Verbunddatei (Rechtsextremismus)

Die V. ist Neusprech, das Wort gab es bis vor kurzem nicht. Allerdings entspricht es nicht den üblichen Nebel- und Schleierkategorien. Datei ist ein Kofferwort aus ,Daten‘ und ,Kartei‘, um eine Sammlung zusammengehörender digitaler Daten zu beschreiben. Verbund immerhin gibt einen zarten Hinweis auf die Struktur der Angelegenheit und deutet an, dass hier etwas verknüpft wird. Eine Datei also, die aus verschiedenen Daten besteht? Eigentlich gibt es ein eingeführtes Wort dafür, es lautet Datenbank. Doch das war möglicherweise zu eindeutig, obwohl es ganz gut passen würde. Denn soviel sich aus den Äußerungen der beteiligten Politiker und aus dem Gesetzentwurf rekonstruieren lässt, entsteht eine V., indem in Datenbeständen diverser staatlicher Stellen nicht näher bezeichnete Informationen gesucht werden, die auf rechtsextreme Gefährder hindeuten. Diese Informationen werden samt den Namen der Betreffenden und ihrer „Kontaktpersonen“ in einer „gemeinsamen standardisierten zentralen Datei“ gespeichert, wie das Innenministerium sie nennt, also in einer neuen Datenbank. Die V. ist somit eine Sammlung einer unbekannten Menge an Informationen über eine unbekannte Anzahl an Menschen. Um nun von einer Beschreibung wie, sagen wir, „behördenübergreifende Datenbank mit fragwürdiger datenschutzrechtlicher Legitimation zur Speicherung persönlicher Informationen zur Identifizierung rechtsradikal motivierter Straftaten“ auf einen Begriff wie V. zu kommen, muss man schon ordentlich steif sein.

Aber der Wunsch nach Verschleierung war wohl nicht Ursache der seltsamen Namensgebung. Eher der Versuch, das Ding irgendwie knackig zu benennen. Amerikanische Behörden behelfen sich in solchen Fällen mit mehr oder weniger witzigen Abkürzungen, meist aus den Anfangsbuchstaben der die Sache beschreibenden Worte. Wir erfinden hierzulande lieber neue Komposita. Es scheint eine gewisse Lust daran zu existieren, mit Worten um sich zu werfen, die der Allgemeinheit nicht vertraut sind. Die sind dann eben mal mehr und mal weniger gut gelungen. In diesem Fall Letzteres. Denn V. ist einfach nur Stümperdeutsch. Es erklärt nichts. Die Idee dahinter kann man natürlich trotzdem gut finden. Man kann sich aber auch fragen, ob da nicht eine Verdächtigendatenbank entsteht, die nach geheimen Kriterien sortiert ist und für einen unklaren Zweck gebaut wurde. Vgl. Antiterrordatei.

Herzlichen Dank an Jens G. für die fachliche Beratung.

Intensivtäter

Im American Football gibt es eine sogenannte Two-Minute-Warning: Der Schiedsrichter weist zwei Minuten vor dem Abpfiff darauf hin, dass das Ende des Spiels gleich erreicht ist. In politischen Reden gibt es eine solche Warnung leider nicht, dabei wäre sie bei dem I. durchaus angebracht. Denn die Wortkonstruktionen mit ,Täter‘ haben damit nahezu das Ende ihrer möglichen Steigerungen erreicht. Aus dem stinknormalen Täter wurde dabei zunächst ein Rückfalltäter. Der Ausdruck lässt noch offen, wie oft der Betreffende rückfällig geworden ist, ein Rückfalltäter ist er wohl ab dem ersten Rückfall. Die nächste Stufe, der Wiederholungstäter, geht da schon weiter und weist auf eine gewisse Regelmäßigkeit hin. Doch scheint auch dieser Begriff noch nicht genug Bedrohungspotenzial zu besitzen, daher haben sich Polizisten und Politiker den I. ausgedacht. Der ist demnach also ein Krimineller, der etwas nicht nur regelmäßig, sondern auch noch sehr häufig wiederholt. Oder sehr gründlich? Oder besonders eindringlich? Auch das kann intensiv schließlich heißen. Wir wissen es nicht, denn das Erstglied intensiv steigert hier quantitativ und qualitativ. Was wir wissen ist, dass sich der Täter auf diese Art nur noch ein Mal steigern lässt, zum Intensivsttäter. Danach ist Schluss und diejenigen, die dramatische Ausdrücke für Kriminalität suchen, müssen sich nach einer neuen Hyperbel umsehen.

