Ausstieg

Nett ausgedrückt, ist Politik wie Leben in Zeitlupe; eine Entscheidung, für die wir Sekunden brauchen, kann da problemlos Jahrzehnte dauern. Ein A. zum Beispiel. Eigentlich ist aussteigen ein terminatives Verb, das heißt, es bezeichnet einen eindeutigen Zeitpunkt. Wenn also jemand um 15.31 Uhr den Bus verlässt, dann ist er draußen, und wenn er sagt, er wolle nun aussteigen, dann meint er eben jenen kurzen Moment der Tat. Zum Glück für Politiker verliert sich in der deutschen Sprache diese terminative Lesart (Aspektualität), wenn ein Verb nominalisiert und damit zum A. wird. Von dem kann man viel reden, ohne sagen zu müssen, wann das Ganze denn nun vonstattengehen soll. Aussteigen geht schnell, aber so ein A. der kann sich hinziehen. Daher ist der sogenannte Nominalstil in politischen Reden auch so beliebt und Verben eher nicht so. Denn in der Politik wird lieber lange über Taten debattiert, als kurz gehandelt. Das bringt mehr Stimmen Schlagzeilen Aufmerksamkeit.

Frauen-WM

Es gibt eine Schwimm-WM mit Wettbewerben für Frauen und Männer, es gibt eine Leichtathletik-WM mit Wettbewerben für … Sie sehen schon, dahinter verbirgt sich ein Muster. Was aber ist dann bitte eine Frauen-WM? Die Weltmeisterschaft im Frau-sein? Und warum gibt es dann bei dieser keinen Wettbewerb für Männer? Werden die etwa diskriminiert? Ist das vielleicht schon wieder ein Muster? Ja, sieht ganz so aus (vgl. auch: „Damen-Fußball“). Leider eines, das die Leistung von Frauen abwertet, sie als unwürdig erachtet. Schon klar, die Männer waren zuerst da, wie so oft. Aber das muss ja nicht heißen, dass sie auf ewig die ersten bleiben. Daher jetzt bitte alle: Es gibt nur eine Fußball-WM, mit Wettbewerben für Frauen und für Männer!

Atomruine

A. klingt pittoresk, malerisch also und interessant. Und in der Tat ist der ebenfalls gern in diesem Zusammenhang erwähnte „Sarkophag“ (der ein reich verziertes Grabmal vermuten lässt, obwohl eine eher hässliche und vor allem mürbe Betonabdeckung gemeint ist), inzwischen eine touristische Sehenswürdigkeit. Doch mit Ruine werden „Reste von Baulichkeiten“ bezeichnet, die nicht mehr funktionieren; ein zerstörtes Atomkraftwerk ist keine Ruine, denn seine „Funktion“ büßt es nicht ein, nur weil es kaputt ist, es strahlt munter weiter. Zu unseren Lebzeiten wird es daher keine malerischen A.-n geben, die ein neugieriger Tourist betreten und erkunden kann. Wohl aber noch viele solcher Euphemismen für diese gefährliche Technik.

Noch ein wortspalterischer (haha) Nachtrag: Das Atom ist übersetzt das Unteilbare, lässt sich also gar nicht ruinieren. Zumindest sprachlich. In der Physik geht das schon und das setzt dann ziemlich viel Energie frei, die ziemlich ruinös sein kann, wenn sie als Waffe genutzt wird – dann gern auch Atomschlag genannt. Wahrscheinlich weil es so schön markig klingt und nicht nach grausamem Tod.

Mit herzlichem Dank an Mibipo für die Unteilbarkeit.

Intelligent

Die Intelligenz hat ihren Ursprung im lateinischen intellegere ‚verstehen‘, eigentlich: ‚zwischen [den Zeilen] lesen‘ und ist eine Eigenschaft, die (bislang) allein dem Menschen zugeschrieben wurde, dem homo sapiens (‚wissender Mensch‘). Dann kamen Ingenieure und Informatiker und setzten sich das Ziel, menschengleiche Maschinen zu bauen und menschliches Denken nachzuahmen und nannten es metaphorisch Künstliche Intelligenz (KI). Kann man machen. Zum Unfug wurde es, als PR-Abteilungen über den Begriff stolperten und die Idee hatten, mit ihm allen möglichen Kram zu vermarkten, der nicht einmal annähernd ‚zwischen den Zeilen lesen‘ kann: Stromnetze, Speicherkarten, Telefone, Grenzkontrollen, Sozialkürzungen und sogar Bomben. Eine Meta-Metaphorik sozusagen oder eine Metaphorik zweiter Ordnung.

Schon klar, Ihr wollt das Zeug irgendwie schicker aussehen lassen, damit genug arme Irre es kaufen. Aber schlaue Bomben? Die Dinger merken sich eine Geokoordinate, mehr nicht. Könnten die ‚verstehen‘, würden sie beidrehen und ihren Bombardier zu treffen versuchen.

Mit Dank an @presseschauer für die Anregung und Eike H. fürs „sparen“.

Cyber-Abwehrzentrum

Quizfrage: Was wehrt ein Cyber-Abwehrzentrum ab? Einen Cybernauten? Die Kybernetik an sich? Oder gleich das ganze Internet? Wir wissen es nicht. Beunruhigenderweise scheint sich auch Innenminister Hans-Peter Friedrich, der das Ding gerade eröffnet hat, nicht ganz sicher zu sein. Sagte er doch: „Ziel ist es, die operative Zusammenarbeit der relevanten staatlichen Stellen zu optimieren und die Schutz- und Abwehrmaßnahmen gegen IT-Vorfälle besser zu koordinieren.“ IT-Vorfälle? Also, äh, alles, von der abgerauchten Festplatte im Innenministerium bis zum Cyberwar?

Das mag jetzt kleinkariert klingen, aber dieser nebelige Name ist ein Problem. Ein Zentrum, das für den Schutz des gesamten (deutschen?) Cyberspace vor was auch immer zuständig ist, kann alles sein: eine unbedeutende Außenstelle der IT-Abteilung des BSI („Have you tried turning it off and on again?“) genauso wie eine allumfassende Überwachungszentrale. Verschwörungstheorie? Gut möglich. Vielleicht ist es ja wirklich ein Zufall, dass dieses Zentrum zum BSI gehört, einer Ausgliederung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Und dass es in direkter Nähe des BND wohnt. Der Allmachtsanspruch des Namens legt zumindest die Befürchtung nahe, dass die grundgesetzliche Forderung des Trennungsgebotes im Zweifel weit ausgelegt wird. Wo Militär, Geheimdienste, Polizei und Zoll nun schon mal so nett an einem Tisch sitzen, obwohl sie es besser nicht sollten.

Nebenbei, in dem komischen Namen zeigt sich natürlich auch eine Haltung. Um mit @moeffju zu sprechen: „Wir haben kein Cyber-Zentrum, aber ein Cyber-Abwehrzentrum. Ach, Deutschland.“