Erderwärmung

Auch Erderhitzung. Technisch korrekt, schließlich wird die Erde wärmer. Allerdings klingt der Begriff angesichts des Ausmaßes der darin liegenden Katastrophe erstaunlich passiv. So als würde die Welt zufälligerweise ganz von allein wärmer, ohne dass irgendwer etwas dafür kann. Dabei gibt es, da ist sich die Wissenschaft einig, klare Verursacher dieses Effektes: Menschen. Mit unseren Handlungen und unserem Lebensstil sind wir Menschen die eigentlichen Erderwärmer. Solche Passivformen können in der Sprache durchaus eine verschleiernde Funktion haben, die aktiv Handelnden verschwinden durch sie aus dem Fokus. Wer will, kann das im Fall der E. natürlich positiv deuten, im Sinne von: Es soll hier nur möglichst sachlich um die Tatsache an sich gehen. Es ließe sich aber auch negativer betrachten. Noch immer gibt es Menschen, die leugnen, dass die → Klimakatastrophe von uns selbst verbockt wurde. Sie leugnen nicht die Erwärmung an sich, sondern ihre Ursachen. Um diese ängstlichen Ignoranten nicht zu verärgern, gibt es Ausdrücke wie E. In der Politik existiert ein stehender Begriff für solches Verhalten gegenüber Aggressoren: Appeasement, zu deutsch Beschwichtigungspolitik.

Siehe auch → Klimawandel und → Klimahysterie.

Mit Dank an Hannes N. und andere.

Doppel-Wumms

Wumms ist (als Variante zum Bumms) ein lautmalerisches Wort (Onomatopoetikum). Solche Wörter sind eher aus Comics bekannt oder werden von Kinder gesagt. In der politischen Rede fanden sie bisher keine Verwendung. Das hat sich geändert. Es begann 2020 mit einem Wumms, der damals noch nicht mal ein Substantiv war. Am 3. Juni 2020 erklärte der damalige Finanzminister Olaf Scholz, er wolle „mit Wumms aus der Krise“ – er meinte die Coronapandemie. Nun gibt es neue Probleme, nämlich die hohen Energiekosten; Scholz, inzwischen Kanzler, will diesen Problemen mit dem D. begegnen. Nicht nur er ist also befördert worden, sondern auch der Wumms, der jetzt sprachlich verstärkt und ein vollwertiges Substantiv ist, auch wenn nicht ganz klar wird, ob es Maskulinum oder Neutrum ist, zeitgemäß genusdivers also. Die Steigerung mit dem Erstglied (Präfixoid) Doppel- ist eigentlich eine Idee aus George Orwells 1984. Aber vielleicht ist auch der D. doppel-plus-gut.

Siehe auch →Abwehrschirm.

Fortschrittslücke

Wenn eine Regierung jahrelang an etwas arbeitet, sogar eine eigene Bundeseinrichtung und eine Kontrollbehörde dafür eingerichtet hat, es aber trotzdem kein Resultat gibt, dann benötigt sie offenbar Neusprech, um dieses Versagen zu kaschieren. Im Fall der F. geht es um die bislang vergebliche Suche nach einem möglichst sicheren Lager für radioaktive Abfälle, einem sogenannten Endlager. Um es zu finden, wurde eigens die Bundesgesellschaft für Endlagerung gegründet und dazu als Kontrollbehörde das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung geschaffen. Letztere liefert dann auch den nötigen Neusprech. Die F.  des Bundesamtes will ausdrücken, dass bei der Suche nach einem Endlager der entscheidende Fortschritt ausgeblieben ist, nämlich eines zu finden, oder auch nur einen möglichen Lagerort zu identifizieren. Bundesgesellschaft und Bundesamt haben also das, wofür sie gegründet wurden, nicht getan. Das als Lücke im Fortschritt zu bezeichnen und also kleinzureden, ist dreist. Verantwortlich dafür ist aber vor allem die Regierung, hat sie als Gesetzgeber doch festgelegt, dass dieser Fortschritt bis zum Jahr 2031 Zeit hat und das Lager selbst sogar erst ab 2050 genutzt werden soll. Je länger dieser Fortschritt ausbleibt und je größer diese Lücke wird, desto weniger Zeit bleibt am Ende aber für die Beteiligung der von dem Atommüll-Lager betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Vielleicht ist die F. daher ja sogar im Interesse der Regierung.

Vor allem aber ist sie ein Beispiel dafür, wie gern die Lücke in der politischen Sprache genutzt wird, um zu suggerieren, dass sich Probleme schnell lösen lassen. Wir hatten schon zu tun mit: → Schutzlücke, der → Sicherheitslücke und zahlreichen → Fähigkeitslücken (I, II, III) – neuerdings auch mit der Winterlücke bei der „Energiepreispauschale“.

