Politik ist ein besonderer Beruf. Politiker sollen die Interessen der Menschen vertreten, die sie gewählt haben. Sie sollen Probleme kommunizieren, verschiedene Positionen ausgleichen, Lösungen vorschlagen. Es wäre daher praktisch, wenn Politiker eine Sprache sprächen, die alle Wähler verstehen könnten. Leider tun das nicht alle nur wenige. Die erkennbare N. ist ein Beispiel dafür. Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte sie, um nicht sagen zu müssen, dass es Flüchtlinge gibt, die sofort zurückgeschickt werden, die keine Chance haben, in Deutschland zu bleiben – weil Deutschland ihre Heimatländer als „sichere Herkunftsstaaten“ betrachtet. Als Länder also, in denen vielen Betroffenen nicht unmittelbar der Tod droht und mit denen daher Abkommen geschlossen wurden, um Bürger dieser Länder dorthin zurückbringen zu können. Sie abzuschieben. In ihrer Rede wollte Merkel offensichtlich keines dieser Wörter benutzen. Sie klingen so negativ. Das passte nicht, war es doch die Rede, in der sie mehrfach sagte: „Wir schaffen das!“ Merkel wollte nicht alle mit offenen Armen empfangen, sie wollte nur den Eindruck erwecken. Denn hier wird nicht jeder empfangen, viele Menschen haben eine erkennbare N. Sie sind Merkel und vielen anderen Politikern nicht willkommen und sollen bitte keine Arbeit machen und lieber gleich zuhause bleiben oder wenigstens schnell wieder dahin verschwinden. Offensichtlich war es der Bundekanzlerin unangenehm, Menschen in gute und schlechte Flüchtlinge zu unterscheiden. Daher verpackte sie das in eine neugeschöpfte Verneinung (Nicht-Bleibe) und zwei Vernebelungen: Perspektive statt Aussicht oder Erwartung und erkennbar statt offensichtlich. Wobei erkennbare Dinge erst einmal erkannt werden müssen. Die suggerierte Offensichtlichkeit ist sicher nicht gleich jedem klar, am wenigsten wohl den Betroffenen.
Weil er so unglaublich ist, hier der komplette Satz, in dem Merkel den Ausdruck benutzte – beziehungsweise die beiden Sätze. Sonst ist nicht zu verstehen, was sie meinte:
„Ich glaube, es wäre eine gute Hilfe für Deutschland, wenn wir das machen, was wir – Deutschland und Frankreich – europäisch vorgeschlagen haben und was die Innenminister im Übrigen auch bereits besprochen haben, aber was jetzt durchgesetzt werden muss. Deutschland und Frankreich haben nämlich gesagt: Registrierungszentren in Griechenland, spätestens bis zum Ende des Jahres, die dann natürlich europäisch betrieben werden können – das schafft Griechenland nämlich nicht alleine –, dann in diesen Registrierungszentren sozusagen eine Abschätzung dessen, ob jemand ein Recht auf Asyl haben könnte oder ob es eine erkennbare Nicht-Bleibeperspektive gibt – wir werden ja auch mit den afrikanischen Ländern darüber sprechen müssen, welche Länder Bürgerkriegsländer sind und welche Länder nicht –, und dann eine faire Verteilung innerhalb der Europäischen Union.“
Übrigens: Die von Merkel erwähnten Registrierungszentren sind nichts anderes als ein neuer Name für die → Aufnahmezentren, die schon länger diskutiert werden und die man auch Abschiebelager nennen könnte.
Vielen Dank an Brigitte B. für den Hinweis.
Naja, Perspektive kann ja auch Zukunftsaussicht bedeuten. Bleibeperspektive beschreibt für mich die Möglichkeit einer dauerhaften Aufnahme. Nicht-Bleibeperspektive bereitet mir dafür Schmerzen. Keine Bleibeperspektive oder ohne Aufnahmeanspruch hätte man ja auch noch sagen können. Gerade lezteres ist noch recht nett und beschreibt nur die eigene Rechtsposition.
Das Dinge schöner klingen sollen kann ich ja noch verstehen, aber ein bisschen mehr Mühe könnten die sich in Berlin schon geben.