Supergrundrecht

Grundrechte heißen Grundrechte, weil sie allem zugrunde liegen, was wir unter dem Begriff Rechtsstaat verstehen. Sie sind die Basis, das Fundament. So etwas muss man sprachlich nicht überhöhen, denn was kann wichtiger sein als der Boden, auf dem alles ruht? Eben. Innenminister Hans-Peter Friedrich hat trotzdem versucht, den Begriff zum S. zu übertreiben. „Sicherheit ist ein Supergrundrecht“, hat er nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages gesagt. Sie sei im Vergleich mit anderen Rechten herauszuheben. Friedrich muss also einen Grund (haha) dafür gehabt haben, eine Hyperbel zu verwenden. Hatte er auch. Er wollte verschleiern, dass er erstens nicht die Sicherheit der Bürger meint und dass Sicherheit zweitens gar kein Grundrecht ist. Unsere Grundrechte sind sogenannte Abwehrrechte: Sie sollen den einzelnen und damit per se schwachen Bürger vor der Macht des Staates und seiner Organe schützen. Daher ist im Grundgesetz oft von Freiheit die Rede, aber kaum von Sicherheit. Die Sicherheit kommt in all den Artikeln nur sechs Mal vor und jedes Mal geht es dabei um die Sicherheit des Staates, nie um die der Bürger. Die Freiheit hingegen wird im Grundgesetz 35 Mal erwähnt und gemeint ist immer die Freiheit des Einzelnen. Friedrichs Behauptung war also eine Lüge, die mit einer noch größeren Lüge kaschiert werden sollte. Eine klassische Taktik. Roland Koch hat sie berühmt gemacht, als er nicht nur Aufklärung versprach, sondern gleich brutalstmögliche Aufklärung und nichts davon ernst meinte. Der Innenminister geht sogar noch weiter und dreht das gesamte Grundgesetz um. Denn dadurch, dass er Sicherheit im Zusammenhang mit den Grundrechten nennt, suggeriert er, es gehe um die Sicherheit der Bürger. Allerdings sagte Friedrich seinen Satz als Rechtfertigung eines Überwachungsprogramms. Es geht also darum, dass der Staat seine Bürger besser beobachten kann, um seine Informationshoheit und seine Macht zu sichern.

Lustigerweise hat Friedrich mit seiner kurzen Bemerkung nicht nur das Grundgesetz verdreht, sondern auch gleich noch belegt, dass er es gar nicht kennt. Denn es gibt tatsächlich ein Supergrundrecht, ein Grundrecht also, das über allen anderen steht: Es ist die Menschenwürde. Sie ist das einzige Grundrecht, das nicht durch Gesetze eingeschränkt werden kann, sie ist, wie es im Text heißt, „unantastbar“. Und wollen Sie noch einen interessanten Fakt dazu hören? Aus eben dieser Menschenwürde ist das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet, das besagt, dass man darauf vertrauen können muss, von den eigenen technischen Geräten nicht überwacht zu werden.

Mit herzlichem Dank an die fleißigen Einsender.

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42 Kommentare

  1. Will man einen Bildbruch vermeiden und bei der Metapher des Grundes/der Basis/des Fundaments bleiben, dann ist auch sprachlich die Rede vom “Supergrundrecht” verkehrt. Ein besonders hervorzuhebendes Grundrecht wäre ja grundlegender als andere Grundrechte. “super” (lat.) bedeutet aber “über”, weshalb “Subgrundrecht” passender wäre. Aber wen schert heutzutage schon die konsistente Verwendung von Metaphern…

  2. Andererseits hat Hanspeter natürlich recht:

    Wenn das Grundgesetz das Fundament ist, dann ist ein Supergrundrecht nach dem lateinischen “super”, deutsch “über”, ein Recht, das auf das Grundrecht aufgebaut ist.
    Es ist damit ein Recht wie jedes andere Nicht-Grundrecht.

    Q.e.d (quo errat demonstrator)

  3. Ähmm … so schön Du das auch formuliert hast und so gerne ich Dir dabei zustimmen würde, ich muss leider doch wiedersprechen. Selbstverständlich stehen eine ganze Reihe von Sicherheiten in unseren Grundrechten.

    “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” ist die Sicherheit, dass niemand meine Würde (ungestraft) antasten darf.

    “Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.” ist die Sicherheit, dass mich niemand (ungestraft) verletzen darf.

    “Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich” ist die Sicherheit, nicht (ungestraft) Willkür ausgesetzt zu werden.

    “Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.” ist die Sicherheit, in Ruhe in einer Kirche beten zu dürfen.

    … und immer so weiter.

  4. sollen nicht für unsere Grundrechte und die EMRK im Zweifelsfall gelten, dass die mit mehr Rechten für den Bürger gelten?

  5. Kann “Sicherheit” nicht schon deswegen kein Grundrecht sein, weil man es ja gar nicht einklagen könnte? Wenn mich jemand zusammenschlägt, müsste ich ja dann den Staat verklagen können, weil er mich nicht geschützt hat, oder?

  6. Lieber Kai und alle anderen,

    Sicherheit und Freiheit sind siamesische Zwillinge. Unsere bürgerliche Freiheit muss täglich neu gesichert werden, durch Rechtsstaatlichkeit und Polizei, sonst würden wir in einer ungeordneten Freiheit leben, in der das Recht des Stärkeren gilt. Rechtsphilosophisch ergibt eine Gegenüberstellung von Freiheit und Sicherheit überhaupt keinen Sinn. Freiheit ist nichts anderes als die Sicherheit, handelnd meine Zwecke verfolgen zu können, ohne dass ein Dritter mich dabei unrechtmäßig behindert.

    Das “Supergrundrecht” Art. 1, die Menschenwürde, ist nichts anderes als unser angeborenes Freiheitsrecht (so nennt es Kant). Und ohne Sicherheit gäbe es keine Handlungsfreiheit. Friedrich liegt also keineswegs falsch mit dem “Supergrundgesetz Sicherheit”!

    (Eine Kritik an Friedrich kann an seinem Verständnis von Freiheit und Sicherheit ansetzen, aber nicht am diskutierten Ausdruck.)

    Grüße,
    Jürgen

  7. Ich denke, wenn Friedrich von Sicherheit spricht, meint er weniger die des einzelnen – ohne diese individuelle Sicherheit, eben vor jedweden Übergriffen, ist Freiheit in der Tat nur eine Phrase. Die Friedrichsche Sicherheit ist die des Staates und seiner Organe. Diese führt dann zu Szenen wie bei Stuttgart 21 oder in Frankfurt, bei denen verschiedene Grundrechte teils massiv beeinträchtigt wurden, um wirtschaftliche Partikularinteressen zu schützen.

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