Säuberung

Auch Säuberungsaktion oder Säuberungswelle. Politischer Zynismus; Euphemismus. Es geht nicht darum, irgendetwas zu reinigen. Beziehungsweise bezieht sich die Reinigung hier auf das Entfernen missliebiger Menschen aus Ämtern oder aus dem Leben. Die S. umschreibt das Entlassen, Verhaften, Foltern, ja im Zweifel Töten von Menschen, die den jeweiligen Machthabern unbequem sind oder gefährlich erscheinen. Der Ausdruck legt nahe, dass die Sache der Herrscher sauber, die Forderungen ihrer etwaigen Kritiker jedoch schmutzig ist und diese deshalb beseitigt werden müssen. Die positiv besetzte Reinigung wird missbraucht, um die Verletzung von Menschenrechten wie der Meinungsfreiheit zu kaschieren. Gleichzeitig wird suggeriert, es gäbe so etwas wie eine reine, eine bessere Gesellschaft, wenn man nur all jene entferne, die nicht dem gerade geltenden Reinheitsideal entsprechen. Das Ideal ist dabei beliebig. Ziel der S. kann es sein, Menschen mit der falschen Hautfarbe, der falsche Religion oder dem falschen Bildungsgrad auszugrenzen. Aber es könnte genauso alle Rothaarigen treffen. Oder alle Brillenträger. Die Absurdität des Begriffes S. demonstrierte der Regisseur Luc Besson in seinem Film „Nikita“. Dort stellt sich Jean Reno vor mit den Worten: „Victor. Reinigungsmann.“ Er hält dabei in jeder Hand den Fuß eines Toten. Deren Leichen schleift er anschließend ins Bad und löst sie in der Wanne in Säure auf. Steigerungsform  Säuberung, ethnische. Unwort des Jahres 1992.

Neusprechfunk 9 mit Frank und Lucy

In der Annahme Ihrer Zustimmung, verehrte Hörer, wird hierdurch mitgeteilt, dass ein Neusprechfunk vorliegt. Die Mitwirkenden und Verantwortlichen der tontechnischen Aufnahme sowie der hier dargelegten schriftlichen Mitteilung bitten um Ihre Billigung. Eine wohlwollende Wahrnehmung – auch in Gruppen – darf gern erfolgen. Sofern die Darlegungen Ihre Aufmerksamkeit gefunden haben, erbitten wir die Weiterleitung mittels hiesiger elektronischer Kanäle an weitere Interessierte. Falls seitens der Hörer bei uns Kommentare zustellig werden, in welchen Mitteilungen zum Inhalt der tontechnischen Aufnahme erfolgen, fände das unsere Zustimmung.

Geübte Hörer werden es ahnen: Wir reden diesmal über die Sprache der Juristen.

Zu Gast im Neusprechfunk ist Frank Stiegler, von Beruf Rechtsanwalt mit einer Kanzlei für IT-Recht in Frankfurt. Er hat selbst übrigens auch einen Podcast, dessen dritte Folge gerade erschienen ist. Man kann sagen, dass es wieder eine Art Cross-over ist, zumal wir uns im Laufe des Gesprächs ganz dreist zu Franks Podcast eingeladen haben. Wir bitten daher die Leser, falls die Idee goutiert wird, ihn gegebenenfalls daran zu erinnern. :}

Wir reden mit Frank über Verschachtelungen, das Verstecken von Inhalten durch verwirrenden Satzbau und klobige, aber typischerweise von Juristen genutzte Wendungen. Ein Beispiel wäre Beendigung statt einfach Ende.

Ein längeres Beispiel, das wir heranziehen, ist der § 28 des Bundesdatenschutzgesetzes, hier in der Übersicht:

paragraph 28 bdsg

Frank diagnostiziert die Juristensprache insgesamt als klobig, gestelzt und hölzern, was wir nicht in Abrede stellen können.

Wenn wir schon mal einen Juristen am Mikro haben, konnten wir nicht umhin, am Rande auch über das Zugangserschwerungsgesetz und den Gesetzentwurf der Bundesregierung (pdf) zur Störerhaftung zu sprechen. Darin findet sich übrigens mehrfach ein Wort, das uns später noch für nähere Betrachtungen beschäftigen wird.

stoererhaftung beispiel

Erfolgen ist ein unpersönliches Verb, das im Wiktionary als Amtsdeutsch klassifiziert wird. Nicht nur Juristensprache und Amtsdeutsch scheinen in Zusammenhang zu stehen, auch bei vertraglichen Handlungen ist die Verwendung typisch:

zahlung erfolgt

Wer sich übrigens über die Zwischenrufe im Podcast wundert: Das ist nur Lucy, die ab und an Laut gibt. Sie wollte nicht abgebildet werden, wir konnten sie aber zu einem rückwärtigen Foto überreden:

lucys kopf

Frank beschreibt im Neusprechfunk 9 (mp3) auch den von ihm so getauften Diesigen Stil. Gemeint sind Relativsätze mit dies im Unterschied dazu, dass der Bezug normalerweise mit der Verwendung von das hergestellt wird.

Zur Auflockerung stellen wir den Juristenphrasen einen gänzlich anderen Einsatz von Sprache gegenüber. Maha inspiziert zunächst das Objekt, ein magisches Einhorn-Fan-Paket:

maha inspiziert die einhoerner

kondome einhorn

Wir versichern übrigens, keine Werbeabsprachen mit den Einhörner zu haben.

Wir reden diesmal nicht über die Wortewarte, versprechen aber, die Tradition in Zukunft wieder aufzugreifen. Dafür sprachen wir aber über:

Hier ist der Neusprechfunk 9 als mp3. Alternativ gibt es auch wieder eine ogg-Version des Neusprechfunk 9.

