Rückbau

Unsere Sprache kennt für viele Dinge kraftvolle und eindeutige Ausdrücke. Bei einem Abriss, um ein nicht ganz zufällig gewähltes Beispiel zu nennen, weiß wahrscheinlich jeder sofort, was gemeint ist. In manchen Zusammenhängen sind solche Ausdrücke aber offenbar nicht von allen Beteiligten gewünscht. Beispielsweise bei Atomkraftwerken. Abriss klingt den betreibenden Unternehmen wahrscheinlich zu staubig und zu hastig, weswegen sie angesichts der durchaus heiklen Aufgabe lieber vom R. sprechen und schreiben. Ist es doch ein viele Jahre dauernder und aufwändiger Prozess, ähnlich einem Aufbau und soll daher auch so klingen. Bauen wird positiv verstanden, da dabei etwas geschaffen wird. Ein R. nutzt diese Konnotation, um planmäßiger, geordneter und weniger brachial zu wirken. Gleichzeitig legt der Begriff nahe, dass das Bauwerk, das abgerissen wird, nur provisorisch dort gestanden habe und nun endlich zum Ursprungszustand zurückgekehrt werde. Technisch mag das stimmen, inhaltlich bleibt es aber ein Abriss, denn auch beim R. wird das Bauwerk letztlich beseitigt. Dass der R. ein politischer Begriff ist, zeigt sich gerade deutlich an dem kleinen Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen. Das soll abgerissen, Verzeihung, rückgebaut werden, wie das Energieunternehmen RWE schreibt, damit riesige Bagger die Kohle unter dem Ort aus der Erde holen können, um sie anschließend zu verbrennen. Dagegen gibt es aus vielen guten Gründen Proteste, weswegen RWE diesen Zusammenhang in bestes Neusprech verpackt und schreibt: Lützerath solle „anschließend bergbaulich in Anspruch genommen“ werden. Das Inanspruchnehmen ist dabei allerdings so gründlich, dass nicht nur das Dorf selbst abgerissen wird, sondern viele Meter Erde unter ihm mitverschwinden werden. Hier von einem R. zu sprechen und damit zu suggerieren, dabei werde ein ursprünglicher Zustand wiederhergestellt, ist eine Frechheit.

Mit Dank an Sabine S. für den Hinweis.

Spritpreisbremse

Die S. (auch als Tankrabatt bezeichnet) soll dafür sorgen, dass sich Benzin und Diesel weniger verteuern. Damit soll die durch die gestiegenen Preise vorangetriebene Inflation „gebremst“ werden, weshalb Finanzminister Christian Lindner (FDP) auch von einem Krisenrabatt spricht. Es ist ein „Rabatt“, weil die Allgemeinheit Steuermittel zuschießt, nicht weil man mehr Krise für sein Geld bekommt. Lindners Wortneuschöpfung ist wie so oft ungenau und missverständlich, siehe auch → Freiheitsenergien. Da von diesem Tankzuschuss besonders diejenigen profitieren, die viel Treibstoff verbrauchen, könnte man auch von einer Verbrauchsprämie sprechen. Am meisten profitieren aber natürlich die Hersteller des Treibstoffes. Denn selbst wenn sie den finanziellen Zuschuss nicht durch höhere Preise abschöpfen, was nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann, verdienen sie an jedem dank S. mehr verkauften Liter Benzin und Diesel. Es handelt sich daher bei der S. nicht etwa um eine Unterstützung für Bürgerinnen und Bürger, wie in politischen Reden gern suggeriert wird, sondern um ein Konjunkturprogramm für Mineralölkonzerne.

Generalverdacht

Ein Mensch mit Hautfarbe ist auf scheinbar unerklärliche Weise in seiner Gefängniszelle verbrannt, ein zweiter ist bei einer Abschiebung erstickt, ein dritter von hinten erschossen worden. Wer immer wieder darauf verweist, dass solche Taten nur Einzelfälle sind, gern auch bedauerliche, der will verschleiern, dass die Häufung solcher Vergehen ein Hinweis auf ein grundsätzliches Problem sein könnte. In diesem Fall darauf, dass Teile der deutschen Gesellschaft und damit auch Teile der Polizei rassistisch denken und handeln. Doch wir schweifen ab. Eigentlich geht es darum, dass die Berliner Landesregierung ein neues Gesetz beschlossen hat. Es soll allen Menschen die Chance geben, vom Staat eine Entschädigung zu erhalten, sollte der- oder diejenige von einem Beamten oder einer Beamtin diskriminiert worden sein. Gute Idee eigentlich, denn solange entsprechende Taten nahezu straflos bleiben – siehe oben – werden sie kaum seltener werden. Union und FDP sind trotzdem gegen das Gesetz. Diverse Politiker dieser Parteien behaupten, damit werde ein G. gegen alle Polizisten geäußert. Das ist natürlich Unsinn. Mit der Bestrafung von Geschwindigkeitsübertretungen im Straßenverkehr werden auch nicht alle Autofahrer unter den G. gestellt, Raser zu sein. Immerhin trifft die Strafe nur jene, die das Vergehen auch begehen und lässt allen anderen ihre verdiente Ruhe.

