Bedenken, massivste

Massiv ist vor allem im Zusammenhang mit eben jenen B. ein in der Politik gern genutztes Synonym für stark oder heftig. Durch seine massive Verwendung verliert es allerdings an Expressivität und muss, soll es weiter für Aufmerksamkeit sorgen, gesteigert werden. Wenn massive B. also niemanden mehr beeindrucken, dann haben Politiker eben massivste B. gegen einen Vorschlag – eine sprachlich unmögliche Steigerung, eine sogenannte Hyperbel. Siehe auch → Kriminalität, schwerste. Denn massiv stammt vom französischen massif ab und bedeutet ‚dicht, voll‘. Ein Gegenstand ist aus massivem Gold, wenn er durch und durch aus diesem Metall besteht. Mehr geht nicht. Trotzdem ist dieser sprachliche Unsinn immer zu hören, wenn jemand seine angeblichen Zweifel an einer Sache betonen will. Allerdings sind diese Zweifel nie groß genug, als dass der oder die Betreffende im Parlament dann auch gegen den zur Diskussion stehenden Vorschlag stimmen würde. Weswegen sie offensichtlich das Bedürfnis haben, zumindest sprachlich darauf hinzuweisen, dass ihnen die Zustimmung schwer fiel. Umgangssprachlich heißt das Phänomen auch „die Faust in der Tasche“. Siehe auch → Vertrauen, vollstes.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

Kriminalität, schwerste

Beispiel für eine sinnlose Steigerung über das plausible Maß hinaus, eine sogenannte Hyperbel. Kriminalität ist schon schlimm, niemand mag schließlich gern bestohlen oder betrogen werden. Politikern genügt jedoch die durchaus vorhandene Angst vor „normaler“ Kriminalität offensichtlich nicht, wenn sie Eingriffe in Freiheiten und Rechte der Bürger zu rechtfertigen versuchen. Selbst eine schwere Kriminalität reicht dafür anscheinend nicht mehr, es muss schon eine schwerste K. sein, um zu erklären, warum es unbedingt eine → Mindestdatenspeicherung braucht. Einerseits belegt das, wie dringend sich der Staat solche Überwachungsinstrumente wünscht. Andererseits zeigt es aber auch, wie unsinnig die ganze Forderung ist. Denn da die schwere Kriminalität, auch Verbrechen genannt, bereits Taten wie Mord, Vergewaltigung oder Herbeiführung einer Explosion durch Kernenergie umfasst, ist es schwer, sich eine schwerste K. überhaupt vorzustellen. Angesichts der Verfehlungen, bei denen diese Instrumente dann tatsächlich eingesetzt werden sollen, lässt sich nur noch konstatieren, dass bei dem einen oder anderen Politiker eine schwere Verschiebung des Rechtsbewusstseins stattgefunden haben muss. Anders ist nicht zu erklären, warum beispielsweise das Bundeskriminalamt wünscht, mit unseren ohne Verdacht gespeicherten Kommunikationsdaten, gemeinhin → Vorratsdatenspeicherung genannt, auch das illegale Herunterladen von Filmen und Musik zu verfolgen. Das zeigt, wie problematisch Hyperbeln sind und wie gefährlich es ist, seinen Wählern ständig Angst machen zu wollen, um ihnen härtere Gesetze zu verkaufen. Die normale und die schwere Kriminalität mussten schon so oft als Rechtfertigung herhalten, dass sie nicht mehr als Schreckensbild taugen. Was aber kommt nach der schwersten K., die überschwerste, die brutalstmögliche, die unvorstellbare? Wir werden es wohl leider bald erfahren.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah‘“

Problembesucher

Wer das Wort zum ersten Mal hört, denkt sicher an den Problembären und liegt damit gar nicht so falsch. Auch der war ein P., in einem anderen Kontext, dem bayerischen Wald. Und beim Kontext zeigt sich gleich das erste Problem mit dem P.: Wer hier wen besucht und wer für wen ein Problem ist, erschließt sich nur aus eben diesem Zusammenhang: Bei unserem P. geht es um Besucher in einem Fußballstadion, um Fußballfans – wenn sie Probleme machen, auch Hooligans genannt. Aber genau dieses Wort soll offensichtlich vermieden werden. So entstand der P., ein Nebelbegriff. Denn beide Wortbildungselemente sind unklar und haben – linguistisch gesprochen – eine große Extension, also einen weiten Anwendungsbereich. Außerdem impliziert der Ausdruck, dass etwas getan werden muss, denn Probleme gehören gelöst. Siehe Problembär, der wurde erschossen. Gegen P. soll nicht ganz so rabiat vorgegangen werden, allerdings erscheint die verdachtsunabhängige Erfassung und Überwachung von Fußballfans, die unter anderem mit den P.-n gerechtfertigt wird, auch nicht so wirklich verhältnismäßig. Siehe → Gefährder, potenzieller und → Verbunddatei (Rechtsextremismus).

Großprojekt

Großsprecherische Vergrößerung eines banalen Gegenstandes, der damit weniger banal klingen soll. Nehmen wir ein beliebiges Projekt, sagen wir einen Flughafen. Und stellen uns dann vor, irgendein Politiker erklärte plötzlich, der werde nun doch nicht fertig und im Übrigen zweieinhalb Mal so teuer wie geplant, mindestens. Eine Betonpiste mit Läden dran? Doppelt so teuer? Und zwei oder vielleicht gar drei Jahre später fertig? Sehen Sie, das klingt seltsam. Aber wenn es sich bei dem Ganzen um ein G. handelt, ja, dann wirken solche Absurditäten schon selbstverständlicher, oder? Auf diese Art ist Berlin zu einem Großflughafen gekommen, auch wenn viele Flughäfen existieren, die sehr viel größer sind als er. Und der, obwohl es davon in der Stadt diverse gab und gibt, gern auch Hauptstadtflughafen genannt wird. Klingt wichtiger. Beliebt übrigens sind in diesem Zusammenhang auch kryptische Abkürzungen. Darum nennen das Ding plötzlich alle nur noch BER, obwohl in München niemand vom MUC redet und in Berlin auch niemand TXL oder SXF kennt. Falls Sie an dieser Stelle Parallelen zu S21 sehen, diesem Bahnhof in Stuttgart, Verzeihung, diesem G., so sind die selbstverständlich rein zufällig.

Verantwortung (übernehmen)

Immer wenn etwas schief gegangen ist – ein Flughafen oder so –, fordert jemand, nun müsse aber endlich einer die V. dafür übernehmen. Was gleich auf mehrere Arten absurd ist. Heißt es doch, dass sich bislang offenbar niemand so richtig für den Gegenstand verantwortlich fühlte. Beziehungsweise hieße es das, wenn es denn bei diesem Ausdruck wirklich um V. ginge. Geht es aber nicht. Es ist die verbrämte Forderung, irgendjemand möge doch bitte schleunigst von irgendetwas zurücktreten, damit so schnell wie möglich „zur Tagesordnung“ übergegangen werden kann. Was lustigerweise unweigerlich dazu führt, dass der Betreffende eben keine V. mehr hat und somit auch gar keine übernehmen kann. Aber Logik und Politiksprech haben ja eher selten etwas miteinander zu tun.

Mit Dank an Friedrich A.