Ist das Gegenteil (Antonym) von ergebnisoffen und dann auch wieder nicht. Denn der Kontext spielt eine Rolle: Beratungen sollen ergebnisoffen sein, die Arbeit einer Behörde, hier des Verfassungsschutzes jedoch e.? Sollte der Verfassungsschutz nicht eigentlich auch ergebnisoffen arbeiten? Oder ist ein bestimmtes Ergebnis etwa schon von vornherein anvisiert, wie orientiert nahe legt? Das Verb orientieren ist der sprachliche Vorläufer von (ein-) norden. Bevor es Kompassnadeln gab, wurde ein Ziel anvisiert, indem man feststellte, wo die Sonne aufgeht (lateinisch ori ‚aufgehen‘) und daraus ableitete, wo Osten ist. Orientieren hieß, zu wissen, den eigenen Standpunkt in Bezug zum Osten zu kennen. Nun ist es ja gut, dass der Verfassungsschutz einen Standpunkt hat und den auch kennt. Aber die Formulierung nährt den Verdacht, dass er vor allem sehr genau zu wissen glaubt, in welche Richtung sich seine Bemühungen bewegen sollten. Es überrascht also beispielsweise nicht, dass er Rechte eher links liegen lässt. Dabei hat das Desaster der NSU-Ermittlung gezeigt, wie unsinnig und gefährlich eine solche Fokussierung ist.
Sicherheitsraum für Daten, europäischer
Die SPD will ja nun Netzpartei werden. In diesem Zusammenhang forderte der Baden-Württembergische Europaminister Peter Friedrich, dessen Name wohl nur zufällige Ähnlichkeiten mit dem eines gewesenen Innenministers aufweist:
„Jeder Mittelständler muss in den nächsten Jahren in die Cloud um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dafür brauchen wir einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum für Daten, sonst lesen die Wettbewerber von überall auf der Welt mit.“
Was „die Cloud“ mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun hat, erschließt sich nicht unmittelbar. Auch ist dem Europaminister unter Umständen nicht klar, was „die Cloud“ bedeutet. Zumindest aber scheint er zu spüren, dass in einer Cloud Daten gar nicht sicher sein können. Denn wer seine Daten irgendwohin kopiert und nicht weiß, was dort mit ihnen geschieht, kann kaum darauf hoffen, dass niemand darauf zugreift. Oder, wie Frank Rieger vom Chaos Computer Club, mal sagte:
„Na ja, meine Definition von Cloud lautet: Ihre Daten sind woanders, und Sie wissen nicht, wo. Davon halte ich prinzipiell nichts.“
Aber da hat der Baden-Württemberger Friedrich auch schon einen Vorschlag: Den S. Der enthält die schönen Ausdrücke Raum und Sicherheit, das klingt immerhin beruhigend. Natürlich ist damit kein physischer Raum gemeint, sondern ein digitaler. Wie ein solcher S. funktionieren soll, bleibt allerdings unklar. Es liegt in der Natur des Internet, dass Daten Wege nehmen, die der Nutzer nicht kontrollieren kann. Er weiß im Zweifel nicht, wer sie alles einsieht oder sogar manipuliert. Es sei denn, er verschlüsselt seine Daten selbst und nutzt Technik, die diese Verschlüsselung unterwegs nicht bricht. Davon aber erwähnt Frierich nichts. Leider, denn alles andere ist nur schöne Rhetorik und hilft nicht gegen all die Dienste und Spione, die überall mitlesen wollen.
