Fehler, handwerkliche

Dass die Verwendung des Plurals bisweilen eine abschwächende, ja sogar euphemistische Wirkung haben kann, zeigen die parlamentarischen Zwänge, die etwas völlig anderes sind als ein Zwang. Ähnlich verhält es sich mit Adjektivierungen. Fehler sind etwas, das jedem unterlaufen kann, sie sind (gerade im Plural) Teil des Lebens. Und das Handwerk ist gar der Inbegriff der Möglichkeit zu scheitern. Wer mit seinen Händen wirkt, wer hämmert, sägt, schleift, schraubt, der kann abrutschen – je fester er zupacken will, desto eher. Das ist verzeihlich, ja unvermeidlich. Nur wer übt, wer Fehler macht und neu probiert, kann lernen und besser werden. Handwerkliche F. jedoch sind nichts dergleichen, sie sind Schlamperei und Beleg dafür, dass jemand sein Handwerk nicht beherrscht. Einen Gefallen also tut sich Karl-Theodor zu Guttenberg nicht, wenn er bei seinem Plagiat von gar „gravierenden handwerklichen F.“ spricht. Heißt es doch, er hatte keine Ahnung von dem Handwerk, davon also, wie man eine Doktorarbeit schreibt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es unverfroren ist, eine moralische Verfehlung und ein im Zweifel auch strafrechtlich relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten als Fehler, als Kleinigkeiten also kaschieren zu wollen und sich dabei noch mit einem redlichen Handwerker zu vergleichen.

Mindestspeicherdauer

Wer sich fragt, wie so kreative Wortschöpfungen wie neuartiges Rundfunkempfangsgerät, Sicherheitsscanner oder Warnschussarrest entstehen, der konnte das gerade live erleben. Auf dem 14. europäischen Polizeikongress in Berlin diskutierten vier Länderinnenminister über die Zukunft des Internets. Es ging um Schutzlücken, um Cyberwar und um die Vorratsdatenspeicherung. Beziehungsweise um die Mindestpeicherdauer für IP- und Telefondaten. So nämlich sollte, fand Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger, die Vorratsdatenspeicherung künftig unbedingt genannt werden. Der bisherige Begriff immerhin sei „vorbelastet, die Angelegenheit müsse versachlicht werden“. So kann man das auch nennen. Es ließe sich aber auch einwenden, dass Neusprech offensichtlich eine Funktion besitzt: Es soll demjenigen, der es verwendet, Schutz geben. Schutz vor Kritik, Schutz vor Anfeindung, Schutz vor Verantwortung. Tut ein Begriff das nicht mehr, braucht es eben einen neuen Namen für das alte Phänomen. Das ist wie mit vergammeltem Fleisch. Das lässt sich auch besser verkaufen, wenn man es neu verpackt und ein neues Haltbarkeitsdatum draufdruckt.

Mit Dank an Michael D. und viele Twitterer

Am 1. April bekam der Begriff vom Verein Foebud einen BigBrotherAward verliehen. In der Laudatio sagte Martin Haase: “Wer ein solches Wort verwendet, um eine grundlose, immerwährende und vollständige Überwachung und Bespitzelung jeder elektronischen Kontaktaufnahme zu beschreiben, der hat offensichtlich nichts übrig für demokratische Ideale wie Menschenwürde, Redefreiheit und Unschuldsvermutung.”

Am 4. April berichtete netzpolitik.org, Innenminister Hans-Peter Friedrich wolle künftig lieber von „Mindestdatenspeicherung“ sprechen. Begründung: beim Begriff Vorratsdatenspeicherung werde man inzwischen „merkwürdig angeschaut“. Interessant, soll noch einer behaupten, Politik habe keinen Handlungsspielraum. Vielleicht hilft es ja, wenn noch viel mehr Leute merkwürdig schauen, damit die Politik das Projekt Totalüberwachung nicht nur immer neu verpackt, sondern ganz fallen lässt.

Inzwischen spricht man beim Innenministerium auch ganz offiziell von: Mindestspeicherfrist.

