Selbstverpflichtung, freiwillige

Das ,freiwillig‘ in dieser Konstruktion können wir gleich mal streichen, das ist frei erfunden. Aus eigenem Antrieb und ohne Zwang kommt niemand auf die Idee zu so einer S., im Gegenteil. Die gehen Konzerne oder Branchenverbände nur ein, wenn sie etwas verbockt haben und Politiker drohen, sie dafür mit Gesetzen zu bestrafen. Dann bleibt die S. als letzte Möglichkeit, um beispielsweise eine Zerschlagung, gern Regulierung genannt, noch zu verhindern. Mit der Verpflichtung ist es ebenfalls nicht weit her. Denn S.-en verpflichten zu gar nichts. Oder, wie es auf politisch heißt, sie sind ,rechtlich unverbindlich‘. Wer sich nicht an die Vereinbarungen hält, dem passiert nichts. Abgesehen vielleicht von einem kleinen Imageschaden, aber der lässt sich mit einer PR-Kampagne problemlos vergessen machen. Vom ,Selbst‘ bleibt auch nicht viel. Die Bösewichte sind es zwar tatsächlich selbst, die die Auflagen einhalten sollen. Von selbst aber kommen sie bestimmt nicht darauf, etwas zu ändern, siehe oben. Zusammenfassung: Es sind leere Versprechen.

Warum aber machen Politiker das seltsame Spiel überhaupt mit? Selbstverständlich, weil sie es gut und vor allem schnell verkaufen können. Ein Gesetz kann Jahre dauern. Das kostet und birgt außerdem das Risiko, auf dem Weg zur Verabschiedung krachend zu scheitern. Eine S. hingegen lässt sich in ein paar Wochen zusammenbauen. Das, was in ihr steht, muss nicht einmal wie ein Gesetzentwurf öffentlich besprochen und demokratisch verhandelt werden. Bei der Verkündung auf der unvermeidlichen Pressekonferenz klingt sie außerdem fast genauso gut. Und da alles so schnell ging, kann der gemeine Politiker damit so richtig → Handlungsfähigkeit beweisen. Noch Fragen?

Rekapitalisierung

Um es nicht zu kompliziert zu machen, nehmen wir mal an, dass mit Kapital hier Geld gemeint ist und mit Kapitalisierung die Ausstattung mit demselben. Bleibt die Quizfrage, was dann eine R. ist? Richtig, da wird offensichtlich jemand erneut mit Geld ausgestattet, denn die lateinische Vorsilbe re- bedeutet ,wieder‘ oder ,zurück‘. Es geht also um Geld, das derjenige schon einmal besaß? Falsch. Bei der R. geht es um Banken, die aus Gier Menschen Kredite aufgeschwatzt haben, die diese irgendwann nicht mehr tilgen konnten – was ab einer gewissen Menge an unbezahlten Schulden auch die Banken in Schwierigkeiten bringt. Diese Banken bekommen nun vom Staat Geld geliehen, damit sie weiter Menschen Kredite …, damit sie wieder arbeitsfähig sind. Sie haben also Geld verspielt und bekommen nun neues zum Weiterspielen. ,Zurück‘ bekommen sie nichts. Und damit das nicht so absurd klingt, wie es ist, gibt es dieses schöne Schaumschlägerwort. Die R. ist somit ein Euphemismus für noch mehr Schulden. Siehe auch → Geld, frisches.

Neusprechfunk, der Podcast zum Blog

Lohnzurueckhaltung, Flexibilisierung

Wir versuchen etwas Neues, wir schreiben nicht nur über Neusprech, wir reden nun auch darüber. Ab sofort gibt es den Podcast zum Neusprechblog, den Neusprechfunk. Und wir haben uns dazu Unterstützung geholt: Constanze Kurz, Informatikerin, eine der Sprecherinnen des Chaos Computer Clubs und erklärte Sprach-Nerdin, wird künftig mit uns den Neusprechfunk gestalten.

Die Idee des Ganzen: Zeitung lesen und dann darüber reden.

Hier der erste Neusprechfunk, anderthalb Stunden Wortklaubereien und gute Laune (MP3 83.4 MB – das Laden dauert also eine Weile):

Nummer eins
RSS-Feed: https://neusprech.org/feed/podcast/
Sozialstaatskonservative

Es geht darin um Sozialstaatskonservative, Parteien in der Mitte, das Weltjugendlied, Synekdochen und viele andere Dinge. Anbei die Links zu den besprochenen Artikeln und Seiten.

die Macke der SPD

Spiegel: „Hang zum Hadern“
Spiegel: „Spendier-Partei Deutschlands“
Der mehrjährige Finanzrahmen (MFR), der eigentlich der Etat der EU ist, ist leider nicht online: Süddeutsche Zeitung, 9. Juni 2012, Seite 8 „Eine Billion, um Europa aus der Krise zu führen“
Süddeutsche: „Deutschland will eine neue Börsensteuer“
Süddeutsche: „Terrorabwehr an zwei Orten“
Süddeutsche: „Europa erwartet Hilferuf Spaniens“, mit der Steigerung: Refinanzierung seiner Banken, Rettung seiner Banken, Pleite der Banken. Die Pleite allerdings fehlt in der Online-Version. Der Text wurde verändert.

Online: So muss die Euro-Gruppe vor einem Beschluss klären, ob Madrid die Banken nicht aus eigener Kraft retten kann.
Print: So muss die Euro-Gruppe vor einem Beschluss klären, ob ein Konkurs der betroffenen spanischen Banken die Stabilität der Euro-Zone gefährden würde. Außerdem muss klar sein, dass Madrid die Banken nicht aus eigener Kraft retten kann.

Google NGram-Viewer zu Abwehrzentrum

Die Wortwarte für das Jahr 2012

Und als Nachtrag: Die Aufklärungskolumne im Osten hieß „Prof. Borrmann antwortet“ und erschien in der Zeitschrift „neues leben“. Recht interessanter Mann übrigens.

Die wunderbar plongelnde Musik zu Beginn ist von Erdgeist, dem wir dafür herzlich danken!

Play

schonungslos

Sich nicht zu schonen, ist ein gefährliches Konzept. Jeder braucht schließlich ab und zu Ruhe und Erholung, sonst geht er kaputt. Weshalb der Begriff auch im Sinne von kalt und unmenschlich verstanden wird. Trotzdem ist s. in der Politik beliebt. Denn es signalisiert, dass sich dort jemand mit all seiner Kraft für eine Sache einsetzt, oder das zumindest behauptet. Es sollte allerdings skeptisch machen, dass es in der politischen Alltagssprache ein ganzes Rudel Synonyme dafür gibt: bedingungslos, lückenlos, rückhaltlos, vorbehaltlos – immer geht es darum, jeden Zweifel am Gesagten zu zerstreuen. Als besonders lückenlose Form der schonungslosen politischen Handlung hat Roland Koch gar einst die brutalstmögliche Aufklärung erfunden. Und damit vor allem bewiesen, dass das sprachliche Bild längst abgenutzt ist. Denn es genügt offensichtlich nicht mehr, etwas aufzuklären, aufzudecken, offenzulegen oder zu enthüllen. Immer muss es gleich der Superlativ sein. Trauen wir Politikern nicht mehr, wenn sie etwas sagen? Trauen sie sich selbst nicht? Oder wollen sie gar etwas anderes sagen, wenn sie den Ausdruck s. benutzen? Die Befürchtung zumindest verwundert nicht. Denn wer so unterstreicht, dass er sich und andere bei der Aufdeckung von Fehlern nicht schonen will, hat unter Umständen genau das vor und möchte lediglich davon ablenken.