Schlichtung

Im ursprünglichen Sinn ist mit schlichten ‚glätten‘ gemeint, aber auch ‚streicheln‘ – irgendwie die Lage beruhigen und nett sein also. Doch entwickelte sich schon früh die Bedeutung ‚vermitteln‘, möglicherweise in Anlehnung an richten. Im Gegensatz zum Richter aber entscheidet der Schlichter nichts, schon gar nicht, wer gewinnt. Er soll einen Kompromiss finden, einen Weg also, mit dem alle Streitenden unzufrieden sind, weil alle auf etwas verzichten. Doch ausgleichen lässt sich nur, was zuvor schon auf einer Höhe lag. Ist das Gefälle zu groß, gibt es nichts zu ‚glätten‘, schon gar nicht, wenn der Glätter selbst keine Macht hat. Der Versuch, zwischen einem Milliardenunternehmen, einer Landesregierung und einigen aufgebrachten Bürgern zu vermitteln, bedeutet somit, dass es darum geht, letztere ruhig zu stellen zu streicheln. Mit Mitbestimmung oder gar Demokratie hat das nichts zu tun. Die S. als Instrument der Politik gaukelt beides nur vor. Ein anderes Wort dafür wäre Placebo – wer Glück hat, fühlt sich besser, an den Ursachen aber ändert sich nichts.

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5 Kommentare

  1. Mir ist das zu einseitig. Jenseits des konkreten Beispiels gilt auch, dass nicht jeder Kompromiss faul sein muss. Die Schlichtung kann im Idealfall auch aufzeigen, wo Verzicht für den Verzichtenden letztlich heilsam ist, so dass der gegenseitige Schritt aufeinander zu einen Weg gemeinsamen guten Entwickelns begründen kann. Das erfordert jedoch die Bereitschaft aufzugeben, insbesondere die Vorstellung davon was man hat, braucht, oder meint haben zu müssen. Eine Qualität die häufig bei Konzernen, aber durchaus auch zuweilen in systemkritischen Lagern mühsam gesucht werden will.

  2. Es geht gar nicht darum, ob der Kompromiss faul ist, finde ich. Es geht darum, dass bei einem solchen Kompromiss mit dieser Machtverteilung eine Seite immer mehr aufgeben wird als die andere – einfach weil sie weniger hat. Daher finde ich die Schlichtung als Konzept in der Politik fragwürdig. In diesem Beispiel: Die Bahn muss mehr zahlen, ok. Die Bürger geben dafür ihren Protest auf und bekommen ein paar Bäume. Ich glaube, sie hatten sich anderes erhofft.

  3. Den Begriff der Schlichtung kann man noch etwas genauer betrachten: Eine Schlichtung war die Sitzungsreihe im Rathaus faktisch nicht, sondern nur der Binnenteil einer Schlichtung, nämlich die Faktenprüfung. (Nachzulesen im Eingangsstatement von Dr. Geißler.) Diese Faktenprüfung fand allerdings einseitig und unter Zeitdruck statt. Das sieht man sehr gut am Beispiel des Impulses, den Prof. Ostertag eingebracht hat. Dabei ging es um die faktische Wirklichkeit und Auswirkung von Schönheit. Der Impuls wurde von Dr. Geißler abgebügelt und nicht weiter verfolgt. Dass Schönheit aber keine Randerscheinung, sondern von lebenswichtiger Bedeutung für uns ist, mag man daran prüfen, ob man zur echten Erholung und Kraftsammlung seinen Urlaub in einem Stadtviertel mit glatten Glas- und Betonfassaden oder in durchmischten und naturbelassenen Bereichen verbringen will. Ostertag spricht also von lebenswichtigen Fakten. Siehe http://stuttgart21.wikiwam.de/Wortprotokoll_der_Schlichtung_19.11.2010#Vortrag_Roland_Ostertag . Dass die Faktenprüfung von Hn. Dr. Geißler zu einem Prozess mit Votum umfunktioniert wurde, ist ein bislang nicht öffentlich diskutierter Fakt mit verheerenden Folgen. Geißler bezog sich am Beginn seines Votums ausdrücklich darauf, dass sich “der [von ihm selbst ganz zu Anfang ins Spiel gebrachte; Anm. M. A.] Begriff Schlichtung in der Bevölkerung durchgesetzt habe”, um dann damit zu rechtfertigen, dass er über seine eigentliche Aufgabe, nämlich schlicht zu moderieren und die Fakten beider Seiten in Ausführlichkeit auf den Tisch zu bringen, hinausging. Man vergleiche das mit seinem Eingangsstatement, bei dem der Auftrag klar benannt wird. (Protokoll vom 22.10.2010, Seite 2: “Wir werden also alle Fakten auf den Tisch legen. Alle an den Tisch. Alles auf den Tisch. Wir werden dann versuchen, zu einer gemeinsamen Bewertung dieser Fakten zu kommen. Das wird in möglichst vielen Punkten gelingen, wahrscheinlich aber nicht in allen Punkten. Am Ende der Schlichtung muss jede Seite die Konsequenzen daraus ziehen, die sie für richtig hält.” ) Eben DAS fand nicht statt! Solcherart ist also ein Votum entstanden, auf das sich heute alle beziehen, das aber niemals ausgemacht war. Das ist, denke ich, eine ernste Begriffsverdunkelung und hat die Folgen, an denen wir nun weiter herumarbeiten müssen.
    Wir müssten uns darin üben, Begriffe klarer zu verwenden. Daher bin ich für diesen Neusprech-blog dankbar.

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