Neusprech-Top-Ten des Jahres 2012

Zum Thema Unwort des Jahres… Hier sind unsere Top Ten des vergangenen Jahres. Die zehn am meisten beachteten Begriffe beim Neusprechblog 2012 waren:

1.   Eigentum, geistiges
2.   Verfassungsschutz
3.   Betreuungsgeld
4.   Content
5.   Regelstudienzeit
6.   Anschlussverwendung
7.   Vertrauen, vollstes
8.   Geld, frisches
9.   Fahrzeiten, geänderte
10. Funkzellenabfrage

Belastungsbremse

Der FDP-Politiker Christian Lindner wünscht sich, dass im Grundgesetz „eine B. als Leitplanke“ installiert wird. Eine verräterische Metaphernhäufung. Leitplanken finden in der Politik immer dann Verwendung, wenn der Ausdruck Grenze vermieden werden soll. Sie klingen positiver und nicht so bockig wie ein „nein, das machen wir nicht mit“. Doch wichtiger ist hier noch die B. Gemeint ist von der FDP ein System, das eine metaphorische Belastung begrenzen soll, nicht etwa eine physische Last. Doch die Analogie ist gewollt. Wie bei der → Steuerentlastung geht es auch bei der B. um Steuern. Eine Steuererhöhung (von der FDP allein als Belastung verstanden), soll möglichst gering ausfallen (gebremst werden). Entstanden ist das Wortungetüm wahrscheinlich in Analogie zur → Schuldenbremse: Neue Schulden sind gar nicht so schlimm, wenn deren Höhe irgendwie kontrolliert wird, oder es wenigstens danach klingt. Nun wird auch klar, warum Lindner zu so blumigen Ausdrücken greift. Sie sollen verbergen, dass die FDP damit von ihrer ständigen Forderung nach Steuersenkungen abgerückt ist und nun sogar für Steuererhöhungen eintritt – solange diese moderat ausfallen, also metaphorisch gesprochen gebremst werden, nötigenfalls durch Leitplanken. Bei welcher prozentualen Erhöhung diese Planken stehen, lässt der Ausdruck praktischerweise offen.

Mit Dank an Hans H.

Tragweite

Schon das Deutsche Wörterbuch von Wilhelm und Jakob Grimm, 1838 begonnen und 1961 endlich beendet, beschäftigt sich mit diesem Versuch, die Wichtigkeit des Gesagten noch zu steigern, weil sie dem Sprecher nicht wichtig genug erscheint. Wir zitieren (Orthografie und Kursivierung wie im Original, [Band 21, Spalte 1167ff.]):

„reichweite, entfernung, bis in die etwas trägt, d. i. reicht. junge bildung zu intrans. tragen […], die vor allem in der übertragenen verwendung von frz. portée beeinfluszt ist. überwiegend von der schuszwaffe, synonym mit früher gebräuchlicherem schuszweite (s. th. 9, 2102) und wurfweite”

Der Ausdruck ist also reichlich kriegerisch. Diesbezüglich zitiert das Grimmsche Wörterbuch Arthur Schopenhauer, der in seinem Werk „Wider die Verhunzung des Deutschen“ vor der Verwendung warnt:

„[…] ‘die tragweite’ la portée ist gallicismus und dazu ein kanonierausdruck, den man nur in besonderen fällen gebrauchen sollte, statt ihn bei jeder gelegenheit aufzutischen.“

Seinem Rat wurde offensichtlich schon damals nicht Folge geleistet. Das Wörterbuch weiter:

„in den politischen kämpfen von 1848 zum parlamentarischen und journalistischen schlagwort geworden: sehen sie alle stenographischen berichte (der nationalversammlung) durch, und sie werden selten eine rede finden, in der nicht die worte rechnung tragen und tragweite vorkommen … (beides) sind ein paar unglückliche worte, und ich glaube, sie sind ein groszes hindernisz für die ausführung sehr vieler beschlüsse gewesen Raveaux bei Wigard bericht üb. die nationalvers. 6, 4593b […]“

Der Ausdruck sei „fast formelhaft“ für politische Tragweite und „in der verbindung mit grosz, unberechenbar u. ä. zur formel erstarrt […] bes. in der fügung von … tragweite: schritt von groszer tragweite“.

