Schneller Brüter

Der schnelle B. oder Brutreaktor brütet nicht und schon gar nicht schnell. Sprachlich ist er eine Enallagé, also die Zuordnung eines Adjektivs zu einem Wort, mit dem es inhaltlich nichts zu tun hat. Gemeint ist damit ein Atomkraftwerk, das nicht primär dazu dient, Energie zu erzeugen. Das tut es auch, aber vor allem soll es Plutonium für andere Atomkraftwerke produzieren – ist also eine Plutoniumfabrik. Das aber kann es nur, wenn die Menge des spaltbaren Materials im Reaktor höher ist als in Reaktoren zur Stromerzeugung. Außerdem ist Plutonium nicht nur radioaktiv, sondern auch giftig und kernwaffenfähig. Und es braucht zur Kühlung des Ganzen flüssiges Natrium. Natrium hat den nicht unerheblichen Nachteil, dass es reichlich hektisch reagiert, wenn es mit Luft oder Wasser in Berührung kommt. Was den Reaktor dank der Verbindung mit Plutonium zu einer Art Atombombe machen kann. Das schnell nun bezieht sich nicht auf das Brüten oder auf die Geschwindigkeit, in der er im Zweifel hochgeht, sondern auf die Neutronen. Normalerweise werden die bei der Kernspaltung freigesetzten Neutronen beispielsweise durch Wasser gebremst, wobei sie viel ihrer Energie in Form von Wärme abgeben. Im B. ist dieser Bremseffekt nicht erwünscht, die Neutronen sollen nicht Wärme produzieren, sondern heftig in andere Atomkerne einschlagen und das umgebende Uran zu Plutonium umwandeln. Das alles führt dazu, dass ein B. schwerer zu kontrollieren ist als ein normaler Reaktor. Schon US-Präsident Jimmy Carter hatte wegen dieser Gefahren Bedenken gegen die Technik. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will nichtsdestotrotz mehrere französische Meiler mit ihr betreiben. Dabei war der einzige, den Frankreich bislang unterhielt, ein Fehlschlag. Hatten wir schon erwähnt, dass ein solcher Reaktor schneller als ein AKW vom Normalzustand der Gerade-Noch-Steuerbarkeit (interssanterweise kritisch genannt), zu dem der Unsteuerbarkeit (prompt überkritisch) übergeht? Die Bezeichnung schneller B. also, die eher an die Aufzucht puscheliger Küken denken lässt, ist vollkommen unpassend und uneigentliches Sprechen in Reinkultur. Oder, um Mr. Burns aus den Simpsons zu zitieren: “Oh, ‘meltdown.’ It’s one of those annoying ‘buzzwords.’ We prefer to call it an unrequested fission surplus.” Das ist Satire, aber abwegig ist sie nicht. Nur allzu gern wird durch solche Sprachschöpfungen vertuscht, dass es die wohl gefährlichste Technik ist, der sich Menschen derzeit so bedienen. Sie ist in der Vergangenheit auch gerne mal gescheitert. Trotzdem hat die Stromindustrie großes Interesse an ihr, denn auch Uran ist ein endlicher Rohstoff. Dank der schnellen B. könnten Atomkraftwerke sehr viel länger arbeiten. Damit verhindern sie dann auch gleich noch Entwicklungen im Bereich solcher Energien wie Wind, Sonne oder Wasser. So viel also zum Willen der Politik, eine Energiewende einzuleiten, beziehungsweise zum Thema Atomkraft als Brückentechnologie.

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36 Kommentare

  1. Man kann auch zuviel in Begriffe hineininterpretieren.
    Es wird hier bei vielen Artikeln über Begriffe aus dem Bereich Atomkraft übergangen, dass die meisten der Begriffe aus Zeiten stammen, in denen nicht laufend Angst vor Atomkraft geschürt wurde und dementsprechend keine verharmlosenden Begriffe benötigt wurden und zudem die Begriffe auch noch wissenschaftlicher Natur sind.
    Das Problem ist hierbei, dass der Großteil der Bevölkerung aus Laien besteht und keine Ahnung von Kernphysik insbesondere und leider auch Wissenschaft allgemein hat. Brutreaktor und Schneller Brüter klingen zwar nach Neusprech und Verharmlosung, sind aber ganz einfach wissenschaftliche Begriffe, die eigentlich für den Laien absolut nichtssagend sind. Die Physik bedient sich gerne alltäglichen Begriffen um eigentlich andere Sachverhalte oder gar komplett abstrakte Dinge zu beschreiben (siehe Spin, “Flavour” oder “Farbladung” von Teilchen/Elementarteilchen). Da kann es für den Laien natürlich zu ungewollten Assoziationen kommen, aber mit Neusprech hat das nichts zu tun, denn die Begriffe wurden nicht zum Zwecke der Irreführung geprägt.
    Physiker sind keine Linguisten oder Poeten und sind meist nicht besonders gut im Erfinden von neuen Worten (ehrlich, “Strange”, “Charme”, “Top” usw.? Die Elementarteilchenphysik ist wirklich seltsam benannt). Wäre Tolkien Physiker gewesen, sähe es heute vielleicht anders aus. Allerdings wären dann Lehrbücher dreimal so dick und stinklangweilig.

