Wenn eine Demonstration, um ein beliebtes Beispiel zu zitieren, „ü. friedlich“ war, was war sie dann? Friedlich? Oder war es nicht doch eher eine Demonstration, bei der es zu Ausschreitungen kam, mithin zu Gewalt und Festnahmen? Der Richter und Autor Franz-Benno Delonge fand in seinem Buch „Rückhaltlose Aufklärung“, ü. sei ein praktischer Ausdruck, wenn das Gegenteil von dem zutreffe, was gemeint sei. Recht hatte er. Denn das kleine Wort lässt ein geschicktes Ausweichmanöver zu: Es ist keine Lüge, allerdings verschleiert es gehörig, betont es doch einen Fakt, der für das Ereignis vielleicht gar nicht prägend war und lenkt damit vom Kern ab. Wenn politische Gespräche, um noch ein Beispiel anzuführen, das von Politikern gern verwendet wird, ü. konstruktiv verlaufen sind, kann man also getrost davon ausgehen, dass dabei auch gebrüllt wurde.
@stefanolix
Was denkst du, wenn ich dich dafür lobe, dass du heute deine Frau / Freundin wieder nicht geschlagen hast? ;-) Das ist ein vergiftetes Lob – so wie die “friedliche Demonstration”.
Das Framing-Konzept hat seinen Ursprung in der linguistischen Semantik (Fillmore, Lakoff) und prägt heute ganz entscheidend Disziplinen wie Kognitionsforschung (Minsky) und Kommunikationswissenschaften. Google “Frame”, “framing”. George Lakoff benutzt nutzt auf seiner Seite (http://georgelakoff.com) aus liberaler Perspektive die Frametheorie in der sprachpolitischen Auseinandersetzung mit konservativer-republikanischer Rhetorik. Sehr instruktiv!
Die Idee dahinter: Was Wörter und Begriffe bedeuten, ergibt sich durch die Analyse ihrer Verwendungskontexte. Ein Frame ist so etwas wie eine typische Verwendungssituation. Zum Verb “kaufen” gehört z.B. immer ein Käufer, ein Verkäufer, eine Ware etc. Das ist unproblematisch. Aber in der Politik geht es um abstrakte Sachverhalte, die über Metaphern und Beispiele für die politische Kommunikation handhabbar gemacht werden müssen. Frames erleichtern die Konzeptualisierung, bergen deshalb aber auch gehörig Manipulationspotential. Spreche ich etwa von “Steuererleichterungen”, dann erzeuge ich den Frame “Steuern sind eine Last”. Das ist die versteckte Botschaft, die durch den Frame transportiert wird. Oder die Wahrnehmung der Finanzkrise als “Staatsschuldenkrise”: Richtig ist zwar, das wir in Europa ein massives Problem mit Staatsschulden haben. Aber die versteckte Botschaft lautet: Ursächlich für die Eurokrise ist unverantwortliches Schuldenmachen, nicht etwa das kollektive Bankenversagen.
Zurück zum Gewaltframe: Über Demonstrationen kann ich auf vielerlei Weisen berichten und sprechen, d.h. sie in verschiedene Interpretationsrahmen setzen. Ich kann etwa die politische Botschaft in den Vordergrund rücken, die Zahl und soziale Zusammensetzung der Teilnehmer oder die Örtlichkeit und den zeitlichen Verlauf. Aber ich kann natürlich auch den Gewaltaspekt betonen. Das Framing besteht jetzt darin, diesen Aspekt in der Berichterstattung gewohnheits- oder planmäßig an erste Stelle zu rücken, selbst wenn nichts geschehen ist (“friedliche Demonstration”). Tun dies die Medien nur oft genug, und unter Begleitung von entsprechendem Bildmaterial, dann brennt sicht die Assoziation “Demos sind mit Gewalt verbunden” förmlich ein.
Ein zentraler Bestandteil dieses Gewaltframes ist außerdem die Personalisierung von Demonstrationen zu einer Art von Kollektivakteur. Es sind ja eigentlich nicht die Demos, die friedlich oder gewaltätig sind, sondern beteiligte Gruppen – Polizisten, Autonome, andere Demonstranten, Gegendemonstranten, Passanten. Die Redeweise von *der* “(un)friedlichen Demo” schreibt aber die Verantwortung für Gewaltakte den Organisatoren zu und setzt sie unter Rechtfertigungszwang.