In Wahrheit wissen wir natürlich nicht, wie Lucy aussieht, aber die Bildlizenz des Fotos kennen wir: CC BY-NC 2.0, von massimo ankor

Play

Wartesituation

Im Dezember 2015 verkündete der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, er werde die W. für Flüchtlinge am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) verbessern. Inzwischen wurden mehr Mitarbeiter eingestellt, um auch die Wartezeit zu verkürzen. Damals aber meinte Müller lediglich die Umstände des Wartens. Also Zelte gegen die Kälte, damit die vielen Wartenden nicht nur im Freien stehen. Das Wort W. machte mitten im Winter jedenfalls keine Hoffnung darauf, dass weniger gewartet werden musste. Michael Müller ist allerdings nicht der Erfinder des Wortes. Er hat es vom in Berlin mitregierenden und Hauptverantwortlichen, dem politischen Gegner, der CDU übernommen. Denn bereits im Oktober 2015 schrieb der Spandauer CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegener über eine Verbesserung der W. beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Er verwendete sogar das Adjektiv komfortabler. Angesichts der kalten Temperaturen war das geradezu zynisch.

Verfügbarkeitsmanagement, dynamisches

Das dynamische V. klingt nach viel Tempo und nach schlauen Leuten, die sich schlaue Gedanken darüber machen, wie irgendeine Ressource am besten eingesetzt werden kann. Im Prinzip ist das nicht falsch, nur mit der Verfügbarkeit hapert es. Denn die Manager – englisch für ‚Leiter‘ (etymologisch eher Haushalter) – in diesem Konstrukt müssen so viel und schnell nachdenken, weil es kaum etwas zu managen gibt. Der von der Bundeswehr erfundene Ausdruck verschleiert die Verwaltung eines Mangels. Bei der Bundeswehrreform 2011 wurde festgelegt, dass einzelne Einheiten nur noch 70 Prozent des Materials bekommen, das sie brauchen. Die Armee hat nicht genug Panzer/Schützenpanzer/Unterhosen, daher müssen die paar, die es gibt, von einer Einheit zur nächsten geschoben werden. Kompanie A muss ins Manöver? Dann bekommt sie die Panzer, mit denen bisher Kompanie B übte, Kompanie C marschiert derweil zu Fuß oder macht ganz Pause. Das Verteidigungsministerium hat 2015 versprochen, das zu ändern und das V. abzuschaffen. Allerdings ist nur ein Bruchteil des neuen Geräts, das dafür gebraucht wird, auch schon bestellt worden.

Eurofighter | BY-NC 2.0 by BRApps
Eurofighter | BY-NC 2.0 by BRApps

Das V. ist übrigens nicht die einzige Mangelumschreibung der Bundeswehr. Es gibt auch noch den gesteuerten Ausbau: Der beschreibt die Praxis, aus einem Kampfflugzeug Eurofighter beim Geschwader X Teile auszubauen, damit die Piloten beim Geschwaders Y ihre Eurofighter, bei denen diese Teile fehlen, mal wieder in die Luft bringen können. Die Eurofighter sind so teuer geworden, dass bei den Ersatzteilen gespart werden sollte. Es wurden einfach weniger bestellt. Nun werden die, die fehlen, hin und her gekarrt. Im Gegensatz zum gesteuerten Ausbau wurde das V. nicht als Notlösung, sondern als Lösung verstanden. Neusprech ist beides. Oder militärisch ausgedrückt: Sprachtarnung.

Dateninseln

Die D.-n sind eine Erfindung derjenigen, die mehr Überwachung der Bürger fordern, sie sind eine Neuschöpfung mit politischem Hintergedanken. Am 15. April 2016 sagte der Bundesinnenminister als Begründung dafür, dass die Große Koalition neue Überwachungsbefugnisse für Geheimdienste und Polizei schaffen will:

„Der internationale Terrorismus kennt keine Grenzen. Wir müssen ihm daher geschlossen und in guter bilateraler und internationaler Zusammenarbeit konsequent entgegen treten. Wir sind uns einig: Dateninseln können wir uns nicht leisten!“

Inseln sind für manche Menschen Sehnsuchtsorte – weil sie so abgelegen und einsam sind. Aus der Sicht derjenigen, die Kommunikation und Austausch wünschen, sind sie hingegen Gefängnisse. Genau dieses Bild will der Innenminister in den Köpfen entstehen lassen: versprengte Orte, an denen die doch so nützlichen Daten der Menschen eingesperrt sind und nicht dabei helfen können, das Leben aller sicherer zu machen. Informationen zum Nutzen der Allgemeinheit zu befreien, war bislang eher eine Forderung der Open-Data-Bewegung. Der Innenminister deutet diese Idee hier um und missbraucht sie, um mehr Überwachung zu rechtfertigen.

Die Formulierung stammt dabei wohl vom Bundeskriminalamt, das von der Anti-Terror-Paket genannten Überwachungsausdehnung profitiert. Der Präsident des BKA griff das Stichwort des Innenministers dankbar auf und wiederholte die Wortneuschöpfung wenige Tage später:

„Dateninseln darf es nicht mehr geben.“

Verfügbare Informationen müssten „zu jeder Zeit allen Sicherheitsbehörden vollständig zur Verfügung stehen“. Natürlich nur „unter Beachtung der [neuen?] rechtlichen Voraussetzungen“

Imamon CC BY-SA 2.0
Imamon CC BY-SA 2.0

Damit machte er deutlich, worum es geht: Verfügbare Informationen – also alle, die sich irgendwo finden lassen –, sind gefälligst den Behörden auszuhändigen. Datenzurückhaltung, von Verteidigern des Konzeptes auch Datenschutz und Privatsphäre genannt, ist ein Vergehen. Denn: all your data are belong to us!