Der Podcast mit der längsten Vorfreude: Neusprechfunk 7

Der Neusprechfunk sieben, verehrte und vermutlich überraschte Hörer, steht zum Abruf bereit. Wir haben den Podcast nach längerer Sendepause im Januar aufgenommen und einen Rückblick auf das vergangene Jahr gewagt. Vollständigkeit wollen wir aber natürlich nicht beanspruchen.

Unser beliebtes Gewinnspiel war diesmal mehrseitig: Während unseres Gesprächs erkiesen wir einen neuen Gewinner und berichten kurz von der Übergabe des Preises vom letzten Podcast. Gleichzeitig haben wir selbst gewonnen und Geschenke eingeheimst. Selbstverständlich verraten wir aber nichts, schließlich wollen wir ja mehr Podcast-Hörer anlocken.

Die europäische Politfigur des Jahres war wohl Yanis Varoufakis (pdf), Hochschullehrer in Politischer Ökonomie, Mikro- und Makroökonomie und ehemaliger griechischer Finanzminister. Wir nähern uns an seinem Beispiel der Frage, ob man nur noch als Antiheld ein populärer Politiker sein kann, und analysieren seinen Sexappeal, auch im Vergleich zu anderen Politikern.

Wo wir bei Antihelden sind: Beim Rückblicken darf natürlich der wirklich unsägliche Donald Trump nicht fehlen, dem Yascha Mounk in der FAZ einen Artikel widmet:

faz donald trump

Er zieht einen Vergleich zu einem europäischen Politiker ähnlicher Exzentrik und schreibt über Politikverdrossenheit, unheilbar korrupte Politsysteme und Vorhersagen, die durch sich selbst wahr werden, also selbsterfüllende Prophezeihungen. Die bestünden darin, dass mangelndes Vertrauen in die Politik dazu führe, dass Politiker Probleme nicht lösen könnten. Und wenn sie keine Probleme lösen würden, schwinde wiederum das Vertrauen.

Außerdem gibt uns Mounk ein neues Schlagwort mit, zu dem wir uns wohl bekennen müssen: der neue Zynismus, ein bissiger, manchmal verletzender Spott.

faz neuer zynismus

Wie so oft, hat uns außerdem FAZ-Polit-Redakteur Jasper von Altenbockum beschäftigt, der die Snowden-Falle ausgemacht haben will:

altenbockums snowden-falle

Das führt uns direkt zum NSA-BND-Untersuchungsausschuss, der im Rückblick nicht fehlen darf und ein Quell hochkarätiger Neusprech-Wendungen war. Wir erwähnen die Live-Lesung beim Chaos Communication Congress, in der die Begriffe in den Kontext gerückt wurden:

lesung nsaua

Die BND-Mitarbeiter und Beauftragten der Bundesregierung, die als Zeugen im Ausschuss sprechen mussten, bescheren uns etwa das schöne neue Wort erfahrungswissenschaftlich.

Weniger schöne Worte nutzt Innenminister Thomas de Maizière bei der Beschreibung der Lage. Die ist natürlich wie immer ernst, wie ernst genau, mag er aber nicht sagen. Der Lage-Minister bleibt so vage in seinen Äußerungen zu terroristischen Gefahren, dass er Unsicherheit und damit Angst schafft, statt sie abzubauen.

Natürlich war das Jahr geprägt von den Menschen, die aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien nach Europa kommen. So sprechen wir über Flüchtlinge, das Recht auf Asyl, Entwicklungshilfe, Fluchtursachen und deren Bekämpfung, unter anderem mit Bomben.

Doch nicht nur Bomben, auch ein vollendeter Überwachungsstaat wird zur Bekämpfung von manchen herbeigesehnt, nämlich wenn es gegen den Terrorismus geht. Dem auch im letzten Jahr populären Thema können wir uns nicht entziehen. Es geht im Neusprechfunk 7 (mp3) daher auch um einen Klassiker der Terror-Anekdoten, nämlich die Sauerland-Gruppe, deren Geheimdienst-Verbindungen vom SPIEGEL thematisiert wurden:

spiegel sauerland-gruppe

Die Weltgegend, wo sich Geheimdienste aller Couleur und befreundete Militärs geradezu drängeln, haben wir auch kurz in den Blick genommen. Ein ehemaliger SPD-Verteidigungsminister, Peter Struck, ließ sein Volk im Herbst 2001 wissen, dass die Freiheit der Bundesrepublik auch am Hindukusch verteidigt werden müsse. Das wird sie auch im Jahr 2016 noch, denn der robuste Einsatz ist weiter im Gange. Zwischendurch, im Jahr 2009, erschien ein SPIEGEL-Artikel, über den wir sprechen. Der Titel lautet Murads Rache und bezieht sich auf einen afghanischen Militärgeneral:

spiegel afghanistan

Bei der Gelegenheit darf der geneigte Hörer schon mal schätzen, welche Geldsummen beim Stabilisierungseinsatz am Hindukusch verbraten werden. Wir lösen im Podcast dann auf.

Wir sprechen neben dem Tummelplatz der Taliban auch über:

Hier ist der Neusprechfunk 7 als mp3. Alternativ gibt es eine ogg-Version von Neusprechfunk 7.

