreich zahlen Banken diese Steuer. Schätzen Sie doch mal kurz, wie viel die B. hierzulande einbringt? Richtig, ein Zehntel dessen, was die zyprischen Bankkunden nun zahlen sollen: im Jahr 2011 waren es 590 Millionen Euro.

Irgendwie werden die Bankbesitzer immer vergessen, wenn es darum geht, die Verluste ihres Handelns zu tragen. Achja, fast hätten auch wir etwas vergessen, die Begründung für diesen Wählerbetrug: Selbstverständlich sind Zyperns Banken → systemrelevant“.

Siehe auch: Rettungsschirm, Rekapitalisierung, Bad Bank und Schuldenbremse.