Konditionalität

Wer bei diesem Wort an Grammatik, Statistik oder Buddhismus denkt, könnte falsch liegen, denn in der internationalen Politik ist damit etwas ganz anderes gemeint: Schon seit 1969 befindet sich die K. in der Satzung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Es bezeichnet die Auflagen oder Bedingungen (lateinisch conditiones), an die die Auszahlung von Krediten oder gar ein Schuldenerlass gebunden sind: K. bedeutet, dass der IWF denjenigen, die Geld vom ihm haben wollen, Vorschriften macht, wie sie ihren Handel mit anderen Ländern und ihren Umgang mit dem geborgten Geld zu gestalten haben. Diese fast beleidigend Nehmerstaaten genannten, müssen beispielsweise sparen oder die Steuern erhöhen – unpopuläre Maßnahmen, die gern mit dem Fremdwort Austerität umschrieben werden, dem griechischen Wort für ‚Ernsthaftigkeit‘ und ‚Disziplin‘, Eigenschaften, die die antiken Athener bei ihren Nachbarn, den Spartanern, sehr bewunderten. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass die K. nicht immer zu einer Verbesserung der Lage geführt hat. Die sogenannten Highly Indebted Poor Countries sind wohl sogar erst durch die K. in ihre verzweifelte Lage gekommen.

„Nicht-öffentlich ist ja nicht gleich geheim.“

Wir erinnern uns: Das Bundesjustizministerium und das Bundesinnenministerium hatten versichert, dass ein Zugriff auf die Vorratsdaten nur nach Prüfung durch einen Richter möglich sei. Dabei war zwischen den Ministerien verabredet worden, dass dennoch auf der Basis von Vorratsdaten so genannte Bestandsdaten beauskunftet werden können, und zwar entgegen der öffentlichen Beteuerungen auch ohne Richtervorbehalt. Die Bestandsdaten sind Name und Adresse von Nutzern einer bestimmten IP-Adresse. Als das ruchbar wurde, beteuerten die Sprecher der Ministerien, es gäbe keine „geheime Nebenabrede“. Kurz darauf mussten sie allerdings einräumen, dass es doch eine solche Nebenabrede gegeben hatte. Zur Entschuldigung wurde vorgebracht, dass diese zwar nicht öffentlich sei, aber geheim sei sie deswegen noch lange nicht, und alles zuvor Behauptete sei daher völlig richtig. Zitat: „Nicht-öffentlich ist ja nicht gleich geheim. Es gibt natürlich eine Reihe von Abreden zwischen jedermann, die deswegen noch lange nicht geheim sind.“ Oberflächlich betrachtet ist das richtig: Das Gegenteil von öffentlich ist privat. Ministerien sind allerdings Bestandteil der res publica, der ‚öffentlichen Angelegenheit‘, und damit handeln sie immer öffentlich und nie privat. Nur durch Geheimhaltung können sie in (hoffentlich) gut begründeten Fällen Angelegenheiten der Öffentlichkeit vorenthalten. Insofern gibt es eben zwischen Ministerien nur öffentliche oder geheime Nebenabreden, aber keine privaten.

Grundrechtsträger

Begriff des öffentlichen Rechts, der vom Bundesnachrichtendienst (BND) umgedeutet und missbraucht wird, um illegale Überwachung zu rechtfertigen. Der G. ist im juristischen Sinn jemand, der die Fähigkeit besitzt, Grundrechte zu tragen. Die einzige Fähigkeit, die es dazu braucht, ist, eine natürliche Person, also ein Mensch zu sein. Das heißt, jeder Mensch hat, sobald geboren (und im deutschen Recht sogar schon vorher) automatisch alle Grundrechte und wird von diesen geschützt. Der BND hingegen behauptet, dass Konstellationen existieren, in denen Menschen keine G. mehr sind. Beispielsweise, wenn zwei Menschen im Ausland telefonieren, die keine Deutschen sind. Ausländer haben nach Meinung des BND keine Grundrechte und dürfen grenzenlos überwacht werden. Außer dem BND ist allerdings niemand der Meinung, dass die Grundrechte nur Deutschenrechte sind. Noch absurder wird es, wenn Deutsche im Ausland für eine ausländische Organisation arbeiten, die von deutschen Behörden als terroristisch angesehen wird. Dann, so der BND, seien sie Funktionsträger dieser Organisation und damit keine G. mehr und dürften ebenfalls ausspioniert werden. Das Tragen wird hier zu einem bewussten Akt umgedeutet. Wer Grundrechte trägt, tut das nach Meinung des BND freiwillig und kann sich damit auch dagegen entscheiden und diese Rechte ablegen. Sämtliche Juristen außerhalb des BND halten das für völligen Unsinn. Der Bundesnachrichtendienst ignoriert vielmehr eigenmächtig die Grundrechte von Menschen, er ist ein Grundrechtsbrecher.