Stiftung
Der Ausdruck stiften kommt aus dem Germanischen und bezeichnete wahrscheinlich, Bauten auf Pfählen zu bauen. Er wandelte sich dann zum allgemeinen Gründen oder Errichten und meint heute vor allem, Eigentum herzugeben, um anderen in Form einer S. etwas Zugute kommen zu lassen. Die Betreiber deutscher Atomkraftwerke beweisen gerade grenzenlosen Zynismus, indem sie diese positive Bedeutung umdrehen. Sie wollen, schreibt Der Spiegel, ihre sämtlichen Atomkraftwerke einer S. übergeben. Die soll dem Bund gehören. Der möge dann dafür sorgen, sie zu betreiben, solange sie noch betrieben werden dürfen und anschließend sich bitte auch um den Abriss und die Entsorgung des Mülls kümmern. Dreißig Milliarden Euro wollen die Kraftwerksbesitzer in die S. einzahlen, also einen Bruchteil der wahrscheinlichen Kosten. Deren tatsächliche Höhe ist kaum abzuschätzen und wird garantiert viel größer sein. Sollten die dreißig Milliarden nicht genügen, müsste der Bund den Rest übernehmen – und damit alle Bürger, denn der Bund bekommt sein Geld von den Steuerzahlern. Jahrzehntelang haben die Betreiber der Atomkraftwerke riesige Gewinne kassiert, die drohenden Verluste aber wollen sie nun der Gesellschaft aufbürden. Sie stiften ihr ein unkalkulierbares finanzielles Risiko, wohl wissend, dass sie damit allen schaden. Damit die Bundesregierung dieser eigennützigen S. zustimmt, wird ihr unverhohlen gedroht: „Möglicherweise“ wären die Kraftwerksunternehmer im Gegenzug bereit, auf milliardenteure Klagen gegen die Regierung zu verzichten. Von denen reden die Stromfirmenbosse seit einiger Zeit, da die Politik die Frechheit besaß, das unkalkulierbare technische Risiko Atomkraftwerk gesetzlich zu beenden.
Neusprechfunk, wirklich!
Wir bekennen uns ausdrücklich zum Neusprechfunk! Warum uns dieses Bekenntnis wichtig ist, verraten wir aber nicht, dafür muss man sich den vierten Neusprechfunk selber anhören. Schon um sich gegebenenfalls danach selbst bekennen zu können, etwa in den Kommentaren.
Aufgezeichnet haben wir den Podcast im Februar 2014, der Neusprechfunk 4 (mp3) ist jedoch innerhalb der nächsten drei Jahre einigermaßen zeitlos. Denn unser vorrangiges Thema war der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, in dem es so einiges Überraschendes und vor allem enorm viele Lücken zu entdecken gibt.
Wir gehen ein wenig darauf ein, wie der Koalitionsvertrag zustande kam, insbesondere interessierte uns aber: Was steht denn drin, und wie ist das Geschriebene unter Neusprech-Gesichtspunkten zu interpretieren?
Wir streifen Zwischenlösungen bei der Finanzpolitik, reden über Boni, suchen nach Anhaltspunkten zu Vorratsdatenspeicherung, Datenschutz und Beinahe-Treffer bei Massen-Gentests. Wir finden sogar am Rande die Konsequenzen der NSA-Affäre! Der Vertrag bleibt jedoch voller Lücken, insbesondere Sicherheitslücken, Wirtschaftlichkeitslücken und Schutzlücken.
In einer alten SPIEGEL-Ausgabe zu blättern, konnten wir uns auch wieder nicht verkneifen. Diesmal war es die Nr. 22 aus dem Jahr 2008, die in „Obamania“ erstaunliche Weitsicht auf das deutsch-amerikanische Verhältnis beweist. Besonders die Bundeskanzlerin wird die Momente der transatlantischen Freundschaft genossen haben:
… nur: das „Fenster der Gelegenheit“ klappte wieder zu. Auch die vorprogrammierte und mittlerweile eingetretene Enttäuschung legt der damalige SPIEGEL (und Autor Ralf Beste) schon nahe:
Beschäftigt hat uns auch ein Artikel von Cordt Schnibben in ebenjener Ausgabe, der sich wunderbar an die Übersetzung von Neusprech macht. Was wir im Podcast (im Februar) übrigens schon angedeutet hatten, ist unterdessen ein SPIEGEL-Titel von Schnibben geworden: „Mein Vater, der Mörder“, eine ausgesprochen persönliche Geschichte, begleitet von einer multimedialen digitalen Story, die aber in der Aufmachung eher Geschmackssache ist.