Lustigerweise soll der befürchtete G. sich in den Augen der Kritiker auch nur auf Polizisten und Polizistinnen beziehen, obwohl das Gesetz neben diesen auch alle Lehrer, Richterinnen, Kitaerzieher, Behördenmitarbeiterinnen und viele andere Menschen meint, denn es bindet “die gesamte öffentliche Verwaltung und alle öffentlichen Stellen des Landes Berlin”. Das macht es nur noch offensichtlicher, dass es bei der Kritik allein darum geht, ein sinnvolles Vorhaben zu diskreditieren und damit den Schutz von Minderheiten und die Aufklärung von Amtsmissbrauch zu verhindern.

Nebenbei: Polizisten tun üblicherweise genau das, was nun jenen vorgeworfen wird, die das Problem bekämpfen wollen: Sie stellen ganze Bevölkerungsgruppen unter G., es gibt mit racial profiling sogar ein verschleierndes Fachwort dafür. Wenn einem im beruflichen Alltag immer wieder Dealer aus A-Land und Einbrecher aus B-Land unterkommen, ist es natürlich nachvollziehbar, alle A-Land-Bewohner als Dealer und alle B-Land-Bewohner als Einbrecher zu sehen und sie von vornherein so zu behandeln. Aber ein solcher G. ist nichtsdestotrotz falsch und rassistisch. Der Versuch, diese gefährliche Praxis zu bekämpfen, als G. zu schmähen, ist daher geradezu zynisch.

Sonderkulanz

Eine Kulanz liegt vor, wenn Verkäufer Käufern über die gesetzlich festgelegten Garantie- und Gewährleistungsansprüche hinaus im Falle eines Ärgernisses entgegenkommen. Es kommt vom französischen coulant ‚rollend, fließend‘, das in diesem Zusammenhang so viel wie ‚geschmiert‘ bedeutet: Um die Zufriedenheit und damit die Kundenbindung zu verbessern, wird eine Kulanz gewährt. Sie ist also immer etwas Besonderes, das in der Regel nicht einklagbar ist. Die S. ist somit eine Verdoppelung des Besonderen. Damit soll noch einmal unterstrichen werden, dass es sich bei diesem Entgegenkommen um eine besondere Ausnahme handelt. Doch wird von S. meist gesprochen, wenn Kunden möglicherweise doch einen Anspruch auf Vergütung haben, die Kulanz also gar keine ist (so zum Beispiel bei der Erfüllung von Fahrgastrechten bei der Deutschen Bahn). Die Verdopplung des Besonderen ist also ein Hinweis für eine unpassende Verwendung des Wortes (Malapropismus). Und darauf, dass Menschen hier lediglich das bekommen, was ihr Recht ist.

Temposünder

Sünden sind schlimm, aber strafrechtlich nicht weiter von Belang, im Strafgesetzbuch taucht der Begriff nicht auf. Weswegen Sünden im heutigen Sprachverständnis längst nicht mehr so schwer wiegen wie einst. In der Folge wirken Verfehlungen, die als Sünde bezeichnet werden, harmloser als andere Taten. Das zeigt sich am Steuersünder, aber auch am T. Die Strafen für überhöhte Geschwindigkeit sind in den vergangenen Jahren gestiegen, zuletzt wurden zwei Raser sogar erstmals wegen Mordes angeklagt, in einem anderen Fall bestätigte auch der Bundesgerichtshof eine solche Verurteilung. Offensichtlich ändert sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber diesem Delikt. Der seit langer Zeit übliche Ausdruck T. passt dazu irgendwie nicht mehr. Andererseits werden die allermeisten Geschwindigkeitsüberschreitungen in Deutschland noch immer sehr viel milder bestraft als in anderen europäischen Ländern. Es drängt sich der Gedanke auf, dass die Wortwahl bei der Beschreibung der Täter etwas damit zu tun haben könnte.

Mit Dank an Frerk M. für den Vorschlag.