Sicherheitszone

Typisch antiphrastische Bildung, eigentlich Gefahrenzone. Vgl. Orwells klassisches Neusprech-Beispiel: „Krieg ist Frieden …“. Gemeint ist nicht der Bereich relativer Sicherheit, sondern der absoluter Gefahr. Der natürlich nicht so freundlich-beruhigend klingt. Damit ist die Verwendung nicht nur eine Lüge, sondern ein in Kauf nehmen von Opfern. Wer sich wirklich in Sicherheit bringen will, sollte die S. tunlichst verlassen.

Vielen Dank an @ozaed für den Vorschlag.

Augenmaß

SI-Einheit der Politik, suggeriert Genauigkeit. Wenn Politiker vorgeben, mit A. zu entscheiden, klingt es positiv, so als seien sie besonders gründlich und vorsichtig. Das Gegenteil ist der Fall. Nur mit den Augen zu messen, ist fahrlässig. Das Auge kann leicht getrogen werden, noch dazu bei großen Mengen oder komplexer Technik. Damit entlarvt sich das A. als Malapropismus, als unangemessenes Wort – so wie der Quantensprung, der gern für einen großen Sprung verwendet wird, obwohl es doch ein ganz kleiner ist. Als Grundlage für Politik taugt das A. genauso gut wie die Einheiten „aus dem Bauch heraus“ oder „Pi mal Daumen mal Fensterkreuz“. Die vorgetäuschte Genauigkeit aber ist nicht das einzige Problem. Denn jemand, der seine Entscheidungen mit dem A. begründet, sagt vor allem, dass er „nach eigenem Ermessen“ handelt, nach Kriterien also, die er lieber nicht öffentlich zu diskutieren wünscht, die im Zweifel niemanden etwas angehen, schon gar nicht die Wähler.

Vielen Dank an Simon K. und andere für den Vorschlag.

absurd

Adjektiv, üblicherweise verwendet als Beschreibung für Aussagen oder Vorschläge des politischen Gegners oder für Forderungen von Wählern in der Hoffnung, über diese nie wieder reden zu müssen. Tatsächliche Bedeutung:

1. wahr,
2. wahr, aber eine Frechheit, es öffentlich zu sagen/zu fordern,
3. wahr und auch belegbar, jedoch peinlich und daher nichtsdestotrotz eine Frechheit,
4. möglicherweise wahr, aber (glücklicherweise) nicht durch Fakten belegbar und daher eine umso größere Frechheit,
5. notwendig,
6. notwendig, aber teuer und daher politisch nicht vermittelbar, schon gar nicht vor einer Stadtrats-, Landtags-, Bundestags-… vor einer Wahl,
7. notwendig, aber nur gegen Widerstände von Lobbyisten Interessengruppen durchsetzbar, daher politisch heikel und ebenfalls nicht vermittelbar, schon gar nicht vor einer Wahl,
8. tatsächlich Unsinn (selten).

Daher also meist eine Antiphrase oder ein Pejorativum. Vgl. auch abstrus.

Mit Dank an @Promovator für die Idee.

Schutzlücke

Polizeigewerkschaften, BKA, CDU und CSU werden nicht müde, uns zu erklären, dass ohne Vorratsdatenspeicherung eine „Schutzlücke“ drohe. Das Kompositum aus Schutz- und -Lücke suggeriert, dass uns der Staat rundherum schützen könnte vor allem Bösen, gäbe es da nicht dieses eine lästige Loch, diese kleine Lücke nämlich, durch die das Böse listig lugt (lugen ist, aber das nur nebenbei, mit der Lücke sprachgeschichtlich verwandt). Dieses Loch nun also im ansonsten fest gefügten antiterroristischen Schutz (-Wall?) gelte es zu stopfen. Tatsächlich? Ist die S. nicht vielmehr nur eine Schutzbehauptung? Denn zwar kann die Vorratsdatenspeicherung, die besser Datenhortung hieße, aber gern Mindestspeicherdauer genannt wird, getrost als bequemes Instrument gelten – zumindest für Strafverfolger. Nur schützen kann sie vor nichts und niemandem. Bestenfalls vereinfacht sie im Nachhinein die Strafverfolgung. Das ist selbstverständlich prima, aber ohne die Chance zu schützen, also Unheil zu verhindern, kann sie natürlich auch keine Lücke schließen. Falls es die denn gäbe. Im Gegenteil: die Vorratsdatenspeicherung Mindestspeicherdauer Mindestdatenspeicherung Datenhortung reißt Lücken – in die Grundrechte.

Stresstest

Das Wort Stress hat schon viel erlebt: Auf der Basis des lateinischen stringere ‚drücken, umklammern‘ und seiner volkssprachlichen Substantivableitung strictia entstand im Altprovenzalischen das poetische Wort destressa. Es bezeichnete das Gefühl des Leidens und des Kummers, insbesondere in Angelegenheiten unerfüllter Liebe. Über das altfranzösische destresse, das es in der Form détresse (‚Notlage‘, ‚Kummer‘) im Französischen immer noch gibt, gelangte es in der kürzeren Version stress ins Englische. Dort fanden es Anfang des 20. Jahrhunderts Psychologen und nutzten es, um den Zustand zu beschreiben, der heute auch in der Umgangssprache als Stress bezeichnet wird (im Englischen auch als Verb to stress verwendbar) – übrigens vor allem im germanischen Sprachraum: Ein Italiener würde nicht von sich sagen, er sei gestresst (als Lehnwort stressato), sondern sich als müde oder erschöpft bezeichnen (stancato). Briten und Deutsche hingegen scheuen die Müdigkeit und sind stattdessen im Stress und damit weiter aktiv, so schlecht es ihnen dabei auch gehen mag. In der Wirtschaft nun werden gern Personifizierungen verwendet, es macht die so schwer durchschaubaren Zusammenhänge weniger Angst einflößend. Und so stehen plötzlich Finanzsysteme unter Stress, oder es wird vorgeschlagen, Banken einem S. zu unterziehen. Schon bei Menschen ist es keine gute Idee, sie absichtlich unter Druck zu setzen, ist doch nie klar, wie sie wirklich reagieren. Bei Banken und erst Recht bei Atomkraftwerken kann das Ganze zur Katastrophe führen, wie der 1986 in Tschernobyl durchgeführte Test gezeigt hat. Daher ist der schon für Finanzen unangemessene Begriff für Atomkraftwerke völlig unzutreffend. Wer ihn nutzt, will lediglich Handlungsfähigkeit demonstrieren und suggerieren, die Technik sei beherrschbar und sicher. Ist sie aber nicht.