  2. 1.
    Die Erfindung kommt aus den VSA, wo sie zunächst “Fast Breeder Reactor” genannt wurde, was dann von Journalisten in den kernkraftbegeisterten Anfangsjahren zu “Fast Breeder” verkürzt wurde. Die Begriffe wurden dann ohne nachzudenken mit “Schneller Brutreaktor” und “Schneller Brüter” übersetzt.

    Eine bessere Übersetzung des ohnehin nicht sehr glücklichen Begriffes wäre wohl “erzeugender Schnellreaktor”. To breed kann auch erzeugen, verursachen heißen, auch fortpflanzen, und ist nicht auf das reine (Eier-) Brüten beschränkt. Breeder wiederum wird im Englischen hauptsächlich für den Züchter verwendet. “Schnellreaktor”, weil sich das Wort “fast” in “Fast Breeder Reactor” ja auf den Reaktor bezieht, der mit schnellen Neutronen arbeitet, und nicht auf den Breeder bezieht.

    2.
    “Oder, um Mr. Burns aus den Simpsons zu zitieren: “Oh, ‘meltdown.’ It’s one of those annoying ‘buzzwords.’ We prefer to call it an unrequested fission surplus.” Das ist Satire, aber abwegig ist sie nicht.”

    Es ist deswegen abwegig, weil die Kernschmelze nicht durch ein mehr an Kernspaltung (fission), sondern durch Kernzerfall (decay) bei ungenügender Kühlung herbeigeführt wird.

    3.
    Im Normalbetrieb erzeugen Kernreaktoren zur Stromerzeugung kein waffentaugliches Plutonium, da dabei der Kernbrennstoff zu lange im Reaktor verbleibt. Dadurch entstehen geringe Mengen an den Plutoniumisotopen Pu-240, Pu-241 und Pu-242, die sich sehr nachteilig auswirken.

    4.
    Wer die richtige Verwendung von Begriffen anmahnt, sollte nicht von Atomkraft und Atombombe reden, sondern die technisch korrekten Begriffe Kernkraft und Kernspaltungswaffe verwenden.

  3. Man kann auch auf Krampf nach Verschleierungen suchen. Wenn das „brüten“ ums Verrecken nicht als Kernphysik-Fachbegriff sondern von seinem „Ursprung” (*) her verstanden werden muss, dann müssen auch wir unbedingt darüber nachdenken, wie man das lebenswichtige Salz aus der „Salzsäure“ entfernt oder wie man bei „E-Book“ die Täuschung, es handele sich um ein Buch, aufheben kann. Auch „Kaffeebohne“ verschleiert, dass es sich nicht um eine ökologisch wünschenswerte einheimische Bohnenart handelt. Und welcher Bösewicht hat den zahlreichen Orten und Ortsteilen namens Himmelreich wohl dieses glänzende Schutzmäntelchen übergehängt?

    (*) Auf duden.de steht zu „brüten“ übrigens auch „etwas Übles, Böses ausdenken, ersinnen“. Ist der Begriff „Schneller Brüter“ also in Wirklichkeit doch eher entlarvend … ? 

  4. Ich weiß gar nicht, was der Artikel will: Auf http://www.duden.de steht für “brüten” auch “etwas Übles, Böses ausdenken, ersinnen”. Aber weil wir schon mal dabei sind: Bei “Salzsäure” wird die Gefährlichkeit durch einen Begriff für einen lebenswichtigen Stoff (Salz) verschleiert; bei “Kaffeebohne” wird suggeriert, es handele sich um ökologisch wünschenswerte heimische Produkte (Bohnen nämlich), “E-Book” tut so, als ginge es um Bücher; und von den vielen Orten namens “Himmelreich” schweigen wird mal lieber ganz …

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