Geholfen hat es nicht. Beziehungsweise nicht viel.

Hochfrequenzhandel

Was für ein Wort! Das klingt so herrlich nach Elektrifizierung und Fortschritt, nach Moderne und Zukunft. Das kann doch nichts Schlechtes sein. Nunja. Eigentlich beschreibt es einen ziemlich üblen Trick, den manche Banken nutzen, um sich bei Aktiengeschäften einen Vorteil zu verschaffen. Computer analysieren dabei, was normale Händler ordern und wetten innerhalb von Millisekunden mit ihnen oder gegen sie. Noch bevor also der Auftrag eines Aktienhändlers abgeschlossen ist, haben die Rechner dieser Banken den Auftrag registriert und die gleichen Aktien gekauft. Sekundenbruchteile später verkaufen sie diese wieder und profitieren so von der geringfügigen Preissteigerung, die die ursprüngliche Order des Händlers ausgelöst hat. Im Zweifel sind es nur Teile eines Cent, doch können die Rechner in einer Sekunde Millionen solcher Geschäfte abwickeln, so sammelt sich schnell viel Geld. Das ist tatsächlich ein Handeln mit hoher Häufigkeit, lateinisch frequentia und daher nicht wirklich ein falsches Wort. Jedoch eines, das zusammengezogen zur Hochfrequenz eher auf die Elektrotechnik und damit in eine falsche Richtung weist. Und es ist ein Wort, das ein zweites wesentliches Merkmal des Zaubertricks zu erwähnen vergisst: die Autonomie. Menschen haben auf den Handel nur insoweit Einfluss, als sie die Programme und Algorithmen dafür schreiben. Alles andere macht der Computer. Weshalb der H. durchaus als Euphemismus gelten kann. Dass er umstritten ist und möglicherweise verboten ein wenig eingeschränkt werden könnte, wundert Sie jetzt nicht mehr wirklich, oder?

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

Beitragsservice

Was stellen Sie sich unter einem B. vor? Vielleicht einen freundlichen Menschen, der Sie einmal im Monat besucht, Ihnen das aktuelle Radio- und Fernsehprogramm bringt und die Summe, die Sie gern für Informationen und schöne Künste entrichten wollen, für Sie zur Bank trägt? Das immerhin wäre ein Dienst, eine Bedienung – lateinisch servitium, französisch service. Unser B. tut leider nichts dergleichen. Dabei ist er der offizielle Name der Institution, die im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender das Geld einzieht, das jeder hierzulande verpflichtet ist für den Rundfunk zu zahlen. Bislang hieß das Ding durchaus treffend Gebühreneinzugszentrale, kurz GEZ. Doch hat sie einen eher üblen Leumund als knickerige Schnüffelbehörde, weswegen eine Zeitlang überlegt wurde, sie in Rundfunkservicezentrale umzubenennen. Vor allem, weil es freundlicher klingt – der Service wieder, Sie haben ihn sicher schon bemerkt. Nun jedoch wurde das ganze Modell geändert. Seit dem 1. Januar ist es keine Gebühr mehr, die sich danach richtet, ob jemand den Gegenstand tatsächlich nutzt. Nun ist es ein Beitrag: Es genügt, dass man die öffentliche Einrichtung nutzen könnte, wenn man denn wollte. Wie eine Straße oder eine Parkbank. Man hätte die 17,98 Euro daher auch getrost Informationssteuer nennen können, das wäre ehrlicher gewesen, klingt aber nicht so blumig. Doch wir wollen nicht kleinlich sein, dann eben Beitrag. Die Einzugszentrale jedoch als B. anzutünchen, zeugt von Chuzpe. Sie dient den Beitragszahlern nicht, sie drangsaliert sie nur.

Mit Dank an @RumbaDelSol und @carhartl.