Im Artikel „Die 60-Minuten-Demokratie“ überträgt Schnibben Neusprech ins Normaldeutsche:
Dieser Podcast ist wie immer nicht jugendfrei, schon weil wir auch wieder über die SPD reden. Denn deren noch nicht vollständig aus der Partei ausgetretene Marktfraktion könnte jederzeit den nächsten Grabenkrieg auslösen.
Immer für einen Aufreger gut und selbst mit ordentlich Zynismus nur schwer zu verdauen: der Neoliberalismus und die Bildungspolitik. (Vorsicht, nur mit Ad-Blocker klicken)
Na dann.
Wir sprachen – nicht nur sozialpalavertechnisch – über:
- die Bach-Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“,
- das Funktionsverbgefüge,
- Computer-Inder, eine üble Kritik des CDU-Politikers Jürgen Rüttgers im Jahr 2000, der dagegen war, in Deutschland Green Cards einzuführen,
- unsichere De-Mails, die mittels eines Vertrauensraums irgendwie sicherer werden sollen,
- Heike Wieses Buch „Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht“, hier ein Interview mit der Autorin,
- Cordt Schnibben: Die 60-Minuten-Demokratie, SPIEGEL Nr. 22, Seite 74–81,
- das Internet der kurzen Wege, ein leider nicht in Vergessenheit geratener Vorschlag der Deutschen Telekom.
Hier ist unser Podcast als mp3.
Wie vielfach gewünscht: Es gibt auch wieder die ogg-Version von Neusprechfunk 4.
Podcast: Play in new window | Download
Metadaten
Geheimdienste und Regierungen beteuern immer wieder, dass sie sich nicht für die Daten der Bürger interessieren, sondern ‚nur‘ für die M., als ginge es dabei um völlig Irrelevantes, nachgerade um Datenabfall, der sowieso bei jeder Datenübertragung anfällt und im Gegensatz zu den ‚richtigen‘ Daten nicht besonders schützenswert sei. “Niemand hört mit”, sagte US-Präsident Barack Obama nach Bekanntwerden der Snowden-Dokumente und wollte damit alle beruhigen. Was für eine Lüge.
Das griechische Präfix μετά- bedeutet ‚nach‘ oder ‚jenseits‘, wörtlich sind also M. ‚Nachdaten‘ oder ‚jenseitige Daten‘. Im Deutschen wird das Präfix jedoch meistens verwendet, um anzuzeigen, dass es sich um etwas handelt, das auf einer höheren Abstraktionsebene anzusiedeln ist, in diesem Fall also: Daten über Daten.
Es sind eben jene Daten, die benötigt werden, um Informationen zu übermitteln: Wer schickt was und wie viel wie oft wohin, wo befindet er sich dabei, welche Geräte benutzt er dazu, wie lange dauert das alles? Die M. sind für die Kommunikation essenziell, ohne sie könnten wir uns nicht digital unterhalten.
Spätestens seit Edward Snowden wissen wir, dass Geheimdienste M. abschnorcheln, speichern und auswerten, wo sie nur können. Denn Inhalte sagen, was wir sagen. M. aber sagen, was wir tun, und was wir denken. Sie enttarnen uns und unsere Pläne, ohne dass wir es merken. M. erlauben es, soziale Netzwerke aufzudecken, die Standorte von Menschen zu ermitteln und Bewegungsprofile zu erstellen.
Statt sie wie Abfall zu behandeln, den jedermann aufsammeln kann, müssten sie mindestens ebenso gut geschützt werden, wie der Inhalt unserer Kommunikation. Denn sie sind ganz und gar nicht so ‚jenseitig‘, wie das Präfix andeutet.
Außer den Überwachten scheint daran aber niemand Interesse zu haben. Was sich unter anderem daran zeigt, dass die große Lüge von den harmlosen M. auch sprachlich aufrecht erhalten werden soll. Das Synonym ,Verbindungsdaten‘ macht nicht im Ansatz klar, wie umfangreich und aussagekräftig unsere M. sind. Als Verschleierung genügt das aber offensichtlich auch nicht mehr, inzwischen ist ‚Rahmendaten‘ das neue Ersatzwort.
Für den Versuch, diese flächendeckende Überwachung sprachlich zu verheimlichen, erhält der Begriff ,Metadaten‘ einen Big Brother Award 2014.