Der W. ist eine Doppelmetapher, enthält also zwei Bilder, die noch dazu gar nicht zusammenpassen: Da ist zunächst das Wachstum, gemeint ist das Wirtschaftswachstum. Das ist eine Metapher für die Steigerung des Bruttosozialproduktes, was eine Metapher dafür ist, dass Unternehmen höhere Gewinne erzielen. Es sei ganz selbstverständlich, dass Firmen immer mehr Geld verdienen, so der damit nahegelegte Gedanke. Denn Wachstum ist ein Bild aus der Natur. Dort geschieht es von selbst, solange die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden sind, Nährstoffe aufgenommen werden können und ein gewisses Alter nicht überschritten ist. In der Wirtschaft aber ist es kein Gesetz, dass der Gewinn stets steigt und Firmen immer größer werden. Auch wenn das verzweifelt herbeigeredet wird und Wachstum geradezu ein Fetisch ist, dank dessen bereits ein Verlust darin gesehen wird, genauso viel zu verdienen wie im Vorjahr, gern Nullwachstum genannt. Dazu kommt in diesem Kompositum noch ein zweites Sprachbild, der Motor. Wäre die Wirtschaft wie die Natur, bräuchte sie keinen Motor, um zu wachsen, dann geschähe es einfach. Dass sie einen zu brauchen scheint, enttarnt das Wachstum eben als Fetisch, der erzwungen werden muss. Wie ein Motor aussehen kann, damit er beim Wachstum des Gewinns hilft, bleibt unklar. Klar hingegen ist der Eindruck, den der W. erzeugt: Ein Genug gibt es nicht, der Gewinn von Unternehmen muss gefördert werden, womit auch immer.
Da liegt Neusprech richtig daneben. Das BSP Deutschlands bezogen auf ein Jahr ist der Gegenwert aller Güter und Dienstleistungen, die von allen Deutschen innerhalb des Jahres erbracht werden. Beim inzwischen häufiger verwendeten Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind es nicht alle Deutschen, sondern alle in Deutschland lebenden.
Wirtschaftswachstum bedeutet, dass diese Summe steigt. Selbst im 1. oder 2. Semester eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums lernt man schon, dass das alleine natürlich nicht eitel Sonnenschein ist, dass man an den Zahlen tricksen kann, dass sie nicht immer positiv sind usw.
Aber: Mit Gewinnen von Unternehmen hat das erst einmal nichts zu tun. Im Gegenteil: Würde das zusätzlich erwirtschaftete Geld zu 100% an die Arbeiter ausgegeben, würden die Unternehmen keinen zusätzlichen Gewinn machen. Dass es in den letzten Jahren meistens eher in die andere Richtung ging, ist der Skandal. Wirtschaftswachstum alleine nützt der Bevölkerung nichts, wenn sie bei der Verteilung des zusätzlich erwirtschafteten leer ausgeht.
Das hat jetzt leider nicht ganz geklappt – das Bruttosozialprodukt drückt nicht aus, wieviel Gewinne Unternehmen gemacht haben. Es drückt aus, wieviel Einkommen sämtliche (inländischen) Wirtschaftsteilnehmer zusammen hatten. Einkommen ist nicht Gewinn – ihm stehen Ausgaben gegenüber. Und Wirtschaftsteilnehmer sind nicht nur Unternehmer, sondern auch die Konsumenten. Man kann es alternativ auch als die Gesamtsumme dessen betrachten, was Inländer produziert haben. Ob sie damit Gewinne gemacht haben, steht auf einem anderen Blatt.
Das mit dem Wachstum ist auch so eine Sache. Das BSP wird nämlich als Nominalwert ausgewiesen. Dem Gegenüber steht jedoch die Inflation. Wenn also das BSP langsamer als die Inflation wächst, so schrumpft die Wirtschaft real. Ja, das BSP muss sogar mehr als die Inflation wachsen, damit man von einem realen Wirtschaftswachstum sprechen kann.
Wachstum des BSPs ist also nicht deswegen nötig, damit die Wirtschaft mehr Gewinne macht. Sondern diese nominale Kenngrösse muss mit der Inflation wachsen, ansonsten schrumpft die reale Wirtschaftsleistung. Das wird oft verwechselt. Viele Leute zweifeln das “endlose Wachstum” der Wirtschaft (zurecht) an, kennen aber nicht den Zusammenhang, dass man aus guten Gründen (nämlich für die Möglichkeit der Zins-Steuerung) eine “schleichende” Inflation von ca. 2% erzeugt, der wiederum 2% “nominales Wachstum” gegenüber stehen muss, damit real sich nichts ändert.
Der “Wachstumsmotor” ist natürlich trotzdem Unfug. Insbesondere auch deshalb, weil Politiker gerne von einem solchen sprechen, obwohl die reale Wirtschaftsleistung zurück geht. Sie gehen wohl (zurecht) davon aus, dass die meisten ihrer Wähler den Unterschied zwischen nominalen und realen Zahlen in der Volkswirtschaft nicht kennen. Und so kann ein Politiker von einer Sache als “Wachstumsmotor” sprechen, weil ja die Wirtschaft (nominal) “gewachsen” sei, in Wirklichkeit ist sie jedoch (real) geschrumpft. Ob die betreffende Sache überhaupt der Grund für das (sowieso nur scheinbare) “Wachstum” ist, ist übrigens auch noch eine ganz andere Frage – meistens strotzen die Argumentationen nur so vor Denkfehlern, sei es, weil der eine oder andere Politiker mit Ausbildung zum Deutschlehrer oder Anwalt die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge gar nicht durchschaut, sei es, weil hier gelogen wird, dass sich die Balken biegen, um Interessen einer gewissen Klientel durch zu drücken.
Verbunden mit der Wachstumsideologie ist nicht nur, immer höhere Gewinne zu erzielen, sondern auch die Ideologie eines Weges hin zur Vollbeschäftigung, also dass immer mehr Erwerbsarbeitsplätze geschaffen würden. De facto ist vor allem aufgrund des technologischen Fortschritts mehr Produktivität und auch massenhafte Qualität durch weniger und weniger menschliche Arbeit möglich. Schon heute, wo nicht wenig automatisiert wird, ist das Automatisierungspotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft.
Bemerkung:
Bei der Nähe dieses Blogs zum Chaos Computer Club wundert mich, dass solche Aspekte technologischen Fortschritts anscheinend ausgeblendet bleiben. Wie sie auch in der Piratenpartei eher als Zukunftsmusik behandelt werden. Doch sind sie bereits Realität.
Warum ist der Motor unpassend? Biologen sprechen auch davon, dass in Zellen Kraftwerke arbeiten. Beides sind anschauliche Bilder. Es gehört doch sogar zum Wesen von Metaffern, dass sie ihren Sprachraum verlassen, oder nicht?
Formel 1
Gib Gas!
Überhaupt, diese dümmliche Wachstumsideologie. Auch Krebs ist Wachstum. Es gibt jetzt sogar “nachhaltiges Wachstum”. Hauptsache Wachstum.