Fähigkeitslücke (II)

Stellen Sie sich vor, Sie sind als Minister zuständig für die Armee und wollen todschicke Waffen anschaffen. Nun sind diese aber leider aus ethischen Gründen umstritten. Beispielsweise weil irgendwelche Leute, die Sie natürlich im Zweifel als → Fortschrittsverweigerer bezeichnen können, fürchten, damit würde das Töten anonymer und letztlich ein Krieg ohne Verantwortliche möglich. Was tun? Der beste Weg ist, den Eindruck zu erwecken, als gäbe es schon lange ein gefährliches Problem und nur diese ferngesteuerten Waffen unbemannten Luftfahrtsysteme könnten es lösen. Genau dazu eignet sich die F., wie es Verteidigungsminister Thomas de Maizière hier vorbildlich demonstriert. Denn Lücken müssen selbstverständlich geschlossen werden. Noch dazu, wenn man doch bereits zu so Vielem fähig ist und nur diese eine kleine Lücke noch fehlt am Glück (vgl. → Schutzlücke). Dass der Gegenstand – es geht immerhin ums Töten –, nur als nicht näher definierte Fähigkeit beschrieben wird, macht den Ausdruck herrlich schwammig, Verzeihung, vielseitig einsetzbar. “Was sagen Sie? Das angebliche Problem existiert überhaupt erst, seit eine Lösung dafür präsentiert werden kann? Ach, das ist doch kleinkariert.

Vielen Dank an @Apocasparica für das Video. Und bitte nicht wundern, wir haben schon einmal über die F. geschrieben. Aufgrund ihrer ungebrochenen Beliebtheit fanden wir aber, wir könnten das getrost noch einmal tun.

Beteilige dich an der Unterhaltung

18 Kommentare

  1. Lieber Kai,

    danke für den Hinweis auf diese wirklich interessante Neubildung. Ich habe ein bisschen recherchiert, hier meine Ergebnisse.

    Die “Fähigkeitslücke” ist keine Erfindung von de Maizière oder seinen Beratern, sondern ein terminus technicus aus dem Qualitäts- und Personalmanagement. Die Neuprägung scheint jüngeren Datums zu sein, ich habe keine Belege vor 2000 gefunden. Die F. ergibt sich aus der Differenz zwischen Fähigkeitsprofil und Anforderungsprofil. Das heißt, bevor eine F. festgestellt und benannt wird, wurden zuvor umfangreiche Analysen durchgeführt, gab es viele Papers, Sitzungen, haben Fachleute (und Lobbyisten) ihre “Expertisen eingebracht” etc. pp.

    Zwar kann man auch bei der Belegschaft bzw. bei einzelnen Mitarbeitern von F. sprechen, in der Regel aber ist die fehlende Fähigkeit von Organisationen gemeint, genau definierte Ziele umsetzen zu können. Wirklich verbreitet ist der Begriff der F. allerdings nur beim Militär. (Übrigens auch in Amerika, dort heißt es “capability gap”.) Die Suche bei linguee.de fördert v.a. Dokumente aus dem militärischen Bereich zutage. Die Ermittlung von F. gilt als Teil eines ganzen “Fähigkeitsmanagements” (capability management), s. http://en.wikipedia.org/wiki/Capability_Management. Bei der Bundeswehr ist die Ermittlung von F. der entscheidende Pfeiler beim (schlimmes Wort) Customer Product Management (CPM). Das ist das “Verfahren zur Bedarfsermittlung und -deckung mit Produkten und Dienstleistungen im Geschäftsbereich des Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) der Bundesrepublik Deutschland.” (s. Wikipedia)

    Soviel zur Wortherkunft. Ich denke, der Begriff der F. ist typische Verwaltungssprache. Das macht ihn gerade für das Militär und militärische Argumentationen so attraktiv. Der Ausdruck ist nicht schwammig, F.n können von den zuständigen “Fähigkeitsmanagern” ziemlich präzise benannt und begründet werden. Aber er macht den politisch eigentlich viel wichtigeren Schritt unsichtbar, nämlich die Aufstellung des Anforderungsprofils, aus dem sich die Lücke dann erst ergibt. Entscheidungen, die Krieg und Frieden betreffen, werden zum Verwaltungsakt in den Händen von Experten. Dabei ist die F. alles andere als eine objektive Tatsache – sie spiegelt meist nur den Wunsch des Militärs nach neuem Gerät und den Wunsch der Rüstungsfirmen nach neuen Aufträgen.

    Grüße,
    Jürgen

  2. Es gibt noch einen weiteren Herkunftsnachweis: aus dem Fachinesisch der sogenannten Sicherheitspolitik als “lack of capacity”. Ein verkappter Anglizismus, der bei einer Münchner Konferenz, die immer im Januar stattfindet, in den Wortschatz de Maizières gefunden haben könnte und durch seine Redenschreiber eingedeutscht wurde.

  3. Halte ich für unwahrscheinlich. “Lack of capacity” übersetzt sich mit “fehlenden, mangelnden Fähigkeiten”, weist also schwammig und allgemein auf Defizite (deutsch im Plural) hin. (Siehe auch hier wieder die Übersetzungen bei linguee.de, eine hervorragende Quelle, weil dort offiziell übersetzte Dokumente die Datenbasis sind.) “Lack” als “Lücke” einzudeutschen ist nicht sehr naheliegend. Diese Ableitung braucht es auch nicht, weil die “Fähigkeitslücke” aka “capacity gap” ein terminus technicus ist, der unter Militärexperten sehr verbreitet ist. De Maizière wird das Wort wohl nahezu täglich von seinen Mitarbeitern im Ministerium hören, zumindest wenn gerade mal wieder das Thema Waffenbeschaffung auf der Tagesordnung steht.

    Eine Suche auf der Seite des Verteidigungsministeriums (BMVg.de) ergibt für “Fähigkeitslücke” 279 (!) Treffer. In der Planungsabteilung des BMVg ist sogar eine eigene Unterabteilung “Plg II Fähigkeitsmanagement Bundeswehr” angesiedelt.

    Grüße,
    Jürgen

  4. Und noch was: die ins deutsche Technokratenkauderwelsch übertragenen Anglizismen transportieren den Unsinn als Bonus-Track. Lack als Lücke zu übersetzen, scheint aus einem banalen Grund für die beamteten Dolmetscher naheliegend: Sie wollen das Oxymoron vernebeln. Wörtlich übersetzt müsste das nämlich Fähigkeitsmangel heißen

    So leicht wollen sie es uns nun aber doch nicht machen.

  5. Hast du Belege dafür, dass der MSC-Ausdruck “lack of capacity” in deutschen Dokumenten mit “Fähigkeitslücke” übersetzt wird?

    Ich weiß allerdings nicht, was diese Suche an Erkenntnisgewinn bringen würde. So, wie De Maizière das Wort “Fähigkeitslücke” benutzt hat, ist es die genaue Übersetzung von “capacity gap”, ein Fachterminus aus dem “capability management” bzw. “Fähigkeitsmanagement” (Quellen habe ich oben genannt). Ich weiß nicht, ob die Militärfachleute bei ihrer Begriffsschöpfung irgendwelche Vernebelungsabsichten hatten. Ich glaube eher nicht, da das Wort ja v.a. für den Dienstgebrauch bestimmt ist und eine präzise Bedeutung hat, die Nebelwerferausdrücke gemeinhin nicht haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert