Neusprechfunk 20

Willkommen zum Neusprechfunk 20, diesmal mit der ersten monothematischen Ausgabe. Eines der über die Jahre irgendwie entstandenen Prinzipien unseres Podcasts ist es, dass wir unser Gespräch nicht gemeinsam planen. Wir bereiten uns vor, ohne uns mit den anderen abzusprechen. Wir sammeln, was uns begegnet, was uns aufgefallen ist, was uns irritiert hat. Der Zufall, die persönlichen Interessen und der allgegenwärtige Zeitgeist bestimmen die Auswahl. Das Ergebnis ist normalerweise eine bunte Mischung, von der wir hoffen, dass sie nicht langweilt.

Zum ersten Mal hat uns alle nun jedoch das gleiche Ereignis beschäftigt: der Wahlkampf der CDU/CSU bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2025. Aber keine Sorge, allzu monothematisch wird es nicht, schließlich sind die Wahlprogramme ja ein Füllhorn an Themen. Wir landen, wie so oft im Leben, sogar bei dem Philosophen Hegel.

Apropos Wahlprogramm. Die Weltsicht einer Partei soll dem geneigten Wähler eben durch dieses Papier dargelegt und mit einem Wahlslogan auf eine kurze Formel gebracht werden. Die Christdemokraten ziehen in den Wahlkampf unter dem Motto: Für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können. Offenbar sind sie also derzeit nicht sonderlich stolz. Wir versuchen daher zu ergründen, woran das liegen könnte. Das gemeinsame Wahlprogramm von CDU und CSU (pdf) bietet für diese Analyse eine Reihe von Schwerpunkten: Es geht vornehmlich um Wirtschaft und um Migration, außerdem um den traditionell von der Union eher als Überwachungspolitik ausgelegten Bereich der inneren Sicherheit. Für diese und auch für weitere Politthemen haben CDU und CSU vor allem ein Rezept, sie wollen Entscheidungen der Ampel-Regierung zurücknehmen. Hier scheint der sprichwörtliche Hund für den mangelnden Stolz der Union begraben zu sein.

Wir fragen uns außerdem, wer von den Wahlversprechen der Union profitieren würde und wer eher nicht. Wer sich mit den im Programm gewählten Begriffen beschäftigt, kann es ahnen. So soll aus dem Bürgergeld, also einer Unterstützung für mündige Bürger, künftig eine Grundsicherung werden. Das macht bereits sprachlich deutlich, dass es dabei nur noch um das absolute Minimum gehen würde.

Die Union will auch „Habecks Heizungsgesetz“ abschaffen, wie sie es nennt. Eine interessante Zuschreibung, ist damit doch das Gebäudeenergiegesetz gemeint, das 2020 vom Kabinett Merkel IV – und damit der CDU – entworfen wurde. Die rot-grün-gelbe Bundesregierung hatte es nur in wenigen Punkten ergänzt, um die Klimaschutzziele besser zu erreichen. Daher reden wir auch darüber und über die Kampagne der Bild gegen diese Gesetzesnovelle.

Äußerungen einzelner Politikschaffender runden das Bild der Union und den Podcast ab. Beispielsweise eine Aussage von Julia Klöckner zur AfD. Offensichtlich wollte sie AfD-Wähler von sich überzeugen, tat das aber auf so unsägliche Art, dass sie den Post kurz nach heftiger Kritik wieder gelöscht hat.

Anbei auch noch der Link zur inzwischen veröffentlichten “Agenda 2030” der Union.

Gimmick am Rande aus dem SPD-Regierungsprogramm (pdf): Wir hatten schon häufiger Fälle, bei denen die Nutzung der ersten Person Plural etwas übergriffig wirkt. Diesmal rutscht der SPD ein etwas zu breites Wir raus.

Kleiner Nachtrag: Das Durchschnittsalter von Pkw in Deutschland steigt seit Jahren, die im Podcast erwähnten sieben Jahre stimmen schon länger nicht mehr, derzeit sind es zehn Jahre.

Hier ist der Podcast als mp3 oder als ogg-Datei. Wir möchten uns sehr gern bei Kristian bedanken, der die Audiobearbeitung und den Schnitt übernommen hat.

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Datenautomatik

Was passiert hier? Irgendetwas mit Daten. Und es passiert automatisch, also von selbst. Mehr wird aus diesem Wort nicht klar und soll es wohl auch nicht. Denn den Kunden des Mobilfunkanbieters, die von der D. betroffen sind, wird mehr Geld abgeknöpft, als ursprünglich vereinbart. Mobile Internetverbindungen werden in Deutschland mit einer Grenze für die Menge an Daten verkauft, die dort heruntergeladen werden können. Ist diese Datenmenge erreicht, wird die Durchleitungsgeschwindigkeit der Internetverbindung gedrosselt – wie bei einem Wasserhahn, der nur noch tröpfelt, statt mit vollem Strahl seine Ladung zu ergießen. Die D. nun heißt, dass der Wasserhahn nicht zugedreht wird. Die Daten fließen weiter in vollem Strom, auch nachdem die Grenze erreicht wurde. Dafür wird dem Nutzer zusätzlich Geld in Rechnung gestellt, wenn er das in seinem Vertrag nicht ausdrücklich ausschließt. Die Kunden erhalten zwar eine Nachricht, die ihnen die Mehrkosten ankündigt. In der steht aber nicht die Warnung, dass sie nun mehr bezahlen als ihren monatlichen Tarif. Dort heißt es nur: „In Kürze greift für Sie die D.“ Wer dann nicht aufhört zu surfen, liest kurz darauf den Satz: „Wir haben Ihnen (…) zusätzliches Datenvolumen zum vertraglich vereinbarten Preis zur Verfügung gestellt.“ Bis zu drei Mal werden diese Überziehungsgebühren erhoben, erst danach drosselt der Anbieter die Durchleitungsgeschwindigkeit. Man könnte das wohl als versteckte Kosten bezeichnen.

