Migration, illegale

Der „Fünf-Punkte-Plan“ der CDU/CSU, für den sie die Stimmen und den Jubel der AfD in Anspruch genommen haben, heißt offiziell „Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“. Doch was ist hier mit illegaler M. gemeint? Noch ist es nicht illegal, hierher überzusiedeln, also nach Deutschland zu migrieren. Unregistriert ins Land zu kommen, könnte illegal sein, ist es allerdings nicht, wenn gleichzeitig ein Antrag auf Asyl gestellt wird. Denn das Recht auf Asyl ist grundgesetzlich garantiert und kann deshalb nicht illegal sein. Wer Grund hat zu fliehen, darf auch ohne Papiere hierher kommen. Natürlich gibt es Migration, die sich nicht an die in den EU-Verordnungen (Dublin I–III) vereinbarten Regeln hält. Das entsprechende Gesetz nennt sie „unerlaubte Einreise“. Das aber klingt für die Zwecke populistischer Propaganda offenbar nicht stark genug, daher wird gern von „irregulärer“ Migration gesprochen. Semantisch ist „illegal“ davon nicht mehr weit entfernt. Und so hat Friedrich Merz die „irreguläre Migration“ hier anscheinend durch den Kakophemismus illegale M. ersetzt. Gleichzeitig wird in Kauf genommen, dass Flucht gleich mitkriminalisiert wird. Dann wundert es auch nicht mehr, dass die CDU/CSU Unterstützung von rechts außen in Kauf nimmt, zumal sie sich ihre Vorschläge ohnehin schon weit jenseits geltenden Rechts befinden.

Vom Kopf auf die Füße stellen

Der CDU-Politiker Friedrich Merz möchte „das Bürgergeld vom Kopf auf die Füße stellen“. Er verwendet dieses Bild immer wieder und ihm ist dabei möglicherweise nicht bewusst, dass er sich damit zumindest sprachlich auf Karl Marx und Friedrich Engels beruft. Denn dort kommt diese Redensart her. Marx setzt sich mit der Dialektik Georg Wilhelm Friedrich Hegels auseinander, die (so Hegel selbst) auf dem Kopf steht, weil für Hegel Ideen die Grundlage der Dialektik sind. Für Marx allerdings sind es die ökonomischen Verhältnisse, die die Ideen und ihre Dialektik hervorbringen. So schlägt er vor, Hegels Dialektik „umzustülpen“ oder stellt sie – wie Engels es später formuliert: „vom Kopf auf die Füße“. Damit ist eine Metapher geboren, die sich auch anderswo verwenden lässt, wenn eine Idee in ihr Gegenteil verkehrt werden soll. Und so gelangt sie von Marx zu Merz. Dieser verwendet das Bild sicher nicht als Anspielung auf den Marxismus, von dem er höchstwahrscheinlich wenig hält, sondern um anzudeuten, dass das Bürgergeld ein ideologisches Projekt ist, das seiner Meinung nach nicht funktionieren kann (da es eben wie bei Hegel auf dem Kopf geht). Der von ihm anvisierten „Grundsicherung“ unterstellt er, dass sie hingegen funktionsfähig „auf den Füßen“ stehe, wobei Merz (ähnlich wie Marx) auf wirtschaftliche Aspekte anspielt. Er will den Armen weniger staatliche Hilfe gewähren, ihnen also weniger Geld geben.

Verantwortung, staatspolitische

Beliebte politische Floskel. Die staatspolitische V. wird bei länger dauernden Debatten mit ziemlicher Sicherheit von einer der beteiligten Seiten gefordert. Man solle doch, bedeutet der Ausruf, das Zanken nun einstellen und sich auf die Dinge besinnen, die nicht nur den eigenen politischen Interessen dienen, sondern dem Staate und damit allen Menschen. Das sollte natürlich immer das Grundprinzip des Handelns aller gewählten Politiker und Politikerinnen sein. Entlarvenderweise wird jedoch stets nur der politische Gegner zu dieser Form der V. aufgerufen. Denn die Debattengegner sollen so dazu bewegt werden, die jeweilige gegnerische Position aufzugeben und dem Projekt desjenigen zuzustimmen, der eben diese staatspolitische V. einfordert. Der oder die Forderer gehen dabei davon aus, dass ihre Position die im Sinne des Staates und damit aller Menschen bessere sei – was die politischen Widersacher und Widersacherinnen selbstverständlich sofort lauthals bestreiten. Das Ganze ist somit nicht mehr als ein völlig normaler Vorgang im politischen Hin und Her, das jeden Weg zu politischen Kompromissen pflastert. Das zeigt sich bereits an dem aufgeblähten Wort Staatspolitik. Ein Staat denkt und handelt nicht, es sind stets Menschen, die das tun. Wer staatspolitische V. fordert, will sich im Schatten einer anonymen und übergeordneten Macht verstecken, um sich wichtiger zu machen. Gemeint ist vielmehr politische Verantwortung, beziehungsweise schlicht Verantwortung.

