Fahrzeiten, geänderte

Aus der Verspätung wurden die → Fahrzeitverlängerungen, aber das reichte der Bahn noch nicht. Dieser Euphemismus verlangte offenbar nach einer weiteren Abschwächung, und jetzt ruft es aus den Lautsprechern im besten Bahnsprech gern: „Aufgrund von Bauarbeiten verkehrt dieser Zug in geänderten Fahrzeiten.“ Fahrzeiten? Technisch mag das richtig sein, aber allein der Plural gibt zu denken: Denn er dient wie bei den → Fahrzeitverlängerungen dazu abzumildern. Eine geänderte Fahrzeit beunruhigt, bei geänderten F. geht man eher davon aus, dass es sich um etwas Normales handelt, da es doch so viele davon zu geben scheint. Jedoch stehen die geänderten F. nicht im Fahrplan, jedenfalls nicht im publizierten. Und jetzt darf geraten werden: Kommt der Zug aufgrund der Änderung früher an? Erfahrungsgemäß nicht! Dummerweise verhält es sich mit Abschwächungen ähnlich wie mit Steigerungen: es wird irgendwann schwierig, noch weiter zu gehen; bald dürfte es für die Deutsche Bahn einfacher sein, Züge pünktlicher zu machen, als neue Sprachschöpfungen für ihre Unpünktlichkeit zu ersinnen. Es besteht also noch Hoffnung für verspätungsgeplagte Reisende – äh, für von geänderten F. Geplagte.

Gefahrenpotenzial, erhebliches

Das Adjektiv erheblich bedeutet so viel wie ‚groß’, klingt aber noch ein wenig gewichtiger. Möglicherweise ist es eine Lehnübersetzung von relevant, das sich vom französischen lever (‚heben‘) ableitet. Aber so groß auch ein Potenzial sein mag, es bleibt ein Potenzial, also eine Möglichkeit. Ein G. ist somit die Möglichkeit einer Gefahr. Wobei dem Substantiv Gefahr ebenfalls eine Möglichkeit innewohnt, denn es bezeichnet die drohende Gefahr, nicht eine bereits passierende Katastrophe. Es handelt sich also beim G. um die Möglichkeit einer Möglichkeit und die ist dann auch noch erheblich. Mit anderen Worten: Das BKA liegt immer richtig, wenn es vor so etwas warnt. Gleichzeitig kann es natürlich überall solche möglichen Möglichkeiten sehen. Oder nirgends. Siehe auch → abstrakt hoch.

Berater

Im Mittelhochdeutschen bedeutete rathen, jemanden mit etwas zu versorgen, ihm Fürsorge angedeihen zu lassen, ihn zu schützen. Bis heute hat sich dieser Sinn erhalten: Das Verb raten wird immer dann gebraucht, wenn jemand einen Rat erteilt, wenn jemand hilft, ohne etwas dafür zu verlangen. Der B. muss demnach ein recht uneigennütziger Mensch sein, der durch die Lande zieht und Menschen unterstützt, wo er nur kann. Ist er aber nicht. Denn ein B. ist entweder jemand, der für exorbitante Honorare dafür sorgt, dass Firmen mehr Gewinn machen, meistens indem sie Mitarbeiter → freisetzen. Oder jemand, der als Versicherungs-B. anderen teure Dinge aufschwatzt, die sie nicht brauchen. In beiden Fällen also ist er eigentlich ein Verkäufer.

Die Betreffenden wissen offensichtlich um das schwierige Ansehen ihres Berufes. Warum sonst sollten sie sich immer wieder mit dem Attribut „unabhängig“ schmücken? Wobei dieses Adjektiv diejenigen, die eine solche Beratung genießen, nur umso stutziger machen müsste. Denn wer erst explizit darauf hinweisen muss, dass er unabhängig ist, ist es wahrscheinlich gerade nicht. Beraten und verraten haben übrigens den gleichen Wortstamm. Aber das nur nebenbei.

überwiegend

Wenn eine Demonstration, um ein beliebtes Beispiel zu zitieren, „ü. friedlich“ war, was war sie dann? Friedlich? Oder war es nicht doch eher eine Demonstration, bei der es zu Ausschreitungen kam, mithin zu Gewalt und Festnahmen? Der Richter und Autor Franz-Benno Delonge fand in seinem Buch „Rückhaltlose Aufklärung“, ü. sei ein praktischer Ausdruck, wenn das Gegenteil von dem zutreffe, was gemeint sei. Recht hatte er. Denn das kleine Wort lässt ein geschicktes Ausweichmanöver zu: Es ist keine Lüge, allerdings verschleiert es gehörig, betont es doch einen Fakt, der für das Ereignis vielleicht gar nicht prägend war und lenkt damit vom Kern ab. Wenn politische Gespräche, um noch ein Beispiel anzuführen, das von Politikern gern verwendet wird, ü. konstruktiv verlaufen sind, kann man also getrost davon ausgehen, dass dabei auch gebrüllt wurde.

Vertrauen, vollstes

Man kann jemandem vertrauen – oder eben nicht. Zwischenstufen, etwa halbes Vertrauen, ein bisschen Vertrauen oder ziemlich viel Vertrauen sind kaum denkbar. Dass Vertrauen immer vollständig ist, kommt schon durch die Wortbildung zum Ausdruck, denn etymologisch ist vertrauen ein vollständiges trauen und zwar nach lateinischem Vorbild, wo confidere eben ein vollständiges fidere (‚(ver-) trauen, glauben‘) ist. Aber die Neigung von Politikern zur Übertreibung beziehungsweise zur Hyperbel kann sogar die Vollständigkeit noch vervollständigen. So wurde aus Vertrauen volles Vertrauen und aus vollem Vertrauen wie gerade mal wieder bei der Bundeskanzlerin vollstes Vertrauen. Mehr geht nun wirklich nicht! Gerade die Übertreibung weckt allerdings Zweifel daran, ob es überhaupt weit her ist mit dem Vertrauen – das übrigens mit dem Konzept der Treue wortgeschichtlich zusammenhängt. Jedenfalls ist mit dem Superlativ das Ende erreicht: Wenn ein Politiker sich genötigt fühlt, einem anderen vollstes V. zu schenken, kann danach nur noch der Absturz kommen. Merke: Wer den Gipfel erreicht hat, dem bleibt nur noch der Weg nach unten.

Mit Dank an Sascha L. für die Inspiration.