Stromveredelung

Strom ist nicht gleich Strom. Wie das im Kapitalismus so ist, kann der gleiche Strom teurer und billiger sein. Wollen viele ihn haben, müssen sie mehr bezahlen, obwohl derjenige, der ihn produziert, weder mehr Mühe noch mehr Kosten dadurch hat. Die, die daran verdienen, nennen das die „Gesetze des Marktes“; Klaus Vorwerk nannte es treffender „die Religion der Diebe“. Wie Recht er damit hat, zeigt sich an Begriffen wie der S., einer Schöpfung der damit befassten Industrie. In der Linguistik wird so etwas Hyperbel genannt: Übertreibung. Denn mit diesem Wort wird ein technisch banaler Vorgang blumig umschrieben: die Speicherung überschüssigen Stroms in Pumpspeicher- oder Druckluftkraftwerken. Der Wirkungsgrad ist gering und auch edler wird er dadurch nicht. Er kann nur zu einem anderen Zeitpunkt verkauft werden – dann nämlich, wenn viele ihn brauchen und gezwungen sind, zu bezahlen, was der Anbieter verlangt. Mehr, in erster Linie. Das Verfahren taugt auch dazu, aus Atomstrom, der billig aber seltsamerweise mies angesehen ist, Ökostrom zu zaubern. Der ist cool und das kostet natürlich. Warum? Siehe oben.

Denkverbote

Nur im Plural (Plurale tantum). Meist verwendet in der Konstruktion „darf man sich nicht auferlegen“ und immer als Begründung unseriöser bis hirnrissiger Forderungen. Die D. sind so etwas wie der Präventivschlag der politischen Kommunikation. In dem Wissen, gleich etwas dummes/provozierendes/grob fahrlässiges zu sagen, werden die sich garantiert einstellenden Kritiker prophylaktisch mit der Unterstellung angegriffen, sie würden dem Idioten/Provokateur das Denken verbieten wollen. Das aber hat niemand vor. Getreu dem Hoffmann von Fallerslebenschen Volkslied gilt uneingeschränkt: „Kein Mensch kann sie wissen / kein Jäger erschießen / mit Pulver und Blei: / Die Gedanken sind frei!“ In der Öffentlichkeit Blödsinn zu reden jedoch, ist etwas völlig anderes. Denn wer sich in der Öffentlichkeit bewegt, hat eine Verantwortung für eben diese. Und so darf man beispielsweise in einer überfüllten U-Bahn gerne darüber nachdenken, wie es wäre, laut und lustvoll zu furzen. Das Schwadronieren darüber aber gilt zu Recht bereits als ungehörig. Vgl. auch: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Nee, darf man nicht.

Sicherheitszone

Typisch antiphrastische Bildung, eigentlich Gefahrenzone. Vgl. Orwells klassisches Neusprech-Beispiel: „Krieg ist Frieden …“. Gemeint ist nicht der Bereich relativer Sicherheit, sondern der absoluter Gefahr. Der natürlich nicht so freundlich-beruhigend klingt. Damit ist die Verwendung nicht nur eine Lüge, sondern ein in Kauf nehmen von Opfern. Wer sich wirklich in Sicherheit bringen will, sollte die S. tunlichst verlassen.

Vielen Dank an @ozaed für den Vorschlag.

Augenmaß

SI-Einheit der Politik, suggeriert Genauigkeit. Wenn Politiker vorgeben, mit A. zu entscheiden, klingt es positiv, so als seien sie besonders gründlich und vorsichtig. Das Gegenteil ist der Fall. Nur mit den Augen zu messen, ist fahrlässig. Das Auge kann leicht getrogen werden, noch dazu bei großen Mengen oder komplexer Technik. Damit entlarvt sich das A. als Malapropismus, als unangemessenes Wort – so wie der Quantensprung, der gern für einen großen Sprung verwendet wird, obwohl es doch ein ganz kleiner ist. Als Grundlage für Politik taugt das A. genauso gut wie die Einheiten „aus dem Bauch heraus“ oder „Pi mal Daumen mal Fensterkreuz“. Die vorgetäuschte Genauigkeit aber ist nicht das einzige Problem. Denn jemand, der seine Entscheidungen mit dem A. begründet, sagt vor allem, dass er „nach eigenem Ermessen“ handelt, nach Kriterien also, die er lieber nicht öffentlich zu diskutieren wünscht, die im Zweifel niemanden etwas angehen, schon gar nicht die Wähler.

Vielen Dank an Simon K. und andere für den Vorschlag.

absurd

Adjektiv, üblicherweise verwendet als Beschreibung für Aussagen oder Vorschläge des politischen Gegners oder für Forderungen von Wählern in der Hoffnung, über diese nie wieder reden zu müssen. Tatsächliche Bedeutung:

1. wahr,
2. wahr, aber eine Frechheit, es öffentlich zu sagen/zu fordern,
3. wahr und auch belegbar, jedoch peinlich und daher nichtsdestotrotz eine Frechheit,
4. möglicherweise wahr, aber (glücklicherweise) nicht durch Fakten belegbar und daher eine umso größere Frechheit,
5. notwendig,
6. notwendig, aber teuer und daher politisch nicht vermittelbar, schon gar nicht vor einer Stadtrats-, Landtags-, Bundestags-… vor einer Wahl,
7. notwendig, aber nur gegen Widerstände von Lobbyisten Interessengruppen durchsetzbar, daher politisch heikel und ebenfalls nicht vermittelbar, schon gar nicht vor einer Wahl,
8. tatsächlich Unsinn (selten).

Daher also meist eine Antiphrase oder ein Pejorativum. Vgl. auch abstrus.

Mit Dank an @Promovator für die Idee.