Zustrombegrenzungsgesetz

Vor zehn Jahren haben wir uns in diesem Blog schon mit dem →Flüchtlingsstrom befasst: mit einem Begriff, der vor allem eins soll: Ängste schüren. Schnell wurde aus dem Strom ein Ansturm, ja sogar ein Flüchtlingstsunami. Diese Wörter sind nicht nur hyperbolisch, also glatte Übertreibungen, sondern entmenschlichen auch die Schutzsuchenden. So ist es auch mit dem Zustrom, mit dem vor allem nicht zählbare Mengen wie Flüssigkeiten beschrieben werden. Wenn nun ein Gesetz den Begriff nutzt, entlarvt diese Bezeichnung bereits die politische Richtung, aus der das Gesetz kommt, nämlich von ganz rechts. Da braucht es gar keinen Schulterschluss mehr zwischen CDU/CSU und AfD, um das Z. zu disqualifizieren. Wer solche mutmaßlich verfassungswidrigen Gesetze fordert, betreibt Populismus.

Neusprechfunk 20

Willkommen zum Neusprechfunk 20, diesmal mit der ersten monothematischen Ausgabe. Eines der über die Jahre irgendwie entstandenen Prinzipien unseres Podcasts ist es, dass wir unser Gespräch nicht gemeinsam planen. Wir bereiten uns vor, ohne uns mit den anderen abzusprechen. Wir sammeln, was uns begegnet, was uns aufgefallen ist, was uns irritiert hat. Der Zufall, die persönlichen Interessen und der allgegenwärtige Zeitgeist bestimmen die Auswahl. Das Ergebnis ist normalerweise eine bunte Mischung, von der wir hoffen, dass sie nicht langweilt.

Zum ersten Mal hat uns alle nun jedoch das gleiche Ereignis beschäftigt: der Wahlkampf der CDU/CSU bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2025. Aber keine Sorge, allzu monothematisch wird es nicht, schließlich sind die Wahlprogramme ja ein Füllhorn an Themen. Wir landen, wie so oft im Leben, sogar bei dem Philosophen Hegel.

Apropos Wahlprogramm. Die Weltsicht einer Partei soll dem geneigten Wähler eben durch dieses Papier dargelegt und mit einem Wahlslogan auf eine kurze Formel gebracht werden. Die Christdemokraten ziehen in den Wahlkampf unter dem Motto: Für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können. Offenbar sind sie also derzeit nicht sonderlich stolz. Wir versuchen daher zu ergründen, woran das liegen könnte. Das gemeinsame Wahlprogramm von CDU und CSU (pdf) bietet für diese Analyse eine Reihe von Schwerpunkten: Es geht vornehmlich um Wirtschaft und um Migration, außerdem um den traditionell von der Union eher als Überwachungspolitik ausgelegten Bereich der inneren Sicherheit. Für diese und auch für weitere Politthemen haben CDU und CSU vor allem ein Rezept, sie wollen Entscheidungen der Ampel-Regierung zurücknehmen. Hier scheint der sprichwörtliche Hund für den mangelnden Stolz der Union begraben zu sein.

Wir fragen uns außerdem, wer von den Wahlversprechen der Union profitieren würde und wer eher nicht. Wer sich mit den im Programm gewählten Begriffen beschäftigt, kann es ahnen. So soll aus dem Bürgergeld, also einer Unterstützung für mündige Bürger, künftig eine Grundsicherung werden. Das macht bereits sprachlich deutlich, dass es dabei nur noch um das absolute Minimum gehen würde.

Die Union will auch „Habecks Heizungsgesetz“ abschaffen, wie sie es nennt. Eine interessante Zuschreibung, ist damit doch das Gebäudeenergiegesetz gemeint, das 2020 vom Kabinett Merkel IV – und damit der CDU – entworfen wurde. Die rot-grün-gelbe Bundesregierung hatte es nur in wenigen Punkten ergänzt, um die Klimaschutzziele besser zu erreichen. Daher reden wir auch darüber und über die Kampagne der Bild gegen diese Gesetzesnovelle.

Äußerungen einzelner Politikschaffender runden das Bild der Union und den Podcast ab. Beispielsweise eine Aussage von Julia Klöckner zur AfD. Offensichtlich wollte sie AfD-Wähler von sich überzeugen, tat das aber auf so unsägliche Art, dass sie den Post kurz nach heftiger Kritik wieder gelöscht hat.

Anbei auch noch der Link zur inzwischen veröffentlichten “Agenda 2030” der Union.

Gimmick am Rande aus dem SPD-Regierungsprogramm (pdf): Wir hatten schon häufiger Fälle, bei denen die Nutzung der ersten Person Plural etwas übergriffig wirkt. Diesmal rutscht der SPD ein etwas zu breites Wir raus.

Kleiner Nachtrag: Das Durchschnittsalter von Pkw in Deutschland steigt seit Jahren, die im Podcast erwähnten sieben Jahre stimmen schon länger nicht mehr, derzeit sind es zehn Jahre.

Hier ist der Podcast als mp3 oder als ogg-Datei. Wir möchten uns sehr gern bei Kristian bedanken, der die Audiobearbeitung und den Schnitt übernommen hat.

Play