@Jürgen: Zuerst vielen Dank für die ausführlichen Erklärungen. Ich sehe das Muster des Framing an mindestens einer Stelle auch in Ihrem Kommentar: »Bankenkrise« wird nämlich methodisch ähnlich angewandt wie »Staatsschuldenkrise«. In der Tat sind es eigentlich zwei Krisen und an einigen Punkten hängen sie eng zusammen.
Aber zurück zum »überwiegend«: Mir ist es auch wichtig, dass das Demonstrationsrecht nicht ausgehöhlt wird und dass Demonstrationen nicht in einen Zusammenhang mit Gewalt gestellt werden.
Wenn ich aber an die Demonstrationen in meiner eigenen Stadt denke, kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, dass die Lokalpresse in erster Linie unter dem Aspekt des Auftretens von Gewalt berichtet. Es interessiert doch die Leser in der Tat, ob es Verletzte unter den Bürgern und bei der Polizei gab, ob Scheiben zerschlagen wurden oder ob Barrikaden gebrannt haben. — Also soll »überwiegend friedlich« meiner Meinung nach den Leser und die Leserin beruhigen: Es ist schon nicht so schlimm gewesen, wie Sie es befürchtet haben.
Nun könnte die Vermutung aufgestellt werden (und das lese ich aus Ihrem Kommentar heraus), dass die Medien diese Befürchtungen erst erzeugen. Aber daran glaube ich nicht so recht: Wenn es bei gleichartigen Demonstrationen mehrere Male nacheinander zu Gewalt kam, bin ich als Medienrezipient in der Tat daran interessiert: Wie ist es diesmal gelaufen? Hat die Gewalt dominiert oder war die Demonstration »überwiegend friedlich«?
@stefanolix
Bei meiner Analyse von “ü. freundlich” habe ich eine Demonstration vor Augen, bei der es am Rande vereinzelt zu gewalttätigen Aktionen kommt, die aber weder zahlenmäßig, noch vom angerichteten Schaden her ins Gewicht fallen, also unter “Folklore” verbucht werden können. Ist es anders, wie in den von Ihnen angedeuteten Fällen, dann ist in der Tat eine Berichterstattung gerechtfertigt, die den Gewaltaspekt zentral thematisiert.
Ich denke, anders als Sie, dass der Gewaltaspekt tatsächlich die Berichterstattung in den Medien unangemessen dominiert. Ein Grund mag der Rückgriff auf Polizeiberichte sei. Ein anderer, dass Gewalt hohe Aufmerksamkeit garantiert. Und ein dritter, dass so auf elegante Weise das Anliegen der Demonstranten in den Hintergrund gerückt, oft sogar diskreditiert werden kann. In der Berichterstattung eine Demo als “friedlich” hervorzuheben, heißt den Generalverdacht gegen Demonstrationen und Demonstranten zu reproduzieren. Sollte es tatsächlich, wie in ihrer Stadt, wiederholt zu Gewalt kommen, dann müssen die Verursacher in den Blick genommen werden, aber nicht “die Demo” als solche. Unfriedlichlich sind etwa autonome Steinewerfer, manchmal auch Polizisten.
Eine “unfriedliche Demonstration” ist für mich eine, auf der die Organisatoren selbst zu Sachbeschädigungen aufrufen oder die Menge via Megaphon gegen die Polizei oder Gegendemonstranten aufstacheln.
“Ü. freundlich” ist einerseits Polizei-Speak, damit lobt sie ihre eigene Einsatzstrategie. (Bei der Blockupy-Geschichte hat die Polizei mit diesen Worten ihr Demonstrationsverbot gerechtfertigt!) Andererseits verdankt sich die Wendung wohl auch dem Gerechtigkeitsempfinden von Journalisten, die die übergroße Mehrheit der friedlichen Demonstranten nicht mit den Randalierern in einen Topf werfen wollen. Trotzdem bleibt es eine unglückliche Formulierung.
