Stresstest
Das Wort Stress hat schon viel erlebt: Auf der Basis des lateinischen stringere ‚drücken, umklammern‘ und seiner volkssprachlichen Substantivableitung strictia entstand im Altprovenzalischen das poetische Wort destressa. Es bezeichnete das Gefühl des Leidens und des Kummers, insbesondere in Angelegenheiten unerfüllter Liebe. Über das altfranzösische destresse, das es in der Form détresse (‚Notlage‘, ‚Kummer‘) im Französischen immer noch gibt, gelangte es in der kürzeren Version stress ins Englische. Dort fanden es Anfang des 20. Jahrhunderts Psychologen und nutzten es, um den Zustand zu beschreiben, der heute auch in der Umgangssprache als Stress bezeichnet wird (im Englischen auch als Verb to stress verwendbar) – übrigens vor allem im germanischen Sprachraum: Ein Italiener würde nicht von sich sagen, er sei gestresst (als Lehnwort stressato), sondern sich als müde oder erschöpft bezeichnen (stancato). Briten und Deutsche hingegen scheuen die Müdigkeit und sind stattdessen im Stress und damit weiter aktiv, so schlecht es ihnen dabei auch gehen mag. In der Wirtschaft nun werden gern Personifizierungen verwendet, es macht die so schwer durchschaubaren Zusammenhänge weniger Angst einflößend. Und so stehen plötzlich Finanzsysteme unter Stress, oder es wird vorgeschlagen, Banken einem S. zu unterziehen. Schon bei Menschen ist es keine gute Idee, sie absichtlich unter Druck zu setzen, ist doch nie klar, wie sie wirklich reagieren. Bei Banken und erst Recht bei Atomkraftwerken kann das Ganze zur Katastrophe führen, wie der 1986 in Tschernobyl durchgeführte Test gezeigt hat. Daher ist der schon für Finanzen unangemessene Begriff für Atomkraftwerke völlig unzutreffend. Wer ihn nutzt, will lediglich Handlungsfähigkeit demonstrieren und suggerieren, die Technik sei beherrschbar und sicher. Ist sie aber nicht.
Biosprit
B. (auch Biokraftstoff) hat mit Biojoghurt und anderen Bioprodukten nichts zu tun. Es darf als unwahrscheinlich gelten, dass ihm je das Biosiegel zuteil werden wird. Bio- ist im Deutschen reihenbildend und (fast schon) ein Präfix, das so viel bedeutet wie „aus biologisch-kontrolliertem Anbau“. Biosprit hingegen wird nicht biologisch-kontrolliert angebaut. Es handelt sich um Benzin, also ursprünglich Erdöl, dem ein geringer Teil Ethanol beigemischt ist, das aus Pflanzen hergestellt wurde. Meist übrigens unter Verwendung von Dünger (der oft mit Hilfe von fossilen Brennstoffen hergestellt wird) oder gar auf frisch gerodetem Urwaldboden. Die Umweltbilanz von B. ist also alles andere als bio (hier verwendet als prädikatives Adjektiv). Nicht einmal Kohlendioxid spart das teure Agrarbenzin, obwohl genau damit seine Einführung begründet worden war. Das positiv konnotierte Präfix mit Sprit oder Kraftstoff (ein Werbewort für Benzin) zu mischen, heißt: zu lügen.
Nachtrag: In den Kommentaren zu diesem Text versucht sich der Biokraftstoffverband an einer Erklärung des Wortes und der Zusammenhänge. Lesenswert!
Restrisiko
Es zeugt von erheblichem Willen zum Schönfärben, angesichts der tödlichen Sauerei eines radioaktiven Lavahaufens überhaupt von „Rest“ zu sprechen. Der Begriff soll offensichtlich verniedlichen, ist also ein Euphemismus, denn ein Risiko bleibt ein Risiko, egal wie groß oder klein es sein mag. Doch das nur am Rande. Nach Definition des deutschen Atomforums ist das R. ein: „Nicht näher zu definierendes, noch verbleibendes Risiko nach Beseitigung bzw. Berücksichtigung aller denkbaren quantifizierten Risiken bei einer Risikobetrachtung.“ Äh, Moment… Das, was übrig bleibt, wenn alle „quantifizierten“, also messbaren Risiken beseitigt sind, müssen wir hinnehmen? Also all jene Vorfälle Unfälle Katastrophen, die geschehen, weil es einfach (noch) keinen Grenzwert für ihre Ursachen gibt? Wollen Sie wissen, wie das Bundesverfassungsgericht das R. definiert? Etwas anders: Es fordert die „bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ und zwar bezogen auf den „jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik“. Das R. darf demnach nur jene Dinge meinen, die hypothetisch, konkret nicht vorstellbar und „jenseits der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens“ liegen. Völlig absurde Sachen also wie abstürzende Marsianer oder durch die Landschaft trampelnde Godzillas müssen als R. hingenommen werden. Von Wahrscheinlichkeiten steht im sogenannten Kalkar-Urteil von 1978 – nur nebenbei, es ging darin um schnelle Brüter – nichts. Die Definition der Atomindustrie also darf getrost als Güterabwägung gelten – Bezahlbarkeit versus Sicherheit, Geld gegen Leben. Eine solche Abwägung aber ist nur in Ordnung, wenn Kosten und Nutzen auf den gleichen Schultern verteilt sind. Bei Atomkraftwerken ist das nicht so: Keine Versicherung will das Risiko dieser Anlagen auf sich nehmen (was allein schon nachdenklich machen sollte), die Folgen einer Kernschmelze zahlen daher zum großen Teil die Bürger mit ihrer Gesundheit mit ihren Steuern. Es wäre also nur gerecht, wenn entweder auch der Gewinn an alle verteilt würde, oder wenn alle entscheiden dürften, ob sie dieses Risiko überhaupt tragen wollen.
