Restrisiko

Es zeugt von erheblichem Willen zum Schönfärben, angesichts der tödlichen Sauerei eines radioaktiven Lavahaufens überhaupt von „Rest“ zu sprechen. Der Begriff soll offensichtlich verniedlichen, ist also ein Euphemismus, denn ein Risiko bleibt ein Risiko, egal wie groß oder klein es sein mag. Doch das nur am Rande. Nach Definition des deutschen Atomforums ist das R. ein: „Nicht näher zu definierendes, noch verbleibendes Risiko nach Beseitigung bzw. Berücksichtigung aller denkbaren quantifizierten Risiken bei einer Risikobetrachtung.“ Äh, Moment… Das, was übrig bleibt, wenn alle „quantifizierten“, also messbaren Risiken beseitigt sind, müssen wir hinnehmen? Also all jene Vorfälle Unfälle Katastrophen, die geschehen, weil es einfach (noch) keinen Grenzwert für ihre Ursachen gibt? Wollen Sie wissen, wie das Bundesverfassungsgericht das R. definiert? Etwas anders: Es fordert die „bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge“ und zwar bezogen auf den „jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik“. Das R. darf demnach nur jene Dinge meinen, die hypothetisch, konkret nicht vorstellbar und „jenseits der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens“ liegen. Völlig absurde Sachen also wie abstürzende Marsianer oder durch die Landschaft trampelnde Godzillas müssen als R. hingenommen werden. Von Wahrscheinlichkeiten steht im sogenannten Kalkar-Urteil von 1978 – nur nebenbei, es ging darin um schnelle Brüter – nichts. Die Definition der Atomindustrie also darf getrost als Güterabwägung gelten – Bezahlbarkeit versus Sicherheit, Geld gegen Leben. Eine solche Abwägung aber ist nur in Ordnung, wenn Kosten und Nutzen auf den gleichen Schultern verteilt sind. Bei Atomkraftwerken ist das nicht so: Keine Versicherung will das Risiko dieser Anlagen auf sich nehmen (was allein schon nachdenklich machen sollte), die Folgen einer Kernschmelze zahlen daher zum großen Teil die Bürger mit ihrer Gesundheit mit ihren Steuern. Es wäre also nur gerecht, wenn entweder auch der Gewinn an alle verteilt würde, oder wenn alle entscheiden dürften, ob sie dieses Risiko überhaupt tragen wollen.

Auf vielfachen Wunsch und mit Dank an alle Vorschlagenden.

Schneller Brüter

Der schnelle B. oder Brutreaktor brütet nicht und schon gar nicht schnell. Sprachlich ist er eine Enallagé, also die Zuordnung eines Adjektivs zu einem Wort, mit dem es inhaltlich nichts zu tun hat. Gemeint ist damit ein Atomkraftwerk, das nicht primär dazu dient, Energie zu erzeugen. Das tut es auch, aber vor allem soll es Plutonium für andere Atomkraftwerke produzieren – ist also eine Plutoniumfabrik. Das aber kann es nur, wenn die Menge des spaltbaren Materials im Reaktor höher ist als in Reaktoren zur Stromerzeugung. Außerdem ist Plutonium nicht nur radioaktiv, sondern auch giftig und kernwaffenfähig. Und es braucht zur Kühlung des Ganzen flüssiges Natrium. Natrium hat den nicht unerheblichen Nachteil, dass es reichlich hektisch reagiert, wenn es mit Luft oder Wasser in Berührung kommt. Was den Reaktor dank der Verbindung mit Plutonium zu einer Art Atombombe machen kann. Das schnell nun bezieht sich nicht auf das Brüten oder auf die Geschwindigkeit, in der er im Zweifel hochgeht, sondern auf die Neutronen. Normalerweise werden die bei der Kernspaltung freigesetzten Neutronen beispielsweise durch Wasser gebremst, wobei sie viel ihrer Energie in Form von Wärme abgeben. Im B. ist dieser Bremseffekt nicht erwünscht, die Neutronen sollen nicht Wärme produzieren, sondern heftig in andere Atomkerne einschlagen und das umgebende Uran zu Plutonium umwandeln. Das alles führt dazu, dass ein B. schwerer zu kontrollieren ist als ein normaler Reaktor. Schon US-Präsident Jimmy Carter hatte wegen dieser Gefahren Bedenken gegen die Technik. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will nichtsdestotrotz mehrere französische Meiler mit ihr betreiben. Dabei war der einzige, den Frankreich bislang unterhielt, ein Fehlschlag. Hatten wir schon erwähnt, dass ein solcher Reaktor schneller als ein AKW vom Normalzustand der Gerade-Noch-Steuerbarkeit (interssanterweise kritisch genannt), zu dem der Unsteuerbarkeit (prompt überkritisch) übergeht? Die Bezeichnung schneller B. also, die eher an die Aufzucht puscheliger Küken denken lässt, ist vollkommen unpassend und uneigentliches Sprechen in Reinkultur. Oder, um Mr. Burns aus den Simpsons zu zitieren: “Oh, ‘meltdown.’ It’s one of those annoying ‘buzzwords.’ We prefer to call it an unrequested fission surplus.” Das ist Satire, aber abwegig ist sie nicht. Nur allzu gern wird durch solche Sprachschöpfungen vertuscht, dass es die wohl gefährlichste Technik ist, der sich Menschen derzeit so bedienen. Sie ist in der Vergangenheit auch gerne mal gescheitert. Trotzdem hat die Stromindustrie großes Interesse an ihr, denn auch Uran ist ein endlicher Rohstoff. Dank der schnellen B. könnten Atomkraftwerke sehr viel länger arbeiten. Damit verhindern sie dann auch gleich noch Entwicklungen im Bereich solcher Energien wie Wind, Sonne oder Wasser. So viel also zum Willen der Politik, eine Energiewende einzuleiten, beziehungsweise zum Thema Atomkraft als Brückentechnologie.