Mit Dank an Lars B. für den Hinweis.

Durchbrüche

Wenn nach mühevollem Hämmern und Meißeln endlich das Loch in die Wand gebrochen ist, handelt es sich um einen Durchbruch. Zum Beispiel von einem Zimmer ins andere, vom Tunnel in den Tresorraum oder von der Zelle in die Freiheit. Um das ersehnte Ziel zu erlangen, reicht eigentlich immer ein einzelner Durchbruch. So ist es auch bei der Metapher. Sobald das Wort in den Plural gesetzt wird, wirkt es daher komisch, viele Durchbrüche sind zu viel des Guten. Trotzdem werden sie gern verwendet, ausgerechnet dann, wenn sich kein Erfolg einstellen will. Der Plural schwächt hier den Misserfolg ab, die D.-e klingen kleiner als ein großer Durchbruch, der alles geregelt hätte. Aber es gibt den politischen Durchbruch auch im Singular – allerdings meist nur in der konditionalen Version. Dann wird ein „möglicher Durchbruch“ begrüßt, um klar zu machen, dass bald etwas Großartiges geschieht. Das klingt in beiden Fällen aufgeblasen und übertüncht, was eigentlich passiert ist: nichts!

Frühstartrente

Frage: Was ist eine F.? Wenn Sie denken, es sei die Chance, früher als mit den derzeit gesetzlich geregelten 67 Jahren in Rente zu gehen, liegen Sie leider falsch. Und genau das ist bereits das erste Problem mit dieser Wortneuschöpfung der CDU. Sie führt in die Irre. Denn in ihrem Wahlprogramm bezeichnet die Union mit der F. eine Art staatlich unterstütztes Aktiensparbuch. Das soll nach dem Plan der Union für jeden Menschen hierzulande angelegt werden, der das sechste Lebensjahr erreicht hat. Bis zum 18. Lebensjahr soll der Staat zehn Euro pro Monat in diesen Aktiensparplan einzahlen, danach sollen die so Beschenkten das selbst übernehmen so gut sie es eben können. Insgesamt sind es also 1.440 Euro, die der Staat jedem Kind künftig schenken soll (zwölf Jahre mal 120 Euro). Sehen wir mal kurz von dem eher geringen finanziellen Anreiz ab, der hier gesetzt wird. Immerhin ist es ja ein Anreiz. Aber wofür? „Junge Menschen sollen möglichst früh selbst kapitalgedeckt vorsorgen“, heißt es laut Medienberichten in dem Wahlprogramm von CDU und CSU. Kapitalgedeckt? Auch das ist wieder so ein hinterhältiges Schleierwort. Es bedeutet: Jeder mit seinem eigenen Kapital, also jeder für sich. Die bisherige Rentenversicherung ist ein sogenanntes Generationenmodell, alle Jungen zahlen für alle Alten. Das wird teurer, da es mehr Alte und weniger Junge gibt. Union und FDP wollen es abschaffen und durch das Prinzip „jeder sorgt für sich allein“ ersetzen. Das bisherige Modell ist aber auch ein Sozialmodell, Starke werden stärker belastet, Schwache unterstützt. Das würde damit ebenfalls abgeschafft. Arme können viel weniger für sich vorsorgen als Reiche, die Rente würde also noch ungerechter, als sie es längst ist. Gleichzeitig würden junge Menschen in den nicht ganz risikolosen Aktienmarkt gedrängt. Ob ihr früher Start in diesem noch etwas bringt, wenn sie selbst alt sind? Das kann heute niemand wissen und schon gar nicht garantieren – was ein weiteres Problem der F. ist. Die bisherige Rente garantiert der Staat. Die F. ist eine Aktienrente und damit eine Wette, die furchtbar schief gehen kann. Denen, die sich das ausgedacht haben, kann es egal sein, sie sind dann längst in ihrer von den Jungen finanzierten Rente.

Wassercent

Der Freistaat Bayern ist knapp bei Kasse – vor allem wegen der→Schuldenbremse, der sich die bayerische Regierungskoalition aber mit Haut und Haaren verschrieben hat. Steuern zu erhöhen, ist unpopulär und könnte Stimmen kosten. Also führt man eine Abgabe ein, die zumindest vom Wort her unauffällig klein wirkt, den W. Wer Grundwasser nutzt, soll dafür künftig zehn Cent pro Kubikmeter zahlen. In anderen Bundesländern gibt es das längst, in Bayern wäre es neu. Und es klingt ja wirklich nach einer verschwindend geringen Summe. Trotz der Bezeichnung werden bei jedem Verbraucher am Ende des Jahres jedoch ein paar Euro zusammenkommen und damit Hunderte oder gar Tausende Cent. Doch der W. soll ja ein Steuerinstrument zu Gunsten der Umwelt sein. Wäre er auch, gäbe es nicht Ausnahmen für Großabnehmer, die dürfen weiter große Mengen Wasser umsonst pumpen. Das nennt sich Wirtschaftspolitik. Der Umweltschutz ist da schnell im Weg. Kein Wunder, dass diese Abgabe unpopulär ist. Da kommt ein verharmlosender Begriff gerade recht. Hauptsache, es fließt Geld in die klammen Kassen. Man rechnet mit 60 bis 80 Millionen Euro an Mehreinnahmen jährlich. Was so ein paar Cent (oder besser Euro) doch ausmachen! 

Danke an Stefan P. für den Vorschlag!