NEUSPRECHFUNK 17

Das kommt sicher unerwartet: Wir haben uns im März endlich wieder zu einem Neusprechfunk zusammengesetzt. Nach unserem bisher besten Jahr, als nämlich 2018 eine ganze Serie von Podcasts erschien, bleibt zwar eine Lücke, aber wir hoffen, dass wir noch nicht aus allen Feed-Readern geflogen sind.

Der aktuelle Podcast ist die Nummer 17 in unserer Reihe. Er ist natürlich auch wieder als ogg-Version verfügbar.

Nach vier Jahren Pause reden wir erst einmal darüber, was wir im Neusprechfunk™ eigentlich so wollen und tun. Und darüber, was wir in der Vergangenheit so getan haben. Unter anderem ein Buch geschrieben. Das ist zwar nun auch schon wieder elf Jahre her, aber es ist immernoch lieferbar. Wer möchte, gern hier entlang.

Wir raten außerdem, wer mit den Intermediären gemeint ist, einer Wortneuschöpfung, die im Medienstaatsvertrag als neue Kategorie eingeführt wurde.

Eines unserer Themen ist die Verkehrspolitik des aktuell dafür zuständigen Ministers, Volker Wissing von der FDP – und natürlich ihre sprachliche Vernebelung. Er fordert beispielsweise Technologieoffenheit, also Offenheit für jedwede Technologie. Allerdings meint er damit keine neuen und vielleicht viel besseren Ideen zur Fortbewegung. Er will mit diesem Argument vielmehr die sehr alte Technik des Verbrennungsmotors verteidigen, damit sie nicht verboten wird, wie es die EU gern täte.

Da das angesichts der umweltzerstörenden Wirkung dieser Motoren nicht mehr so gut ankommt, möchte Wissing sogenannte E-Fuels verbrannt wissen. Auch wenn das energetisch ziemlich ineffizient ist. Wir beschäftigen uns mit dem Unsinn sprachlich, am Rande aber auch ein wenig technisch.

Dabei taucht mal wieder einer unserer liebsten Neusprechbegriffe auf, nämlich der angeblich lebende und fordernde →Markt. Hier soll dieser dem Minister sogar etwas abnehmen, eine Entscheidung. Die will Wissing nicht selber treffen, sondern lieber abwarten, was sich „dann am Markt durchsetzt“. Wozu es Entscheider wie Wissing braucht, wenn der Markt das doch alles selber kann, das weiß der Fuchs. Die zitierten Zitate des Markt-Verkehrs-Ministers finden sich übrigens hier beim Deutschlandfunk.

Wegen der doch recht langen Zeit, die seit dem letzten Podcast vergangen ist, und weil wir ohnehin eine Schwäche für den Zeitgeist haben, werfen wir einen Blick zurück auf die Wörter des Jahres 2020. Dabei fiel uns auf: Wir sind systemrelevant.

Wir sprachen außerdem über:

Hier ist der Podcast als mp3.

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Zugdichte, hohe

Ohne Weichen und Nebengleise ist es für Züge schwierig, sich zu überholen. Und so kommt es auch im Schienenverkehr zu Staus. Wenn ein Zug dann im Stau steht, muss das den Fahrgästen natürlich schonend beigebracht werden. Früher war dann in den Durchsagen die Rede von „Verzögerungen im Betriebsablauf“. Das passt zwar oft, ist aber wenig informativ, denn die Verzögerung bemerken die Reisenden problemlos selbst. Die pleonastische Pluralform soll dabei trotz der Inhaltsaleere noch weiter abschwächend wirken (siehe auch →geänderte Fahrzeiten). Das von der Bahn erbetene Verständnis kann aber nur durch weitere Erklärungen hergestellt werden. So wird bei einem solchen Zugstau gern davon gesprochen, dass das vorausliegende Gleis durch einen anderen Zug belegt sei. Positiver klingt es allerdings, wenn in diesem Zusammenhang von einer hohen Z. die Rede ist – viele Züge auf wenig Raum also. Damit aber werden falsche Hoffnungen geweckt. Denn eigentlich sollte eine hohe Z. ja dazu führen, dass die Fahrgäste an den Bahnhöfen nicht lange warten müssen, weil viele Züge schnell aufeinander folgen. Hier jedoch geschieht das Gegenteil. Die Fahrgäste kommen nur langsam oder gar nicht mehr voran, weil dicht vor dem Zug ein anderer fährt oder – oft genug – steht. Ein klassischer Euphemismus somit.