Funkzellenabfrage

Technisch korrekter Begriff, trifft jedoch nicht annähernd den Kern der Sache. Sprachlich ist es eine Metonymie, eine Bedeutungsverschiebung. Schließlich geht es nicht vorrangig um die Abfrage, sondern vor allem um die Auswertung der Daten. Angesichts des tiefen Eingriffs in die Privatsphäre, den diese sogenannte verdeckte, also heimliche Fahndungsmethode der Polizei bedeutet, ist die Beschreibung sogar grob irreführend, somit ein Technizismus. Bei der F. werden auf Betreiben der Polizei sämtliche Verbindungsdaten einer spezifischen Funkzelle abgefragt und ausgewertet. So wird die Telefonnummer jedes Mobiltelefons ermittelt, das zu diesem Zeitpunkt an dieser Funkzelle angemeldet war – letztlich also der Standort seines Besitzers. Das Verfahren kann beispielsweise bei Demonstrationen pro Abfrage tausende unschuldige und unverdächtige Menschen betreffen, die damit in den Fokus einer Ermittlung geraten. Es bedeutet daher mindestens eine Rasterfahndung. Üblicherweise werden viele Funkzellen zu vielen verschiedenen Zeitpunkten abgefragt, was sogar einer Großraumüberwachung gleichkommt. Mit den Daten lassen sich außerdem die Bewegungen einzelner Personen nachvollziehen und sogenannte Bewegungsprofile erstellen. Und es kann aufgeklärt werden, wer mit wem wie häufig und von wo aus kommuniziert. Die F. entspricht daher in ihrer Wirkung fast der bislang nicht zugelassenen Vorratsdatenspeicherung.

Gefahrenerforschung, erweiterte

Nicht zu verwechseln mit Sicherheitsforschung. Die G. ist eine österreichische Wortschöpfung und wird dort synonym verwendet für verdachtsunabhängige Überwachung. Es handelt sich also um einen Austriazismus. Der es im Übrigen in sich hat. Eine Gefahr ist eine mehr oder weniger abstrakte Bedrohung. Sie ist ein Zustand, der noch nicht eingetreten ist. Die G. entfernt sich noch etwas weiter vom Tatsächlichen und geht noch einen Schritt in Richtung des Möglichen. Sie soll dazu dienen, mögliche Gefahren überhaupt erst zu entdecken. Eigentlich darf die Polizei nicht ohne Anlass ermitteln, sie braucht einen konkreten Verdacht, bevor sie etwas gegen Bürger unternehmen kann. Leider gilt dieser rechtsstaatliche Schutz vor willkürlichen Ermittlungen vielen Politikern inzwischen als überholt. Offenbar haben sie dabei aber wenigstens ein schlechtes Gewissen. Warum sonst sollten sie sich bemüßigt fühlen, diese Verdächtigung aller Wähler Menschen sprachlich zu verbergen? So findet bei der G. eine Erforschung statt, die an wissenschaftliche Neugier und Forscherdrang denken lässt und nicht an Polizisten, die in die Privatsphäre Unschuldiger eindringen. Ein treffenderer Ausdruck wäre Rasterfahndung. Nur der Vollständigkeit halber: Das erweitert in dieser Konstruktion übrigens bedeutet, dass das entsprechende Gesetz nicht mehr nur gegen sogenannte kriminelle Vereinigungen von mindestens drei Personen angewendet werden kann. Nun dürfen auch Einzelpersonen ausgespäht werden. Die Erweiterung liegt also darin, dass es nun möglich ist, gegen jeden ohne Anlass zu ermitteln. Vgl. das deutsche Pendant Gefährder, also jemand, der noch nichts getan hat und der somit unschuldig ist, beziehungsweise seine Erweiterung, der potenzielle Gefährder: aka Jedermann.

Verfassungsschutz

Staatliche Einrichtung, deren Aufgabe es ist, wie es im zuständigen Gesetz heißt, Informationen über Bestrebungen zu sammeln, die sich gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ richten. Der V. soll also dafür sorgen, dass hierzulande niemand Verschwörungen mit dem Ziel plant, unsere im Grundgesetz verankerten Rechte abzuschaffen. Davon gibt es eine ganze Menge. Das Brief- und das Postgeheimnis etwa, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Rede- und Demonstrationsfreiheit, das Vertrauen in die Sicherheit von Computern – nur um ein paar Beispiele zu nennen. Im Prinzip eine tolle Idee. Leider kann der V. das offensichtlich nur, indem er heimlich Briefe und Mails liest, Telefonate belauscht, in Wohnungen einbricht, beobachtet, wer wofür demonstriert und Computer verwanzt. Nur um ein paar Beispiele zu nennen. Aber schließlich können Verfassungsschützer ja „nicht ständig das Grundgesetz unter dem Arm tragen“, wie der damalige Bundesinnenminister schon 1963 wetterte, nachdem bekannt geworden war, dass der V. alle möglichen Leute abgehört hatte. Siehe beispielsweise auch: grundrechtsschonend. Und selbstverständlich kann der V. auch nicht jeden dahergelaufenen Bundestag darüber informieren, welche Bundestagsmitglieder dazu gerade von ihm bespitzelt werden. Oder? Offensichtlich handelt es sich bei dieser Institution entweder um eine Fehlkonstruktion, oder um eine unkorrekte Bezeichnung. Da wir an das erste einfach nicht glauben wollen – denn wer würde schon die Schützer des Rechts außerhalb desselben stellen und sie damit jeder Kontrolle entziehen –, war es hoffentlich wohl nur eine schlampige Benennung. Gemeint war sicher nicht V., sondern Inlandsgeheimdienst.