Insofern grandios, da Neusprech für Neusprech und Beleg dafür, dass man aus dem Brett vor dem Kopf auch eine prima Waffe machen kann. Wir zitieren mal kurz aus dem Strategiepapier politische R. der Bertelsmann-Stiftung: „Dass trotz dieser grundsätzlichen Aufgeschlossenheit hierzulande Initiativen zum Umbau des Wohlfahrtsstaates regelmäßig als Zumutung – nicht als Chance – wahrgenommen werden, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass bislang die Vertrauensbildung durch strategische Regierungskommunikation entschieden zu kurz kommt.“ Also nicht die Reformen Umbauten Streichungen des Sozialstaats Wohlfahrtsstaates sind Schuld daran, dass Politikern keiner mehr traut, sondern die mangelnde R.? Gute Güte. Und wem das nicht reicht, es gibt sogar eine Professur dafür, beziehungsweise gab, inzwischen ist sie bemäntelt umbenannt worden in politische Kommunikation.
Lässt nicht auch Guttenberg gelegentlich verlauten, dass der Afghanistan-Einsatz nicht das Problem sei, sondern dass man diese Angelegenheit dem Volk nur richtig erklären müsse?
sic!
Das ist jetzt allerdings nicht mal eine Spezialität des Barons und keine Erfindung von Bertelsmann (die haben das nur dermaßen erschreckend professionalisiert).
Die Formulierung vom “die Leute mitnehmen” oder “besser kommunizieren” ist eigentlich überall zuhause, wo man genau weiß, daß das, was man da im Sinn hat, scheiße ist, man es sich aber selbst schönreden will, nicht zuletzt, weil man selbst da gerade praktischerweise einen wie auch immer gearteten ganz individuellen Vorteil (in der Regel: materieller Art) draus zieht, auf den man für die echte gute Sache halt einfach nicht verzichten “kann” (können will). Man kennt das Spielchen doch bestens aus Sparrunden in der Firma, Bahnhofsabbauten zugunsten von Immobilien und “Schlichtungen” u.v.m.
Das Wort “Reform” kam ja auch neulich im Alternativlos-Podcast zu Neusprech vor und da fiel auch die Assoziation zu Reformation und dazu, dass man mit Reform ja eigentlich etwas Positives assoziieren sollte. Nun habe ich einen spannenden Beitrag über spätmittelalterliche Handschriften in den Lüneburger Frauenklöstern gelesen, der mich daran erinnert hat. Diese Nonnenklöster waren in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts der Windesheimer Klosterreform und in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts der lutherischen Klosterreform mit Konfessionswechsel unterworfen. (Zwei liturgische Reformen innerhalb von 100 Jahren.) Beide Reformen/Reformationen wurden gewaltsam und gegen den erbitterten Widerstand der Nonnen durchgesetzt. Die Nonnen vom Kloster Medingen widersetzten sich dem 1542 angeordneten Konfessionswechsel 30 Jahre lang und die Äbtissin verbrannte öffentlich eine Lutherbibel, die Herzog Ernst geschickt hatte. Andere Nonnen warfen ihre (nach der Reform unbrauchbar gewordenen) persönlichen Andachtsbücher aus den Fenstern, um sie vor Zerstörung zu retten.
Ich erkenne in dieser kleinen Geshcichte, dass die Bewertung von Reformen und Reformationen schon immer durchaus abhängig vom jeweiligen Blickwinkel war. Und das hat sich m.E. bis heute nicht geändert, bzw. ist heutzutage wieder vielen klar, dass “Reform” nicht unbedingt Gutes/Änderung zum Besseren für alle bedeutet.