Lebensleistungsrente

Es gibt die Rente. Die bekommt irgendwann, wer sein Leben lang etwas geleistet und einen Teil seines Lohns in die staatliche Rentenversicherung eingezahlt hat. Nun aber soll es auch noch eine L. geben. Eine Rente dafür, gelebt zu haben? Nein. Die L. ist ein hübscher Begriff, der einen traurigen Zustand verschleiert. Denn sie sollen nach dem Wunsch von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen all jene erhalten, die vierzig Jahre lang gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt haben, die zusätzlich in eine private Rentenversicherung einzahlten – trotz allem aber so wenig Rente haben, dass sie unter dem sogenannten Existenzminimum liegen. Also offiziell arm sind. Die Tatsache an sich ist schon ein Skandal. Es gibt Menschen, die in einem der reichsten Länder der Erde mit ihrer Hände Arbeit so wenig Geld verdienen, dass sie im Alter zu verwahrlosen drohen. Man könnte das zum Anlass nehmen, einen Mindestlohn zu fordern, Verzeihung, eine → Lohnuntergrenze. Das will die Union aber nicht, das kommt bei den Unternehmen, die für ihren Wahlkampf spenden, nicht so gut an. Da schlägt sie lieber eine L. vor. Denn die soll mit Steuern bezahlt werden. Ein klassischer Trick, der schon bei den sogenannten → Aufstockern praktiziert wird. Die L. ist außerdem ein Beispiel für den Versuch, alten Kram mit einem neuen Wort zu verkaufen. Denn sie ist genau so hoch wie die sogenannte Zuschussrente, die Ursula von der Leyen zwei Monate zuvor vorgeschlagen hatte. Ein Vorschlag, für den sie keine Zustimmung im Parlament fand. Vor allem, weil das Ding den Betroffenen nichts bringt. Übrigens genau wie die L.

Mit Dank an Maik H.

Bildungssparen

Die Idee des B. verdanken wir der Union. Sie wünscht schon seit vielen Jahren, dass die Bürger Geld zurücklegen, um es irgendwann später für Bildung auszugeben. Sie sollen für ihre Bildung sparen. Das klingt erst einmal sinnvoll. Dabei ist es eine komplette Umkehrung der bisherigen Vorstellung von Bildung. Das Gemeingut Bildung, das hierzulande jeder nahezu kostenlos in Anspruch nehmen kann, soll privatisiert und der individuellen Vorsorge überantwortet werden. Daher wurde dieser Vorschlag auch schon mehrfach abgelehnt. Nun ist er wieder aufgetaucht, dank des politischen Kuhhandels zwischen CSU und FDP um das sogenannte → Betreuungsgeld – eine neue staatliche Leistung, an deren Sinn viele zu Recht zweifeln und dem die FDP nun unter der Voraussetzung zustimmen will, dass das Geld über den Umweg Eltern sogleich an die → Finanzindustrie weitergereicht wird. Denn das geschieht mit dem für die Bildung gesparten Geld. Banken und Versicherungen werden → Finanzprodukte erfinden, um für sich einen Teil der Kohle abzuzweigen. Von dem Rest können die Sparer sich dann die Bildung kaufen, die sie bislang kostenlos bekamen. Somit ist der seltsame Ausdruck B. dann doch recht treffend gewählt. Denn tatsächlich wird nicht für, sondern an Bildung gespart mit der Folge, dass es für Kinder aus armen Familien noch schwieriger wird als bisher, sich zu bilden. Denn wer nichts hat, kann auch nichts für noch schlechtere Zeiten zurücklegen.

Fahrzeiten, geänderte

Aus der Verspätung wurden die → Fahrzeitverlängerungen, aber das reichte der Bahn noch nicht. Dieser Euphemismus verlangte offenbar nach einer weiteren Abschwächung, und jetzt ruft es aus den Lautsprechern im besten Bahnsprech gern: „Aufgrund von Bauarbeiten verkehrt dieser Zug in geänderten Fahrzeiten.“ Fahrzeiten? Technisch mag das richtig sein, aber allein der Plural gibt zu denken: Denn er dient wie bei den → Fahrzeitverlängerungen dazu abzumildern. Eine geänderte Fahrzeit beunruhigt, bei geänderten F. geht man eher davon aus, dass es sich um etwas Normales handelt, da es doch so viele davon zu geben scheint. Jedoch stehen die geänderten F. nicht im Fahrplan, jedenfalls nicht im publizierten. Und jetzt darf geraten werden: Kommt der Zug aufgrund der Änderung früher an? Erfahrungsgemäß nicht! Dummerweise verhält es sich mit Abschwächungen ähnlich wie mit Steigerungen: es wird irgendwann schwierig, noch weiter zu gehen; bald dürfte es für die Deutsche Bahn einfacher sein, Züge pünktlicher zu machen, als neue Sprachschöpfungen für ihre Unpünktlichkeit zu ersinnen. Es besteht also noch Hoffnung für verspätungsgeplagte Reisende – äh, für von geänderten F. Geplagte.

Gefahrenpotenzial, erhebliches

Das Adjektiv erheblich bedeutet so viel wie ‚groß’, klingt aber noch ein wenig gewichtiger. Möglicherweise ist es eine Lehnübersetzung von relevant, das sich vom französischen lever (‚heben‘) ableitet. Aber so groß auch ein Potenzial sein mag, es bleibt ein Potenzial, also eine Möglichkeit. Ein G. ist somit die Möglichkeit einer Gefahr. Wobei dem Substantiv Gefahr ebenfalls eine Möglichkeit innewohnt, denn es bezeichnet die drohende Gefahr, nicht eine bereits passierende Katastrophe. Es handelt sich also beim G. um die Möglichkeit einer Möglichkeit und die ist dann auch noch erheblich. Mit anderen Worten: Das BKA liegt immer richtig, wenn es vor so etwas warnt. Gleichzeitig kann es natürlich überall solche möglichen Möglichkeiten sehen. Oder nirgends. Siehe auch → abstrakt hoch.

Berater

Im Mittelhochdeutschen bedeutete rathen, jemanden mit etwas zu versorgen, ihm Fürsorge angedeihen zu lassen, ihn zu schützen. Bis heute hat sich dieser Sinn erhalten: Das Verb raten wird immer dann gebraucht, wenn jemand einen Rat erteilt, wenn jemand hilft, ohne etwas dafür zu verlangen. Der B. muss demnach ein recht uneigennütziger Mensch sein, der durch die Lande zieht und Menschen unterstützt, wo er nur kann. Ist er aber nicht. Denn ein B. ist entweder jemand, der für exorbitante Honorare dafür sorgt, dass Firmen mehr Gewinn machen, meistens indem sie Mitarbeiter → freisetzen. Oder jemand, der als Versicherungs-B. anderen teure Dinge aufschwatzt, die sie nicht brauchen. In beiden Fällen also ist er eigentlich ein Verkäufer.

Die Betreffenden wissen offensichtlich um das schwierige Ansehen ihres Berufes. Warum sonst sollten sie sich immer wieder mit dem Attribut „unabhängig“ schmücken? Wobei dieses Adjektiv diejenigen, die eine solche Beratung genießen, nur umso stutziger machen müsste. Denn wer erst explizit darauf hinweisen muss, dass er unabhängig ist, ist es wahrscheinlich gerade nicht. Beraten und verraten haben übrigens den gleichen Wortstamm. Aber das nur nebenbei.