Kampf, kultureller

Im Gespräch mit dem „Spiegel“ forderte Sigmar Gabriel:

„Wenn wir den Kampf gegen den Islamismus und den Terrorismus ernst meinen, dann muss es auch ein kultureller Kampf werden“

Offenbar meint er damit, dass nicht nur Polizei und Militär etwas gegen Islamismus und Terrorismus tun sollen, sondern alle – wobei Gabriel unfairerweise offen lässt, wer eigentlich mit → wir gemeint ist und ob das → wir hier bestimmte Bevölkerungsteile ausschließt oder einschließt.

Gabriels kultureller K. erinnert damit zum einen an den „Kulturkampf“ des 19. Jahrhunderts, der vor allem eine ideologisch-politische Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der katholischen Kirche war, beziehungsweise zwischen liberalen und konservativen Politikern. Wahrscheinlich meint Gabriel auch diesen ideologisch-politischen Aspekt, wenn er vom „Zusammenhalt der Gesellschaft“ spricht.

Sein K. erinnert aber vor allem an Samuel P. Huntingtons Buch „Kampf der Kulturen“ (Originaltitel: Clash of Cultures) von 1996, in dem Huntington von neuen Machtblöcken in der Welt spricht, die kulturell definiert sind und sich angeblich unversöhnlich gegenüberstehen, insbesondere der westliche, der islamische und der chinesische Kulturblock. Huntingtons Thesen sind umstritten, dient Religion doch vielen Aggressoren nur dazu, ihre wahren Ziele wie Einfluss, Macht oder Geld, zu verstecken. Auch ist Terrorismus ein Angriff auf die Werte aller Menschen und damit in erster Linie ein Verbrechen, das alle betrifft, egal welcher Religion sie anhängen.

In diesem Sinn ist Gabriels K. eine gefährliche Verschleierung der tatsächlichen Probleme, wenn zu seinem Konzept gehört, dass der Staat Moscheen verbieten soll, wie Gabriel es fordert. Es ist wichtig, jenen Einhalt zu gebieten, die Volksverhetzung predigen oder zu Gewalt aufrufen; aber das Verbot von Moscheen scheitert hoffentlich an der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit. Dieses Grundrecht soll dafür sorgen, dass niemand diskriminiert wird, auch kein Moslem.

Dazu ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Regierungssprecher twitterte:

Merkel sei „überzeugt, dass auch der notwendige entschlossene Kampf gegen den Terrorismus es nicht rechtfertigt, Menschen einer bestimmten Herkunft oder eines bestimmten Glaubens unter Generalverdacht zu stellen“.

Fakten, alternative

Von Fakten spricht man im Deutschen meist im Plural. Das Wort kommt vom lateinischen Partizip factum ‘getan, geschehen’ und Realität setzt sich eben aus vielen Fakten zusammen. Natürlich wählt jeder – auch Politiker und Journalisten – aus der Unzahl von Fakten aus, wenn er eine Geschichte erzählt. Niemand könnte alle Fakten verarbeiten, daher sind menschliche Wahrnehmungsorgane und menschliche Gehirne vor allem Filter, die nach den für sie relevanten Informationen suchen.

Und natürlich ist es problemlos möglich, durch die Auswahl einzelner Fakten oder durch das Weglassen bestimmter Fakten zu täuschen. Dafür wird im Englischen seit einiger Zeit das Wort „paltering“ verwendet, wofür es noch keine wirklich gute deutsche Entsprechung gibt. Durch „paltering“ getäuscht zu werden, hat denselben Effekt wie belogen zu werden.

Darum aber geht es bei den alternativen F. nicht, auch wenn der Begriff genau das gerne nahelegen würde. US-Präsidenten Donald Trump hatte für jeden offen sichtbare Fakten geleugnet. Sein Pressesprecher Sean Spicer bezeichnete anschließend jeden, der auf diese Fehler hinwies, als Lügner. Und Kellyanne Conway, Beraterin Trumps, behauptete dann zur Rechtfertigung, Trump habe alternative F. genutzt.

Hat er nicht. Er hat gelogen und die Realität geleugnet. Der Unterschied zwischen der Auswahl einzelner Punkte aus einer Menge von Fakten und der bewussten Leugnung aller Fakten ist für manche Menschen offenbar so klein, dass sie ihn nicht mehr wahrnehmen. Nur so ist es erklärlich, wie jemand ganz im Sinne Orwells eine Lüge als alternative F. bezeichnen kann. Nur für den, der Unwissen und Ignoranz für Stärke hält, werden Lügen zu alternativen F.