Handlungsfähigkeit

Die H. ist ein Pleonasmus (so etwas wie ein weißer Schimmel oder die Siebentagewoche also). Denn entweder ist man fähig zu handeln, dann handelt man – oder eben nicht. Der Satz, irgendjemand beweise seine H., sollte daher skeptisch machen. Vor allem, wenn der Beweis darin besteht, dass irgendwer plötzlich etwas tut, was er bislang tunlichst unterlassen hatte. Einen Verteidigungsminister rausschmeißen beispielsweise oder ein paar Atomkraftwerke abschalten. Wäre ein Politiker bekannt für seinen Willen und seine Fähigkeit, Dinge zu ändern, wäre er handlungsfähig und müsste nicht darüber reden, was er demnächst alles anpacken möchte. Auch dass ständig jemand tönt, er könne die H. wiedergewinnen, wenn er nur dieses oder jenes bekäme – meistens Geld –, ist eher bedenklich. Besteht doch die nicht unerhebliche Chance, dass die H. nur deshalb zum Popanz erhoben wird, weil niemand sie besitzt. Ja vielleicht sogar niemand sie besitzen möchte. Immerhin ist es riskant, zu handeln, birgt es doch die Gefahr, hinterher zur Verantwortung gezogen zu werden, getreu der einzigen Regel des Beamtenmikados: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Die H. ist damit so etwas wie der Totmannknopf der Politik. Wer ständig auf ihn drückt, zeigt, dass er noch lebt – ohne dass er dafür wirklich etwas tun muss. Vgl. auch Handlungsbedarf. Der wird gern gesehen, ohne dass eine Reaktion erfolgt. Was soviel heißt wie: Wir würden ja gern, aber leider, leider können wir nicht. Oder sind zu borniert, überhaupt das Problem zu erkennen.

Einzelfälle, bedauerliche

Der Plural ist tückisch, wie parlamentarische Zwänge und handwerkliche Fehler bereits zeigten. Ein Einzelfall nun ist per definitionem ein singuläres Ereignis und sollte damit auch als Wort bevorzugt im Singular auftreten. Trotzdem wird er gern in den Plural genötigt – immer dann, wenn es darum geht, zu verschleiern, dass ein Ereignis eben nicht einzigartig ist, sondern vielmehr regelmäßig eintritt. Wie zum Beispiel die Zunahme von Krebserkrankungen in der Nähe von Atomanlagen oder Skandale bei der Bundeswehr (damals wie heute). Somit sind die E. gar keine, sondern systematische Fehler. Diese Litotes, also rhetorischen Abschwächungen, auch noch mit dem Adjektiv bedauerlich zu ergänzen, entlarvt die Jämmerlichkeit des Unterfangens. Impliziert es doch, dass der Einzelfall unvermeidlich war, damit also wahrscheinlich eine systemische Ursache hat und der Betreffende sich leider nicht in der Lage sieht, diesen Fehler im System zu beheben. Obwohl es als Entscheider im Zweifel seine Aufgabe gewesen wäre.

Mit Dank an Jarno R.

Mehrheit, schweigende

Ein Gastbeitrag von David H.

Trugbild oder Simulakrum, dient der Legitimation einer unpopulären Entscheidung oder radikalen (Einzel-) Meinung in öffentlichen Diskussionen, vergleiche auch die Netzgemeinde, das Volk oder die Bürger. Wirkt auf den ersten Blick wie eine greifbare Entität und erweckt den Eindruck, es gäbe neben dem Sprecher noch viele, einheitlich handelnde Akteure mit konsistentem, widerspruchsfreiem Willen. Für eine schweigende M. zu sprechen, hat mehrere Vorteile: Erstens lässt es den Leistungsträger Populisten wie ein Sprachrohr Vieler und damit wichtiger erscheinen. Zweitens lässt es ihn mutig wirken, gibt er doch vor, Dinge zu äußern, die andere sich nicht zu sagen trauen; üblicherweise gerechtfertigt mit dem Zusatz: “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.” Drittens ist es ohne Risiko daher geradezu alternativlos, denn wie sagt das Bonmot ungenauer Herkunft: „Was will die schweigende Mehrheit?“ „Keine Ahnung, sie sagt ja nichts.“