beispiellos

Warum wird man Politiker? Um gestalten zu können, ist die übliche Antwort. Vielleicht ist das ja der Grund dafür, dass gerade so viele Dinge b. sind. Die Hilfe für den Euro beispielsweise (sic!), die Neuverschuldung, die Lage insgesamt. Alles b. Noch nie da gewesen also. Dabei ist nichts davon wirklich ohne Beispiel oder aber alles – je nachdem, wie eng man den einzelnen Fall definiert oder eben bereit ist, Parallelen zu akzeptieren. Historische Vergleiche aber lassen Politiker schnell wie altbackene Deppen aussehen, außerdem klingt “wie schon die alten Griechen Römer…” nicht so herrlich dramatisch. Und wie soll man als Politiker noch gestalten, wenn große Teile der Arbeit doch alternativlos sind? Richtig. Also braucht es neue Themen, gern auch Neuland genannt. Und das beackern Politiker am liebsten, indem sie noch mehr von dem Geld ausgeben, das sie nicht haben. Oder indem sie gesellschaftliche Grenzen einreißen, die nicht ohne Grund errichtet wurden – im Zweifel aber geschah das natürlich in grauer Vorzeit und ist nicht mehr wichtig, immerhin ist die Lage nun, ja? Wie? Genau, anders.

alternativlos

Glaubt man der Bundeskanzlerin, dann ist derzeit eine Menge a.: das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das Sparprogramm des griechischen Staates, der Einsatz Krieg in Afghanistan, die NATO. Das Wort ist schwer in Mode. Schaut her, soll es ausdrücken, wir müssen das tun, wir können nicht anders, also hört auf zu jammern. Das kommt daher als eine, wie es hier so treffend heißt, “Politik des übergesetzlichen Notstandes”, oder auch als “Eingeständnis der Hilflosigkeit”. Aber stimmt das? Eher nicht, wie die dabei gern verwendete alternativlose Entscheidung zeigt: Die nämlich ist ein Oxymoron, eine Verknüpfung von Dingen, die sich widersprechen. Wäre die Situation ohne Alternative, also Wahlmöglichkeit, gäbe es nichts zu entscheiden. Gibt es aber eine Alternative und sei es nur die, das Gesetz/die Maßnahme/den Krieg eben sein zu lassen, steht auch eine bewusst getroffene Entscheidung dahinter. Wäre Politik also tatsächlich a., bräuchte es keine Politiker. Was zeigt, dass der Begriff auf keinen Fall hilflos ist. Er ist vielmehr eine glatte Lüge.

Nachtrag: Im Januar 2011 wurde alternativlos zum Unwort des Jahres 2010 gewählt.

Noch ein Nachtrag: Im März 2011 verwendete die Bundeskanzlerin statt alternativlos das Synonym unumgänglich, natürlich mit Bezug auf eine Reform – offenbar wirkt die Beschäftigung mit Neusprech.

Bierdeckelsteuer

Die B. ist keine Steuer, die auf die Verwendung von Bierdeckeln erhoben wird, wie der Name nahelegt. Sie ist vielmehr ein Steuerkonzept, das in deutschsprachigen Ländern von gewissen Politikern gern versprochen, aber bisher nicht einmal im Ansatz realisiert wurde. Somit ist die Steuererklärung, die so kurz ist, dass sie auf einen Bierdeckel passt, nicht nur eine Utopie, sondern vor allem auch eine Metonymie, eine Bedeutungsverschiebung also. Und, nur um das Ausmaß des darin verborgenen leeren Versprechens deutlicher zu machen: Die Steuererklärung auf Bierdeckeln einzureichen, dürfte nur möglich sein, wenn solche zuvor zu amtlichen Formularen erhoben würden. Das jedoch wird wohl noch schwieriger zu realisieren sein als die Steuerreform selbst.

aussterben

Das A. sagt sich so leicht dahin, dabei stimmt es längst nicht mehr. Einst war es durchaus Teil der Evolution, heute jedoch darf es getrost als Euphemismus gelten, wenn im Zusammenhang mit Artenschutzabkommen von A. die Rede ist. Denn: ist das den Betroffenen einfach passiert? Waren sie an ihrem frühen Ende vielleicht gar selbst Schuld, die armen Trottel? Nein, waren sie nicht, wir waren es. Wir haben sie umgebracht, aufgegessen, verdrängt, verjagt, verschwendet, vernichtet – mit einem Wort: ausgerottet. Selbst der Artenschutz, der Versuch also, das zu verhindern, ist das Wort nicht wert. Geht es doch, wie gerade in Doha, gar nicht um Artenschutz, wenn von ihm die Rede ist, sondern um Geld. Weswegen solche Konferenzen wohl besser Basar heißen sollten.

Antiterrordatei

Nicht Terrorgegner werden in ihr gespeichert, wie der Name vermuten ließe, sondern mutmaßliche Terroristen oder vermeintlich auffällige Personen, also jeder, der ein Fässchen Wasserstoffperoxyd kaufen oder nur die Miete für seine Wohnung bar bezahlen wollte. Auch Pilotenausbildungen oder Moscheebesuche können zur Aufnahme in die Datei führen. Genau wie Telefonate mit dem genannten Personenkreis, um beispielsweise ein Auto von jemandem zu kaufen. Denn “Unterstützer” und “Kontaktpersonen” werden auch gespeichert. Geführt vom Bundeskriminalamt, genutzt von allen Diensten und Polizeien dieses Landes ist die A. eigentlich ein Verstoß gegen das Trennungsgebot. Doch darf das als das geringere Problem gelten. Denn letztlich ist sie eine Sammlung einer unbekannten Menge von Menschen, nach unbekannten Kriterien, für eine unbestimmte Zeit und einen unklaren Verwendungszweck. Siehe Gefährder, beziehungsweise Gefährder, potenzieller. Es kann als unwahrscheinlich gelten, aber definitionsgemäß müsste auch der eine oder andere Politiker dort geführt werden. Immerhin heißt es im Gesetzestext, gespeichert würden außerdem jene,

“die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen”.

Aber Angriffskriege zu unterstützen, zählt wohl nicht.