bekennen, sich

In politischen Texten wie zum Beispiel in Koalitionsverträgen, grassiert derzeit ein ungewöhnlich verwendetes Verb: sich zu etwas b. Das hat etwas Religiöses, denn in der Regel bekennt sich jemand zu einem Glauben. Gelegentlich kann sich jemand auch zu einem Verbrechen oder einer Farbe b., immer aber hat ein solches Bekenntnis mehr oder weniger unangenehme Folgen, sonst ist es keines: Denn es geht darum, zu zeigen, wer oder was man wirklich ist, also die Wahrheit zu sagen und daraus entstehende Nachteile in Kauf zu nehmen. Wer sich zu einer Religion bekennt, kann als Märtyrer oder im günstigeren Fall als Kirchensteuerzahler enden, wer sich zu einem Verbrechen bekennt, muss für gewöhnlich ins Gefängnis, und wer Farbe bekennt, muss sagen, was er denkt. In der Politik ist es allerdings – wie so oft – anders: Dort hat ein Bekenntnis keine Folgen. Es ist nur ein Synonym für: „finden wir auch irgendwie gut“. Sprachwissenschaftlich heißt das Phänomen: „bleaching“, also ‚Ausbleichung‘. Eine ursprünglich expressive Bedeutung wie eben das religiöse Bekenntnis mit anschließend möglichem Martyrium wird zu einer bedeutungslosen Floskel, klingt toll, heißt aber wenig.

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Weitere sprachlichen Umdeutungen und Neuschöpfungen:
10 Reaktionen zu "bekennen, sich"
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