Übrigens: Die einzigen, die sich gegenüber anderen nach dem Gesetz nicht auf Grundrechte berufen können, sind die Beamten des Staates bei der Ausübung ihres Amtes. Grundrechte sind vor allem Abwehrrechte der Bürger gegen den sonst übermächtigen Staat. Mitglieder staatlicher Organe sind daher verpflichtet, die Grundrechte aller Bürger zu achten und zu schützen. Sie sind nach Artikel 1 Absatz 3 des Grundgesetzes Grundrechteverpflichtete. Sie können diese Rechte daher nicht als Abwehrrechte gegen andere Bürger einsetzen, sondern nur gegen den Staat selbst.

Hausaufgaben

H. werden für die Schule erledigt, überwiegend von Kindern im Auftrag von Lehrern, die hoffentlich wissen, warum welche Aufgabe erledigt werden soll – zum Wohle der Kinder. Wenn jemand seine H. machen muss, so ist das Subjekt oder genauer der Agens Schüler. In der Linguistik werden solche Einschränkungen über Satzglieder Selektionsrestriktionen oder Subkategorisierung genannt. Erst wenn das Prädikat H. machen in übertragenem Sinn, also metaphorisch verwendet wird, sind andere Subjekte möglich. Das Interessante dabei ist, dass in der Grundbedeutung notwendige Eigenschaften von Satzgliedern in der metaphorischen Verwendung immer noch mitverstanden werden. In der Linguistik wird dieses Phänomen als Persistenz bezeichnet Wenn also Griechenland seine H. machen muss, wie es derzeit immer wieder gefordert wird, so wird Griechenland in der Rolle eines Schülers gesehen, von dem Lehrer eben jene H. einfordern. Dabei ist übrigens unklar, wer genau mit Griechenland gemeint ist, denn Griechenland wird synekdochisch verwendet: Gemeint sind vielleicht die griechische Regierung, die griechischen Politiker oder die griechische Bevölkerung – vielleicht auch alle. Egal wer gemeint ist, sie als unmündige Schüler zu behandeln, ist nicht nur diplomatisch unangemessen.

„Na ja, wir sind im Grunde schon ein Einwanderungsland.“

Auf die Frage, ob die deutsche Politik in Sachen Einwanderung nicht umdenken müsse, antwortet Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Satz: „Na ja, wir sind im Grunde schon ein Einwanderungsland.“ Interessant ist dabei vor allem das Adverb schon, das verwendet wird, wenn etwas früher eingetreten ist, als es erwartet wurde. Merkel stellt den Sachverhalt so dar, als sei es Konsens, dass Deutschland immer Einwanderungsland werden sollte, und es nun eben schon ist – bevor die verantwortlichen Politiker die nötigen Einwanderungsgesetze schaffen konnten. Dass Deutschland ein Einwanderungsland werden soll, war jedoch bislang kein Konsens, zumindest nicht in der Union. Nicht einmal, dass dringend ein Einwanderungsgesetz gebraucht wird, ist in der Partei mehrheitsfähig. Alles, wozu sie sich derzeit durchringen kann, ist der verschwurbelte Passus: „Wir wollen den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit weiter erleichtern und für ihn werben. (…) Isoliert betrachtet gibt es viele gelungene Ansätze für die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft. Wir müssen diese guten Ansätze widerspruchsfrei und besser miteinander verknüpfen und in einem Gesetz zusammenführen.“ Er steht in einem Bericht, den eine „Zukunftskommission“ der CDU gerade verabschiedet hat. Irgendwelche Ansätze zur Gestaltung einer Einwanderungsgesellschaft, die man noch irgendwie zusammenführen muss? Eine klare Position sieht anders aus.

Auf den ersten Blick wirkt es, als hätte Merkel mit einem kurzen Satz eine der zentralen Blockaden der Union niedergerissen. Aber da ist ja noch die Adverbialgruppe im Grunde: Sie legt nahe, dass eigentlich alles anders ist, als es öffentlich geäußert wird. Hat vielleicht auch die CDU längst erkannt, dass ihre Haltung unsinnig ist, fürchtet aber, damit Vertriebene früher Zugezogene ältere Wähler zu verärgern? Dann würde der Satz ausdrücken, dass die CDU im Grunde längst für Einwanderung ist, öffentlich aber noch nicht zugeben will, dass sie ihre Position geändert hat. Er könnte aber auch bedeuten, dass Deutschland nach Merkels Meinung einfach so zum Einwanderungsland wurde und es gar keine neuen Gesetze mehr braucht, weil ja alles prima funktioniert. Das würde den verdrucksten Zukunftskommissionsbericht erklären. Merkels Satz ist also kein Ja zur Einwanderung, auch wenn er so klingt. Aber immerhin lässt er hoffen.