Wirkfunktion

Funktion leitet sich vom Lateinischen fungere ab, was ‚verrichten‘ oder ,wirken‘ bedeutet. Somit ist W. erst einmal eine Dopplung, eine Wirkungswirkung. Das klingt sinnlos und soll es vielleicht auch. Denn die, die das Wort verwenden, meinen damit das Töten von Menschen. Sie wollen Roboter mit einer W. ausstatten, was in der Konsequenz nichts anderes bedeutet als den Bau beweglicher Selbstschussanlagen – am Ende gar fliegender, beschönigend auch Drohnen genannt. Damit ist W. ein gelungener Euphemismus, denn von Robotern mit scharfen Waffen ist gar nicht die Rede. Gleichzeitig offenbart es die Denkungsart der Erfinder: Sie wollen nicht nur nicht sagen, was sie meinen, sondern auch töten, ohne dafür verantwortlich zu sein.

Mit Dank an Marcel E., @fasel, Matthias G., Frank L. und Jarno R.

Bad Bank

Übernahme aus dem Englischen. Neologismus. Bezeichnung der Politik für den Ort, an dem toxische oder faule Papiere gelagert werden – was gleich aus mehrfacher Hinsicht eine interessante Formulierung ist: Suggeriert es doch erstens, dass es auch gute Banken gibt – eine zumindest zweifelhafte Annahme. Zweitens ist es ein Euphemismus, da es ja nicht um eine schlechte Bank geht, sondern um Wertpapiere, die nichts wert sind (weswegen ihnen der Wert auch in der Wortkonstruktion genommen wurde: denn sind sie toxisch, sind es nur noch Papiere). Drittens spielt B.B. mit der Assoziation des Bad Guy, also mit der Vorstellung dieser üblen, aber doch irgendwie coolen Typen aus dem Kino. Was eine Frechheit ist, lässt sich doch am mutwilligen Ruinieren fremder Leute nichts Cooles entdecken. Und viertens lenkt es davon ab, dass der Begriff Müllkippe, beziehungsweise gar Zeitbombe wohl angemessener wäre. Oder, wenn es denn unbedingt ein beschönigendes Etikett sein muss, wenigstens Wertstoffhof.

Cyberwar

Bei dem Versuch, irgendwelchen Unsinn zu verstehen, hilft oft die Frage nach dem Warum. Warum also reden deutsche Politiker ständig von einem C., wenn sie über das Internet und seine Gefahren sprechen? Immerhin könnten sie den Begriff auch übersetzen und von Rechnernetzkrieg Internetkrieg faseln. Tun sie aber nicht. Klingt das in ihren Ohren vielleicht, als würde das Internet zurückschlagen und sich für all die Schmähungen rächen, die Politiker so über es verbreiten? Wahrscheinlich nicht. Es klingt vielmehr harmloser. Denn im Deutschen verlieren Wörter, wenn sie zusammengesetzt werden, oft an Kraft. Vor allem das zweite Glied in einem solchen Kompositum wird schwächer: Krieg ist gefährlich, Ehekrieg jedoch ist der Streit der Nachbarn, der sich gedämpft hinter der Wohnzimmerwand abspielt. Harmlos aber ist nicht gut – so erschreckend der Gedanke sein mag: Politiker wollen Angst verbreiten. Wir sollen uns fürchten, damit im gleichen Satz angekündigte Dinge wie Kill Switch (Tötungsschalter?) oder Quick Freeze (Das Internet schockfrosten?) nicht mehr so schockierend klingen. Das englische C. hilft dabei. Es verheißt Modernität und unbekannte und dadurch umso finsterere Gefahren, die mit allen Mitteln bekämpft werden müssen. Dank ihm vergisst sich auch leichter, dass es nicht einmal um einen Krieg geht, sondern um Wirtschaftsspionage, um Sabotage und manchmal auch nur um Urheberrechtsverletzungen. Denn wäre es tatsächlich ein Krieg, würde dieses Wort von der Politik gemieden wie eine ansteckende Krankheit.

Nachtrag: Das lesenswerte Sprachlog beschäftigt sich hier ausführlich mit der Herkunft des Wortteils Cyber und findet, es sei überhaupt ganz allgemein ein schönes Präfix, das an vielen Stellen nützlich sein kann“.

Nachtrag: “Internetkrieg” aktualisiert, dank an pedant.