Nach einer Studie aus der Schweiz haben die grün oder sozialdemokratisch (also eher links) orientierten Journalisten in Deutschland den größten Anteil. Sie dürften nicht selten mit den Demonstranten sympathisieren, die für grüne und linke Anliegen eintreten. Also kann ich es nicht ganz lassen, Ihre Theorie zu hinterfragen. Aber ich habe beim Hinterfragen eine Menge gelernt.
Übrigens: Sie sprachen von der Methode des Framings am Beispiel der »Steuererleichterung« (wobei eher »Steuerentlastung« gepasst hätte). Die gleiche Methode wird mit entgegengesetztem Vorzeichen angewandt, wenn Zeitungen über »sprudelnde Steuereinnahmen« sprechen, als ob das Steuergeld einfach ohne weitere Anstrengung aus der Erde sprudelte …
Lieber stefanolix,
die “sprudelnden Steuereinnahmen” sind, wörtlich genommen, ebenso unsinnig wie die Ansicht, dass mein Geld “arbeitet” …. ;-)
Ich denke, mit dem Linksverdacht gehen Sie in die Irre. Eine kurze Google-Recherche zeigt, dass die Formulierung “ü. friedlich” tatsächlich, wie ich vermutet habe, Polizeiperspektive ist. Und zwar einerlei, ob Großdemos, Aktionstage, Fanfeiern, Vatertage oder Bürgerfeste! ;-)
Zitate:
“Keine Ausschreitungen. Blockupy für Polizei “überwiegend friedlich””
“Nach EM-Auftaktsieg: Bayerischer Untermain feiert überwiegend friedlich.”
“Vatertag im Mühlenkreis verläuft überwiegend friedlich”
“Frankfurt: Dritter Aktionstag verlief überwiegend friedlich”
“Polizeibilanz in Hanau: „Bürgerfest überwiegend friedlich“”
Ich bin ein absoluter Laie. Aber ich kann berichten, was bei mir für Assoziationen geweckt werden.
Ich muss feststellen, dass der Begriff “Demonstrationen” generell negativ belastet ist. Mein Eindruck ist, dass zwar häufig in den Medien von Demos berichtet wird, aber dann auch allein mit dem Fokus, ob Gewalt stattgefunden habe.
Gewaltakten bei Demos wird stets aus Polizei-Sicht berichtet. So, als sei die Polizei nur reagierend, nicht aber womöglich provozierender Akteur. Vor allem aber so, als habe sie die alleinige Deutungshoheit – angesichts des demonstrierenden Souveräns, den Bürgern, dem die Polizei ja eigentlich dienen müsste… Ein Alltag gewordener Skandal.
Hinsichtlich der Demo-Berichterstattung übernimmt der Gewalt-Aspekt die gesamte Deutung des sonstigen Geschehens. Veranstalter, friedliche Demonstranten und das ursprüngliche Anliegen werden komplett in den Hintergrund gerückt. Wie auch die Bürger, die nur noch als Demonstranten, eine Art Störenfriede, Nennung finden.
Ob die Polizei Gewalt provoziert (und dabei will ich gar nicht mal den häufig beobachteten, aber medienmäßig komplett verschwiegenen ‘Agent-Provocateur’ berücksichtigen), wird meist vollständig übergangen.
Mittlerweile geht man gemeinhein angesichts von der Berichterstattung einer Demo auch davon aus, dass es Gewalt gegeben habe – von den Demonstranten ausgehend.
Überwiegend friedlich – das sugerriert das Bild von der Waage. Überwiegend bedeutet dabei aber nicht “zum größten Teil friedlich”, sondern eher “so grade mal eben in der Waage mit Ausschlag für friedlich” – während der Rest unfriedlich war.
Ich fühle mich hinsichtlich der Berichterstattung in dieser Weise außerordentlich manipuliert. Einerseits erfahre ich nicht das Gesamtbild, schon gar nicht in differenzierter Notwendigkeit. Andererseits wird mir ein feinsinniges Negativ-Bild vermittelt. Ganz zum Ende, eben wegen der überwiegenden Polizeiperspektive, wird einem die Teilnahme an Demos vergrault. Denn wer möchte schon in die Auseinandersetzungen geraten, deren Deutungshoheit allein bei der Polizei liegt – eben dort, wo man dann mal jenseits des überwiegenden Friedens plötzlich in den Gewaltstrudel gerissen wird.