Wir bedanken uns für die Aufmerksamkeit! :}

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Neusprech-Unworte des Jahres 2015

Unworte des Jahres? Hier sind unsere. Die am meisten gelesenen Begriffe im Neusprechblog im Jahr 2015 waren in dieser Reihenfolge:

1. Videoschutz
2. Ersatz-Personalausweis
3. Routineverkehr
4. Transitzone
5. Geldgeber
6. Verkehrsdatenspeicherung
7. besorgt
8. Spurensicherung, digitale
9. Flüchtlingsstrom
10. Staatswohl

Aufgelistet sind nur die neuen Begriffe des jeweiligen Jahres. Der Ausdruck alternativlos erscheint daher nicht, obwohl er bisher noch jedes Jahr einen der vorderen Plätze belegte.

Das Unwort des Jahres des gleichnamigen sprachkritischen Projektes war 2015 der Gutmensch.

Floskeln als Krisenbarometer

Udo Stiehl und Sebastian Pertsch, die zwei Journalisten der Floskelwolke, durchsuchen täglich Google News und analysieren, welche von insgesamt 130 Floskeln dort wie oft erwähnt werden. Ihre Daten stellen sie allen Interessierten zur Verfügung. Wir haben daraus zwölf vor allem für das Thema Flüchtlinge und Asyl relevante Begriffe herausgesucht und ihre Erwähnungen im Jahr 2015 visualisiert. Das Ergebnis haben wir in unserem Vortrag beim 32C3 genutzt um zu belegen, dass sich in Floskeln und Phrasen zeigt, wie gesellschaftliche Probleme wahrgenommen und debattiert werden. Hier die Grafik:

Zwölf Floskeln von alternativlos bis Überfremdung und wie oft sie 2015 bei Google News auftauchten.
Zwölf Floskeln von alternativlos bis Überfremdung und wie oft sie 2015 bei Google News auftauchten.

Darin zeigt sich zum Beispiel, wie sich die gesellschaftliche Debatte zum Thema Asyl verändert. In den letzten Wochen des Jahres 2015 tauchen häufiger Begriffe auf, die vor allem Angst vor Flüchtenden schüren sollen wie Flüchtlingstsunami, Flüchtlingsansturm oder Phrasen wie das Boot ist voll.

Und es zeigt sich, dass der auch von Angela Merkel gern genutzte Ausdruck alternativlos so etwas wie ein Nullwert politischer Kommunikation ist, der immer passt.

Verkehrsdatenspeicherung

Meint nicht, Autos oder Fußgänger zu zählen. Die V. – hier in einer in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel – ist die neue Umschreibung der als  Vorratsdatenspeicherung bekannt gewordenen flächendeckenden Überwachung von Kommunikation. Die V. ist wie all ihre Vorgänger ein Euphemismus, ein Wort, das verstecken soll, worum es geht. Gemeint sind Daten, die beim Kommunikationsverkehr anfallen, auch gern Metadaten genannt, beziehungsweise „nur Metadaten“. Die sagen mindestens so viel über die Betroffenen aus, wie gesprochene Worte, sie für Wochen und Monate zu speichern und auszuwerten, ist Überwachung und nicht nur eine V. Das Verfahren hat damit eine beeindruckende sprachliche Historie hinter sich, immer mit dem Ziel, eben nicht zu sagen, was wirklich gemeint ist. Zur Erinnerung hier die bisherigen Versuche, die Überwachten als dumm zu verkaufen:

→ Vorratsdatenspeicherung sollte fürsorglich klingen;
→ Mindestdatenspeicherung sollte es als notwendig erscheinen lassen;
→ Mindestspeicherdauer ebenso, verbirgt dabei aber noch, dass es um Daten geht;
Mindestspeicherfrist geht noch weiter und verschleiert auch die Dauer; → Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten deutet eine Verpflichtung an;
 private Vorsorgespeicherung weist weg von staatlicher Überwachung und hin zur Vorsorge und damit zu etwas für alle Nützlichem;
digitale Spurensicherung lehnt sich an ein alltägliches Verfahren der Polizei an.

Wer so hartnäckig verbirgt, worum es geht, beweist damit nur eines: Das Zeug ist gefährlich.

Flughafenverfahren

Bedeutungsleere Wörter kommen gern harmlos daher, sind es aber nicht, wenn sie dazu dienen, einen Zusammenhang zu verstecken, ja Gewalt zu verbergen. Die → Maßnahme ist ein Beispiel dafür. Ähnlich verhält es sich mit dem Verfahren. In einem Kompositum kann wenigstens ein hinzutretendes Erstglied zum Ausdruck bringen, dass sich hinter einem Verfahren sehr viel mehr verbirgt, wie beim Asylverfahren. Wenn aber das Erstglied ebenfalls harmlos klingt, möglicherweise sogar nur eine Ortsangabe ist, wie in F., dann bleibt vollkommen unklar, worum es sich hier handelt: Das F. könnte etwas mit dem Check-In oder mit der Gepäckabfertigung zu tun haben. In Wirklichkeit geht es darum, Flüchtlinge auf Flughäfen einzusperren, bis über ihr Asylverfahren entschieden ist. So eine Haft kann bis zu 18 Monaten dauern. Ein ziemlich langes und unangenehmes Verfahren also, das meistens mit der Abschiebung endet. Und auch wenn das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, dass es sich dabei rechtlich nicht um einen Freiheitsentzug handelt, so nennt es den Vorgang doch zumindest eine Einreiseverweigerung. Für die Betroffenen kommt sie einer Haft gleich. So etwas als F. zu bezeichnen, zeigt einen starken Wunsch, das Ganze euphemistisch zu verbrämen. Ungefähr so, als würde die heimliche Ausspähung fremder Computer, die gern als → Onlinedurchsuchung verniedlicht wird, als Festplattenverfahren bezeichnet.