Großsprecherische Vergrößerung eines banalen Gegenstandes, der damit weniger banal klingen soll. Nehmen wir ein beliebiges Projekt, sagen wir einen Flughafen. Und stellen uns dann vor, irgendein Politiker erklärte plötzlich, der werde nun doch nicht fertig und im Übrigen zweieinhalb Mal so teuer wie geplant, mindestens. Eine Betonpiste mit Läden dran? Doppelt so teuer? Und zwei oder vielleicht gar drei Jahre später fertig? Sehen Sie, das klingt seltsam. Aber wenn es sich bei dem Ganzen um ein G. handelt, ja, dann wirken solche Absurditäten schon selbstverständlicher, oder? Auf diese Art ist Berlin zu einem Großflughafen gekommen, auch wenn viele Flughäfen existieren, die sehr viel größer sind als er. Und der, obwohl es davon in der Stadt diverse gab und gibt, gern auch Hauptstadtflughafen genannt wird. Klingt wichtiger. Beliebt übrigens sind in diesem Zusammenhang auch kryptische Abkürzungen. Darum nennen das Ding plötzlich alle nur noch BER, obwohl in München niemand vom MUC redet und in Berlin auch niemand TXL oder SXF kennt. Falls Sie an dieser Stelle Parallelen zu S21 sehen, diesem Bahnhof in Stuttgart, Verzeihung, diesem G., so sind die selbstverständlich rein zufällig.
Verantwortung (übernehmen)
Immer wenn etwas schief gegangen ist – ein Flughafen oder so –, fordert jemand, nun müsse aber endlich einer die V. dafür übernehmen. Was gleich auf mehrere Arten absurd ist. Heißt es doch, dass sich bislang offenbar niemand so richtig für den Gegenstand verantwortlich fühlte. Beziehungsweise hieße es das, wenn es denn bei diesem Ausdruck wirklich um V. ginge. Geht es aber nicht. Es ist die verbrämte Forderung, irgendjemand möge doch bitte schleunigst von irgendetwas zurücktreten, damit so schnell wie möglich „zur Tagesordnung“ übergegangen werden kann. Was lustigerweise unweigerlich dazu führt, dass der Betreffende eben keine V. mehr hat und somit auch gar keine übernehmen kann. Aber Logik und Politiksprech haben ja eher selten etwas miteinander zu tun.
Mit Dank an Friedrich A.
Neusprechfunk, die ungefähr dritte Ausgabe
Bevor wir zum Inhalt der neuen Ausgabe des Neusprechfunk kommen, möchten wir uns gern bei den mehr als fünfzig Kommentatoren unseres letzten Podcasts bedanken. Das meistdiskutierte Thema war wohl der taz-Reflex, dem wir uns nochmal kurz widmen. Die Abstimmung über die Zeitung, die Kai für die Besprechung lesen soll, gewann zwar die NZZ, die Lektüre wurde allerdings wegen dringender aktueller Themen auf den nächsten Neusprechfunk verschoben. Dafür gibt es nun dank der vielen Wünsche in den Kommentaren erstmals eine ogg-Version.
Aufgenommen haben wir den Podcast im Dezember 2012, aber wegen der Vorbereitungen für den Chaos Communication Congress blieb leider einiges liegen. Dafür können Ergebnisse unseres Tuns nun nach dem Hören des aktuellen Podcasts auch gleich gelesen sowie gesehen werden.
Wir beschäftigen uns mit aktuellen Themen wie dem „Betreuungsgeld“ und der „Flexiquote“:
… aber auch mit älteren Konzepten wie der „Zonenwachtel“:
Dieser Podcast ist nicht jugendfrei. Es sind diesmal, ganz dem Zeitgeist entsprechend, nicht nur die Staatsschulden und die gebeutelten Familienunternehmen zur Sprache gekommen, sondern wie immer auch Angela Merkel, Sex, Debatten zum Selbstzweck sowie Manuel Andrack und die FAZ. Wir philosophieren außerdem über rapidshare und ein Bundestags-Ufo vom Oktober 2007.
Nicht nur wegen der neuen kubanischen Verhältnisse in der CDU wenden wir uns erneut den beiden sprachlich durchaus interessanten Politikerinnen Angela Merkel und Ursula von der Leyen nebst Power-Partner zu und erklären, warum auch wir sicher bald Mitglieder der Christenunion werden, auch um gegen das drohende imperative Mandat zu kämpfen.
Irgendwann zwischendrin sind wir thematisch abgebogen und haben über das Esra-Urteil und die Kunstfreiheit gesprochen.
… und entdeckten die Nutzererfahrung von RapidShare:
Wir sprachen außerdem über:
- Jasper von Altenbockum: „Der Abgeordnete“, FAZ vom 26. Oktober 2012.
- Philipp Bagus: Die Staatsschulden sind nichts gegen die Bankschulden, Der Hauptstadtbrief, 29. November 2012.
- „Altersverschrottung“: „Arznei mit Nebenwirkung“ von Michael Sauga und Janko Tietz, Der SPIEGEL vom 15. Oktober 2007.
Hier ist der Podcast als mp3.
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Neusprech-Top-Ten des Jahres 2012
Zum Thema Unwort des Jahres… Hier sind unsere Top Ten des vergangenen Jahres. Die zehn am meisten beachteten Begriffe beim Neusprechblog 2012 waren:
1. Eigentum, geistiges
2. Verfassungsschutz
3. Betreuungsgeld
4. Content
5. Regelstudienzeit
6. Anschlussverwendung
7. Vertrauen, vollstes
8. Geld, frisches
9. Fahrzeiten, geänderte
10. Funkzellenabfrage
Belastungsbremse
Der FDP-Politiker Christian Lindner wünscht sich, dass im Grundgesetz „eine B. als Leitplanke“ installiert wird. Eine verräterische Metaphernhäufung. Leitplanken finden in der Politik immer dann Verwendung, wenn der Ausdruck Grenze vermieden werden soll. Sie klingen positiver und nicht so bockig wie ein „nein, das machen wir nicht mit“. Doch wichtiger ist hier noch die B. Gemeint ist von der FDP ein System, das eine metaphorische Belastung begrenzen soll, nicht etwa eine physische Last. Doch die Analogie ist gewollt. Wie bei der → Steuerentlastung geht es auch bei der B. um Steuern. Eine Steuererhöhung (von der FDP allein als Belastung verstanden), soll möglichst gering ausfallen (gebremst werden). Entstanden ist das Wortungetüm wahrscheinlich in Analogie zur → Schuldenbremse: Neue Schulden sind gar nicht so schlimm, wenn deren Höhe irgendwie kontrolliert wird, oder es wenigstens danach klingt. Nun wird auch klar, warum Lindner zu so blumigen Ausdrücken greift. Sie sollen verbergen, dass die FDP damit von ihrer ständigen Forderung nach Steuersenkungen abgerückt ist und nun sogar für Steuererhöhungen eintritt – solange diese moderat ausfallen, also metaphorisch gesprochen gebremst werden, nötigenfalls durch Leitplanken. Bei welcher prozentualen Erhöhung diese Planken stehen, lässt der Ausdruck praktischerweise offen.
Mit Dank an Hans H.