Hinweis, ernstzunehmender

Anlässlich des Champion-League-Finales sprach BKA-Präsident Jörg Ziercke von einem „ernstzunehmenden Hinweis“ auf ein möglicherweise geplantes Attentat. Dabei stellt sich die Frage, ob das BKA Hinweise auf Anschläge oder Terroristen auch mal nicht ernst nimmt. Aber wir schweifen ab. Worum es eigentlich ging, erläuterte Innenminister Hans-Peter Friedrich:

„Deutschland steht seit Längerem im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus. Es gibt derzeit keine Hinweise auf Anschlagspläne oder Anschlagsziele in Deutschland … Soweit Hinweise auf Personen vorliegen, die als Gefährder in Betracht kommen, werden diese Hinweise wie immer sehr ernst genommen.“

Das ist wohl der Versuch einer nicht entwarnenden Entwarnung: Hinweise auf Anschläge gab es keine. Aber bevor jetzt jemand denkt, Sicherheits– Überwachungsmaßnahmen seien entbehrlich, wird hinzugefügt, es gebe → Gefährder, die ja immer irgendwo zu finden sind und alles werde natürlich sehr ernst genommen, sei also auch ernst. Es bleibt, heißt das, noch genug zu tun für die „Sicherheitskräfte“.

Neusprech-Top-Ten des Jahres 2013

Die am meisten gelesenen Begriffe im Neusprechblog 2013 waren:

1. Supergrundrecht
2. Freizügigkeitsmissbrauch
3. Protestwähler
4. Extremnutzer
5. Experte
6. Arbeitgeber
7. Niedriglohnsektor
8. beschäftigt, geringfügig
9. Exzellenzinitiative
10. Cyber-Außenpolitik

Siehe auch die zehn Neusprechvokabeln 2012. Aufgelistet sind nur die neuen Begriffe des jeweiligen Jahres. Der Ausdruck alternativlos erscheint daher nicht, obwohl er bisher jedes Jahr einen der vorderen Plätze belegte.

Bei der Wahl zum Unwort des Jahres war das Supergrundrecht am häufigsten eingesandt worden. Gewählt wurde von der Jury der Ausdruck Sozialtourismus.

Trennbank

Politik kann versuchen, Probleme zu lösen. Das dauert gern Jahrzehnte. Der beliebtere, weil schnellere Weg ist daher, Probleme irgendwo anders hin zu schieben. Die T. verschiebt ein Problem in der Hoffnung, dass es dort nicht mehr so unangenehm auffällt. Das „Gesetz zur Abschirmung von Risiken und zur Planung der Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Finanzgruppen (RiskAbschG)“ wurde 2013 verabschiedet und ist am 31. Januar 2014 endgültig in Kraft getreten. Es fordert, dass Banken ab einer gewissen Größe ihr Investmentgeschäft ihre Zockerabteilungen ausgliedern müssen. Den Teil also, der besonders hohe Risiken eingeht und damit wenigen Menschen große Gewinne verschafft, der jedoch gern auch mal Unsummen vernichtet. Das gesparte Geld der normalen Kunden soll damit sicher sein, da es von der Bank nicht mehr verwendet werden kann, um die Verluste der Börsenwetten in der Bilanz auszugleichen. Nur leider wird damit das Zocken nicht begrenzt oder gar untersagt, es wird lediglich in einen eigenen Bereich verlagert. Dealen ist übel, na gut, dann verkaufen wir das Kokain nicht mehr in der Apotheke selbst, sondern eben auf der Straße … Kann man machen. Nutzt aber nicht viel. Lehman Brothers war eine reine Investmentbank, normale Sparer gab es dort nicht. Nach dem neuen Modell wäre sie eine T., weil getrennt vom Geldverleihgeschäft. Aber was nützt das, wenn die Spekulationssummen so riesig sind, dass sie ganze Volkswirtschaften ruinieren? Es wird suggeriert, die Spareinlagen seien sicher. Mag sein, die Steuern sind es aber nicht. Und mit denen werden die Verluste der Zocker auch weiter bezahlt. Das zumindest hat die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Dort steht, eine „direkte Bankenrekapitalisierung“ könne „als letztes Instrument einer Haftungskaskade infrage kommen“. Bankenrekapitalisierung? Da war doch was. Die Wortschöpfung T. ist Neusprech für Zockerinstitute, eine potenzielle Vorstufe der → Bad Bank und hilft beim Verringern von Risiken genauso viel wie Trennkost beim Abnehmen. Siehe auch → Bankenabgabe.

bekennen, sich

In politischen Texten wie zum Beispiel in Koalitionsverträgen, grassiert derzeit ein ungewöhnlich verwendetes Verb: sich zu etwas b. Das hat etwas Religiöses, denn in der Regel bekennt sich jemand zu einem Glauben. Gelegentlich kann sich jemand auch zu einem Verbrechen oder einer Farbe b., immer aber hat ein solches Bekenntnis mehr oder weniger unangenehme Folgen, sonst ist es keines: Denn es geht darum, zu zeigen, wer oder was man wirklich ist, also die Wahrheit zu sagen und daraus entstehende Nachteile in Kauf zu nehmen. Wer sich zu einer Religion bekennt, kann als Märtyrer oder im günstigeren Fall als Kirchensteuerzahler enden, wer sich zu einem Verbrechen bekennt, muss für gewöhnlich ins Gefängnis, und wer Farbe bekennt, muss sagen, was er denkt. In der Politik ist es allerdings – wie so oft – anders: Dort hat ein Bekenntnis keine Folgen. Es ist nur ein Synonym für: „finden wir auch irgendwie gut“. Sprachwissenschaftlich heißt das Phänomen: „bleaching“, also ‚Ausbleichung‘. Eine ursprünglich expressive Bedeutung wie eben das religiöse Bekenntnis mit anschließend möglichem Martyrium wird zu einer bedeutungslosen Floskel, klingt toll, heißt aber wenig.

Ersatz

Das Deutsche ist nicht sehr erfolgreich damit, Fremdwörter in andere Sprachen zu exportieren. Ein Begriff jedoch hat es weit gebracht, ausgerechnet einer aus einer auch sprachlich armen Zeit: der E. Er schaffte es unter anderem ins Französische, Englische, Spanische, Portugiesische, Russische und ins Ukrainische. Deutschland selbst wurde in dieser Zeit immer reicher und zumindest das Ersatzlebensmittel kam hierzulande aus der Mode. Doch neuerdings wird der E. auch hier wieder gern genommen, zumindest im Bahnsprech: Berlinern dürfte der Schienenersatzverkehr ein leidvoller Begriff sein, der eine nicht ganz korrekte Bezeichnung ist. Denn nicht die Schienen werden ersetzt, sondern der Schienenverkehr, der auf die Straße verlagert wird. Noch irrer treibt es die Deutsche Bahn im Fernverkehr: Dort fahren so genannte E.-züge, die – und jetzt kommt’s – gar keine Züge ersetzen. Der E.-Zug fährt zu einer Zeit, zu der sonst gar nichts führe: Die Bahn hat nämlich zu wenig rollendes Material: Weil sie zu wenig bestellte, noch weniger geliefert wurde und das auch noch verzögert. Um die Lücken im Fahrplan zu füllen, fahren nun alte, sehr viel schlechtere Züge. Ersetzt wird dabei nichts, da dort vorher nichts existierte. Der E. gaukelt vor, die Bahn sei eigentlich prima ausgestattet und habe nur gerade jetzt ein kleines Problem. Dabei ist das Problem viel größer und sicher nicht so bald behoben.