Datenklau

Dass Daten nicht gestohlen werden, wenn jemand sie lediglich kopiert, haben wir schon unter → Raubkopie dargelegt. Totzukriegen ist das irrige Bild leider nicht und taucht derzeit in anderen Zusammenhängen wieder auf: Wenn „Cyberkriminelle“ E-Mail-Konten „knacken“, also die Zugangsdaten an sich bringen, heißt das jetzt D. Auch wenn es um die NSA geht, ist gern von D. die Rede. Das klingt griffig, denn es handelt sich um Umgangssprache. Umgangssprache kann sich Ungenauigkeiten leisten, Medien und Politik sollten damit vorsichtiger sein. In Bezug auf Daten wäre es nicht schlecht, komplett auf die Diebstahlmetapher zu verzichten, wenn die Daten vorher wie nachher noch vorhanden sind. Und wenn es eigentlich um etwas anderes geht: um den Verlust von Privatsphäre. Denn die wird eindeutig kleiner, wenn der Kreis derer, die etwas über einen wissen, wächst.

Gefahrenlage, abstrakte

Unter Lage werden die Umstände verstanden, in denen sich jemand oder etwas befindet. Wenn Innenminister von einer G. reden, befinden wir uns dann alle in einer Gefahr? Und wenn ja, warum sagen die das dann nicht? Wollen sie eine Assoziation mit der militärischen Lage, mit einem Lagebericht, einer Lagebesprechung und so weiter herstellen? Wollen sie eine gar nicht so bedrohliche Situation aufbauschen? Oder eine bedrohliche herunterspielen? Wir wissen es leider nicht. Wir wissen nur, dass in der politischen Sprache mit der Gefahr viel Schindluder getrieben wird. Da wird beispielsweise unterschieden zwischen einer „konkreten Gefahr“, bei der die Sicherheitskräfte wissen, was auf sie zukommt, und einer „abstrakten Gefahr“, bei der eigentlich keiner weiß, was passieren wird, ja, ob überhaupt eine Gefahr besteht oder nur ein → Gefahrenpotenzial. Da werden → Gefahrengebiete ausgerufen, um Grundrechte einschränken zu können und von → Gefahrenerforschung gesprochen, wenn es doch um Überwachung geht. Im Umkehrschluss gilt daher, dass man ruhig schlafen kann, solange Politiker den Ausdruck Gefahr mit irgendwelchen Zusätzen vermauscheln, da dann ganz bestimmt keine droht. Sie wollen nur sagen, dass alles in Ordnung ist, dabei aber verhindern, dass sich alle gleich entspannen. Denn so ganz ohne warnenden Unterton macht die → Innere Sicherheit einfach keinen Spaß. Behaupten Politiker jedoch, dass keine Gefahr bestehe, zum Beispiel bei Atomkraft, sind sofortige Sorgen angebracht. Siehe auch: → abstrakt hoch und → Sicherheitszone.

Vorsorgespeicherung, private

Mit schönen Worten lässt sich viel Hässliches verbergen. Zumindest für eine Weile, ganz so blöd sind die Leute ja dann doch nicht. Was nicht bedeutet, dass nicht trotzdem immer wieder einer probiert, sie für dumm zu verkaufen. Schon die → Vorratsdatenspeicherung war ein Versuch, das Ausspähen aller Bürger zu beschönigen. Der klang nicht schlecht, hielt aber nicht lange. Dann nannten es die Befürworter → Mindestspeicherdauer, damit die anlasslose Überwachung – beschränkt auf das angeblich mindeste – nicht so schrecklich klingt. Offensichtlich wollte es trotzdem niemand glauben. Nun erfand der CSU-Politiker Volker Ullrich eine weitere Variation der Behauptung, Totalüberwachung sei gut. Im Bundestag sagte er (PDF, Seite 46): „Da wir gerade über Begriffe sprechen: ,Vorratsdatenspeicherung‘ ist nicht der richtige Begriff. Wir sollten lieber von einer privaten V. sprechen, darüber, dass die Strafverfolgungsbehörden damit, mit wenigen Ausnahmen, die gleiche Handhabe wie die Feinde unserer Freiheit haben.“ Klingt gut, oder? So wie eine Vorsorgeuntersuchung, um Krankheiten vorzubeugen, noch dazu eine private, die mit dem neugierigen Staat gar nichts zu tun hat. Netter Versuch, aber langsam wird es peinlich.

Mit Dank an Sven S. und Oliver für die Einsendung.

Hinweis, ernstzunehmender

Anlässlich des Champion-League-Finales sprach BKA-Präsident Jörg Ziercke von einem „ernstzunehmenden Hinweis“ auf ein möglicherweise geplantes Attentat. Dabei stellt sich die Frage, ob das BKA Hinweise auf Anschläge oder Terroristen auch mal nicht ernst nimmt. Aber wir schweifen ab. Worum es eigentlich ging, erläuterte Innenminister Hans-Peter Friedrich:

„Deutschland steht seit Längerem im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus. Es gibt derzeit keine Hinweise auf Anschlagspläne oder Anschlagsziele in Deutschland … Soweit Hinweise auf Personen vorliegen, die als Gefährder in Betracht kommen, werden diese Hinweise wie immer sehr ernst genommen.“

Das ist wohl der Versuch einer nicht entwarnenden Entwarnung: Hinweise auf Anschläge gab es keine. Aber bevor jetzt jemand denkt, Sicherheits– Überwachungsmaßnahmen seien entbehrlich, wird hinzugefügt, es gebe → Gefährder, die ja immer irgendwo zu finden sind und alles werde natürlich sehr ernst genommen, sei also auch ernst. Es bleibt, heißt das, noch genug zu tun für die „Sicherheitskräfte“.

Neusprech-Top-Ten des Jahres 2013

Die am meisten gelesenen Begriffe im Neusprechblog 2013 waren:

1. Supergrundrecht
2. Freizügigkeitsmissbrauch
3. Protestwähler
4. Extremnutzer
5. Experte
6. Arbeitgeber
7. Niedriglohnsektor
8. beschäftigt, geringfügig
9. Exzellenzinitiative
10. Cyber-Außenpolitik

Siehe auch die zehn Neusprechvokabeln 2012. Aufgelistet sind nur die neuen Begriffe des jeweiligen Jahres. Der Ausdruck alternativlos erscheint daher nicht, obwohl er bisher jedes Jahr einen der vorderen Plätze belegte.

Bei der Wahl zum Unwort des Jahres war das Supergrundrecht am häufigsten eingesandt worden. Gewählt wurde von der Jury der Ausdruck Sozialtourismus.