Bzgl. der verwendeten Begriffe erlebe ich dann auch, dass der ‘Staats-Begriff’ längst umgedeutet und von den meisten Presse-Vertretern auch entsprechend preisgegeben worden ist. Der Staat ist nicht mehr die ‘Freiheits-Ordnung’ – sondern allein ein Herrschafts-Gebilde, wo die Deutung allein zwischen friedlich und unfriedlich bei der Polizei liegt. Was aber ist, wenn auch die Bürger allen Grund haben, höchst un-friedlich mal das Kanzleramt zu stürmen? Weil z.B. Art. 20 Abs. 4 GG erfüllt ist (Widerstandsrecht) oder dem Verfassungshocherrat, den die Bundesregierung schon lange erfüllt, entgegengewirkt werden muss?
http://de.wikipedia.org/wiki/Hochverrat
Meiner Meinung ist das schon lange der Fall. Denn unsere Politiker folgen nicht mehr den Prinzipien eines Rechtsstaates mit Blick auf das Gemeinwohl, auf Freiheit und Solidarität. Leider lassen sich ‘unsere’ Polizeibeamten da mit ihnen korrumpieren. Und dann wundert man sich auch nicht über entsprechende Berichterstattung von Journalisten, die ordentlichen Anteil am Verbrechen des Neusprechs haben.
…überwiegend friedlich musste die Polizei dann die Störenfriede, die närrisch auf ihre bürgerliche Souveränität pochten, in Gewahrsam nehmen…
@Jürgen: Jede Metapher ist, wörtlich genommen, unsinnig. Es ging aber in unserer Diskussion über Framing um die Absicht, die hinter dem Einsatz der Metaphern steckt.
Dass die gleiche Formulierung von der Polizei und von Journalisten eingesetzt wird, kann mehrere Gründe haben:
(a) Zeitdruck in der Redaktion
(b) Faulheit des Redakteurs
(c) Unsicherheit des Redakteurs
(d) es gibt eine Verschleierungsabsicht
(a) und (b) kommen sehr oft vor. Ich vergleiche stichprobenartig bestimmte Pressemitteilungen der Landeshauptstadt Dresden und des Freistaats Sachsen mit den abgedruckten Meldungen der Lokalpresse. Oft werden ganze Passagen wortgetreu übernommen. Das dürfte im Fall von Polizeiberichten über Feste oder öffentliches Anschauen von Fußballspielen auch der Fall sein. Damit wären schon mal zwei Ihrer Beispiele erklärt.
Den Fall (c) hatte ich oben beschrieben.
Der Fall (d) tritt ein, wenn sich der Journalist mit dem Anliegen der Demonstration gemein macht. In diesem Fall will er natürlich verhindern, dass bestimmte Verhaltensweisen der Demonstranten oder ihrer Unterstützer [oder der Trittbrettfahrer] an die Öffentlichkeit kommen. Andererseits kann er diese Verhaltensweisen aber auch nicht vollständig außen vor lassen. Deshalb: »überwiegend friedlich«.
…wollte nur mal kurz ein herzliches “Danke” dazwischenrufen – tolle Diskussion hier, macht Spaß, das zu lesen. Und ja, dieses “Framing” der Polizei hatte ich beim Schreiben im Hinterkopf, denn ich habe auch Lakoff gelesen “Don’t think of an elephant”, sehr lesenwert.
lg
k
… es ist ja alles gut, doch verzichtet bitte auf dieses Orange! Es ist unerträglich eine helle Website vorzufinden, die etwas sagen will und es auch kann, aber die durch fehlenden Kontrast unbrauchbar wird, weil ihr Layotout nicht lesefreundlich ist. Ihr glaubt gar nicht, wie tief ich mich in meinen hochauflösenden Bildschirm hineinbeugen muss, um Euer Gekritzel wahrnehmen zu können.
Liebe/-r aramasuri,
wir arbeiten gerade an einem neuen Layout. Das dauert noch ein bisschen, aber es ist unterwegs. Solche Probleme sollten dann der Vergangenheit angehören, wir haben jemand um Hilfe gebeten, der wirklich etwas davon versteht (wobei ich das Orange ganz hübsch finde).
lg
k