Der W. ist eine Doppelmetapher, enthält also zwei Bilder, die noch dazu gar nicht zusammenpassen: Da ist zunächst das Wachstum, gemeint ist das Wirtschaftswachstum. Das ist eine Metapher für die Steigerung des Bruttosozialproduktes, was eine Metapher dafür ist, dass Unternehmen höhere Gewinne erzielen. Es sei ganz selbstverständlich, dass Firmen immer mehr Geld verdienen, so der damit nahegelegte Gedanke. Denn Wachstum ist ein Bild aus der Natur. Dort geschieht es von selbst, solange die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden sind, Nährstoffe aufgenommen werden können und ein gewisses Alter nicht überschritten ist. In der Wirtschaft aber ist es kein Gesetz, dass der Gewinn stets steigt und Firmen immer größer werden. Auch wenn das verzweifelt herbeigeredet wird und Wachstum geradezu ein Fetisch ist, dank dessen bereits ein Verlust darin gesehen wird, genauso viel zu verdienen wie im Vorjahr, gern Nullwachstum genannt. Dazu kommt in diesem Kompositum noch ein zweites Sprachbild, der Motor. Wäre die Wirtschaft wie die Natur, bräuchte sie keinen Motor, um zu wachsen, dann geschähe es einfach. Dass sie einen zu brauchen scheint, enttarnt das Wachstum eben als Fetisch, der erzwungen werden muss. Wie ein Motor aussehen kann, damit er beim Wachstum des Gewinns hilft, bleibt unklar. Klar hingegen ist der Eindruck, den der W. erzeugt: Ein Genug gibt es nicht, der Gewinn von Unternehmen muss gefördert werden, womit auch immer.
Protestwähler
Abwertender Ausdruck für Menschen, die keine der „etablierten“ Parteien wählen, die ihr Kreuz also nicht bei CDU, FDP, Grüne oder SPD machen. Unterstellt, dass die P. sich eigentlich für eine der vier Parteien entscheiden wollten, es aber ausnahmsweise nicht taten, um diesen „mal eins auszuwischen”. Basiert offensichtlich auf der Haltung, dass es so etwas wie eine richtige Meinung gibt und dass jede andere Meinung, die von dieser abweicht, falsch und verwerflich ist. Beziehungsweise ignorieren die Verwender des Ausdrucks die Tatsache, dass es andere Meinungen geben kann als die eigene. Der Ausdruck diffamiert damit nicht nur eben jene Wähler, die letztlich nichts weiter tun, als ihr demokratisches Recht wahrzunehmen. Er offenbart auch ein gelinde gesagt interessantes Demokratieverständnis. Und belegt, was Politiker dieser „etablierten“ Parteien grundsätzlich von Wählern und von Wahlen halten. Nichts. Beide sind anscheinend nur solange wohlgelitten, wie das Ergebnis einer Wahl im Sinne dieser Politiker ist. Dabei ist letztlich jede Entscheidung eine Form des Protestes – gegenüber allen anderen Möglichkeiten.
Dieser Text erschien zuerst in unserem Buch „Sprachlügen: Unworte und Neusprech von ,Atomruine‘ bis ,zeitnah.‘“
Konsolidierungskurs
Politiker sollen führen. Wenn Sie als Politiker allerdings keine Ahnung haben oder wissen, dass Sie sowieso nichts ändern können, dann sollten Sie wenigstens tatkräftig wirken, die Leute erwarten schließlich etwas für ihr Geld. Maritime Metaphern eignen sich dazu gut, in ihnen geht es oft darum, sich im Nirgendwo zurecht zu finden. Aber Vorsicht, sprachliche Bilder können auch schief hängen. Die neulateinische Bildung consolidare beispielsweise bedeutet ‚etwas verfestigen‘, dass also etwas fest (solide) wird. Kurs aber meint, dass ein Schiff sich in Richtung seines Ziels bewegt. Beide zusammen sind daher eher ungünstig: für Schiffe ist es nicht so gut, wenn sie plötzlich auf etwas Festes stoßen. Ein K. wäre für ein Schiff alles andere als der richtige. Was zur Frage führt, was denn beim K. eigentlich verfestigt werden soll? Die Antwort ist nicht so positiv, wie es der gemeine Wähler vielleicht hofft. Konsolidierung ist, wenn es wie hier um Geld geht, ein definierter Begriff und meint, dass Schulden verfestigt werden. Zum Beispiel, indem ein langfristiger Kredit mit niedrigeren Zinsen aufgenommen wird, um mit dem Geld kurzfristige, aber hoch verzinste Kredite zu bezahlen. Das senkt zwar die monatliche Belastung, aber es verringert langfristig die Schulden nicht. Der K. verspricht aber noch nicht einmal diese „Entzerrung der Tilgungsstrukturen“. Denn die Konsolidierung ist hier noch gar nicht erreicht, sie ist, um im nautischen Bild zu bleiben, bestenfalls am Horizont zu ahnen. Es wird noch gar nicht konsolidiert, wir bewegen uns lediglich in Richtung auf eine vielleicht irgendwann mal eintretende Konsolidierung. Mit anderen Worten: Macht euch bloß keine Hoffnung auf festen Boden unter den Füßen.
Niedriglohnsektor
In der Volkswirtschaftslehre wird die Wirtschaft in Sektoren (Abschnitte) eingeteilt: Es gibt den Primärsektor (Landwirtschaft, traditionelle Ausbeutung von Rohstoffen), den industriellen Sektor, den Dienstleistungssektor und neuerdings auch einen Informations- und einen Entsorgungssektor. Noch neuer ist ein Sektor, der in der Volkswirtschaftslehre nicht vorkommt, wohl aber in der Politik: der N. Der Terminus sagt deutlich, dass dort die Löhne niedrig sind, genau genommen sind sie zu niedrig, sodass die Betroffenen davon ihr Leben nicht bestreiten können und somit zu → Aufstockern werden müssen. Weshalb N. als Euphemismus zu werten ist, eine Schönfärberei. Volkswirtschaftlich gesehen handelt es sich um einen Sektor, der ohne staatliche Subventionen nicht existieren könnte, da in ihm Profite durch Ausbeutung Betroffener und auf Kosten aller erwirtschaftet werden.
Luftschlag
In der ursprünglichen Bedeutung ein wirkungsloser Hieb ins Leere. Seit den neunziger Jahren jedoch ein von Politik und Medien gern verwendeter Euphemismus für Angriffe aus der Luft. Klingt dementsprechend ungefährlich, umschreibt aber das massenhafte Abwerfen von Bomben und Marschflugkörpern Raketen auf ganze Länder und damit den Tod vieler Menschen. Der L. kam während des Krieges in Jugoslawien in Mode. Damals warfen teilweise mehr als eintausend Flugzeuge der Nato Bomben ab und töteten schätzungsweise 3.500 Menschen. In der deutschen Öffentlichkeit war das seltsamerweise irgendwie unpopulär, sodass Bundeskanzler Gerhard Schröder und andere Politiker lieber von L. redeten als von Angriff oder Bombardement. Seit dem wird der Ausdruck immer wieder benutzt, um kriegerische Handlungen weniger brutal erscheinen zu lassen. Um das noch weiter zu verschleiern, ist es durchaus üblich, die Attacke als begrenzten, gezielten oder gar chirurgischen L. zu bezeichnen und so zu suggerieren, dabei könne nicht das Geringste daneben gehen.