Fußfessel, elektronische

Die elektronische F. ist oberhalb des Fußes – eigentlich ans Bein – ‚gefesselt‘, aber wer sich davon erhofft, dass sie auch Übeltäter (oder → Gefährder) fesselt, der wird von dem Begriff getäuscht. Die F. ist ein Überwachungsgerät, das einen Alarm verschickt, wenn der so Markierte einen vorher definierten Bereich verlässt oder die F. ablegt. Sie erleichtert es, die Bewegungen des auf diese Weise Überwachten zu kontrollieren. Doch hilft sie nicht dabei, zu erfahren, was derjenige plant und tut, unterbinden kann sie gleich gar nichts. Wenn der Beobachtete die F. entfernt und flieht, um vielleicht irgendwo einen Anschlag zu begehen, wird die Polizei zwar schnell informiert, dass er sich regelwidrig verhält und verschwunden ist. Aber weder die Flucht noch der Anschlag werden durch die F. verhindert. Die F. als “Konsequenz” aus einem Terroranschlag und als Mittel gegen künftige Anschläge zu propagieren, nennt man daher auch Symbolpolitik.

Die Sprache der Populisten

Vermeintliche „Gewissheiten“, die sich bei näherer Betrachtung als Unsinn, ja als Lüge entlarven, sind das wichtigste Mittel der Rechtspopulisten. Mit Hilfe der Sprache versuchen sie, diese Lügen zu tarnen, um sie als faktenbasiert oder wenigstens als akzeptabel erscheinen zu lassen. Auf dem 33. Chaos Communication Congress zeigte Neusprech-Autor Martin Haase die Mechanismen auf, die populistische Sprache charakterisieren.

Die FAZ-Autorin Andrea Diener zieht über den Vortrag folgendes Fazit:

„Die Umdeutung, Verbiegung und Verharmlosung von Begriffen, wie sie der Populismus betreibt, verfolgt ein Ziel, das man sich nicht zu eigen machen soll. Und wenn man mit Populisten redet, solle man sich klar machen, dass man mitunter nicht auf der gleichen semantischen Grundlage argumentiert. Da helfe nur nachfragen, […]: Was genau ist denn Ihre Wahrheit? Was verstehen sie darunter?“

Und hier noch ein Tipp aus Haases Vortrag, wie sich solche Lügen enttarnen lassen: „Ich bin gefragt worden vor einiger Zeit, wie man eigentlich Fake News erkennt. Naja, die Rechtschreibfehler sind ein guter Hinweis.“

„Das Ziel muss größtmögliche Sicherheit sein. Dem sollte alles untergeordnet werden.“

Sicherheit, Sicherheit über alles, über alles in der Welt. Dieses Lied singen konservative Politiker gern, da ihre Wähler im Rentenalter es gern hören. Gerda Hasselfeldt, 66 Jahre alt und Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, singt es derzeit nahezu wörtlich. „Das Ziel muss größtmögliche Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger sein. Dem sollte alles untergeordnet werden“, sagte sie der Zeitung Passauer Neue Presse.

Ja, der Staat sollte alles in seiner Macht stehende tun, damit seine Bürger sicher leben können. So steht es sinngemäß in Artikel zwei des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Aber diese Macht ist nicht grenzenlos und darf es nicht sein. Denn dieses Recht steht nicht über allen anderen, auch wenn ein Unionspolitiker behauptete, Sicherheit sei ein → Supergrundrecht.

Damit der Staat in seinem Handeln nicht zu weit geht, gibt es viele andere Grundrechte, an die er gebunden ist: Er muss sich an Gesetze halten, er muss Freiheiten gewähren, er muss sich und seine Mittel beschränken. Diese Grundrechte sollen verhindern, dass der Staat in seinem Versuch, Sicherheit zu gewährleisten, zu einem Polizei- oder gar zu einem Überwachungsstaat wird, der seine Bürger zu Geiseln und Gefangenen macht. Denn in einem solchen Staat müssten sich die Bewohner vor den Terroristen und vor der Willkür der Polizei fürchten. Wer alles der Sicherheit unterordnen will, zerstört diese Freiheitsrechte und damit den Rechtsstaat.

Dazu ein Zitat des früheren Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier:

„Der Sicherheitszweck des Staates, der mit seinem Gewaltmonopol Frieden und Sicherheit zu gewährleisten hat, darf aber auch nicht gegen den liberalen, staatsbegrenzenden und freiheitsverbürgenden Zweck des Rechtsstaats ausgespielt werden. Das gilt umgekehrt selbstverständlich genauso. Ein Rechtsstaatsverständnis, das einseitig von der Gewährleistung der Sicherheit des Bürgers und nicht zugleich von der Staatsabwehrdoktrin beherrscht wird, gibt den Rechtsstaat selbst preis.“