Auf vielfachen Wunsch und mit Dank an alle Vorschlagenden.
Schneller Brüter
Der schnelle B. oder Brutreaktor brütet nicht und schon gar nicht schnell. Sprachlich ist er eine Enallagé, also die Zuordnung eines Adjektivs zu einem Wort, mit dem es inhaltlich nichts zu tun hat. Gemeint ist damit ein Atomkraftwerk, das nicht primär dazu dient, Energie zu erzeugen. Das tut es auch, aber vor allem soll es Plutonium für andere Atomkraftwerke produzieren – ist also eine Plutoniumfabrik. Das aber kann es nur, wenn die Menge des spaltbaren Materials im Reaktor höher ist als in Reaktoren zur Stromerzeugung. Außerdem ist Plutonium nicht nur radioaktiv, sondern auch giftig und kernwaffenfähig. Und es braucht zur Kühlung des Ganzen flüssiges Natrium. Natrium hat den nicht unerheblichen Nachteil, dass es reichlich hektisch reagiert, wenn es mit Luft oder Wasser in Berührung kommt. Was den Reaktor dank der Verbindung mit Plutonium zu einer Art Atombombe machen kann. Das schnell nun bezieht sich nicht auf das Brüten oder auf die Geschwindigkeit, in der er im Zweifel hochgeht, sondern auf die Neutronen. Normalerweise werden die bei der Kernspaltung freigesetzten Neutronen beispielsweise durch Wasser gebremst, wobei sie viel ihrer Energie in Form von Wärme abgeben. Im B. ist dieser Bremseffekt nicht erwünscht, die Neutronen sollen nicht Wärme produzieren, sondern heftig in andere Atomkerne einschlagen und das umgebende Uran zu Plutonium umwandeln. Das alles führt dazu, dass ein B. schwerer zu kontrollieren ist als ein normaler Reaktor. Schon US-Präsident Jimmy Carter hatte wegen dieser Gefahren Bedenken gegen die Technik. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will nichtsdestotrotz mehrere französische Meiler mit ihr betreiben. Dabei war der einzige, den Frankreich bislang unterhielt, ein Fehlschlag. Hatten wir schon erwähnt, dass ein solcher Reaktor schneller als ein AKW vom Normalzustand der Gerade-Noch-Steuerbarkeit (interssanterweise kritisch genannt), zu dem der Unsteuerbarkeit (prompt überkritisch) übergeht? Die Bezeichnung schneller B. also, die eher an die Aufzucht puscheliger Küken denken lässt, ist vollkommen unpassend und uneigentliches Sprechen in Reinkultur. Oder, um Mr. Burns aus den Simpsons zu zitieren: “Oh, ‘meltdown.’ It’s one of those annoying ‘buzzwords.’ We prefer to call it an unrequested fission surplus.” Das ist Satire, aber abwegig ist sie nicht. Nur allzu gern wird durch solche Sprachschöpfungen vertuscht, dass es die wohl gefährlichste Technik ist, der sich Menschen derzeit so bedienen. Sie ist in der Vergangenheit auch gerne mal gescheitert. Trotzdem hat die Stromindustrie großes Interesse an ihr, denn auch Uran ist ein endlicher Rohstoff. Dank der schnellen B. könnten Atomkraftwerke sehr viel länger arbeiten. Damit verhindern sie dann auch gleich noch Entwicklungen im Bereich solcher Energien wie Wind, Sonne oder Wasser. So viel also zum Willen der Politik, eine Energiewende einzuleiten, beziehungsweise zum Thema Atomkraft als Brückentechnologie.