Gefahrenpotenzial, erhebliches

Das Adjektiv erheblich bedeutet so viel wie ‚groß’, klingt aber noch ein wenig gewichtiger. Möglicherweise ist es eine Lehnübersetzung von relevant, das sich vom französischen lever (‚heben‘) ableitet. Aber so groß auch ein Potenzial sein mag, es bleibt ein Potenzial, also eine Möglichkeit. Ein G. ist somit die Möglichkeit einer Gefahr. Wobei dem Substantiv Gefahr ebenfalls eine Möglichkeit innewohnt, denn es bezeichnet die drohende Gefahr, nicht eine bereits passierende Katastrophe. Es handelt sich also beim G. um die Möglichkeit einer Möglichkeit und die ist dann auch noch erheblich. Mit anderen Worten: Das BKA liegt immer richtig, wenn es vor so etwas warnt. Gleichzeitig kann es natürlich überall solche möglichen Möglichkeiten sehen. Oder nirgends. Siehe auch → abstrakt hoch.

Berater

Im Mittelhochdeutschen bedeutete rathen, jemanden mit etwas zu versorgen, ihm Fürsorge angedeihen zu lassen, ihn zu schützen. Bis heute hat sich dieser Sinn erhalten: Das Verb raten wird immer dann gebraucht, wenn jemand einen Rat erteilt, wenn jemand hilft, ohne etwas dafür zu verlangen. Der B. muss demnach ein recht uneigennütziger Mensch sein, der durch die Lande zieht und Menschen unterstützt, wo er nur kann. Ist er aber nicht. Denn ein B. ist entweder jemand, der für exorbitante Honorare dafür sorgt, dass Firmen mehr Gewinn machen, meistens indem sie Mitarbeiter → freisetzen. Oder jemand, der als Versicherungs-B. anderen teure Dinge aufschwatzt, die sie nicht brauchen. In beiden Fällen also ist er eigentlich ein Verkäufer.

Die Betreffenden wissen offensichtlich um das schwierige Ansehen ihres Berufes. Warum sonst sollten sie sich immer wieder mit dem Attribut „unabhängig“ schmücken? Wobei dieses Adjektiv diejenigen, die eine solche Beratung genießen, nur umso stutziger machen müsste. Denn wer erst explizit darauf hinweisen muss, dass er unabhängig ist, ist es wahrscheinlich gerade nicht. Beraten und verraten haben übrigens den gleichen Wortstamm. Aber das nur nebenbei.

überwiegend

Wenn eine Demonstration, um ein beliebtes Beispiel zu zitieren, „ü. friedlich“ war, was war sie dann? Friedlich? Oder war es nicht doch eher eine Demonstration, bei der es zu Ausschreitungen kam, mithin zu Gewalt und Festnahmen? Der Richter und Autor Franz-Benno Delonge fand in seinem Buch „Rückhaltlose Aufklärung“, ü. sei ein praktischer Ausdruck, wenn das Gegenteil von dem zutreffe, was gemeint sei. Recht hatte er. Denn das kleine Wort lässt ein geschicktes Ausweichmanöver zu: Es ist keine Lüge, allerdings verschleiert es gehörig, betont es doch einen Fakt, der für das Ereignis vielleicht gar nicht prägend war und lenkt damit vom Kern ab. Wenn politische Gespräche, um noch ein Beispiel anzuführen, das von Politikern gern verwendet wird, ü. konstruktiv verlaufen sind, kann man also getrost davon ausgehen, dass dabei auch gebrüllt wurde.

Vertrauen, vollstes

Man kann jemandem vertrauen – oder eben nicht. Zwischenstufen, etwa halbes Vertrauen, ein bisschen Vertrauen oder ziemlich viel Vertrauen sind kaum denkbar. Dass Vertrauen immer vollständig ist, kommt schon durch die Wortbildung zum Ausdruck, denn etymologisch ist vertrauen ein vollständiges trauen und zwar nach lateinischem Vorbild, wo confidere eben ein vollständiges fidere (‚(ver-) trauen, glauben‘) ist. Aber die Neigung von Politikern zur Übertreibung beziehungsweise zur Hyperbel kann sogar die Vollständigkeit noch vervollständigen. So wurde aus Vertrauen volles Vertrauen und aus vollem Vertrauen wie gerade mal wieder bei der Bundeskanzlerin vollstes Vertrauen. Mehr geht nun wirklich nicht! Gerade die Übertreibung weckt allerdings Zweifel daran, ob es überhaupt weit her ist mit dem Vertrauen – das übrigens mit dem Konzept der Treue wortgeschichtlich zusammenhängt. Jedenfalls ist mit dem Superlativ das Ende erreicht: Wenn ein Politiker sich genötigt fühlt, einem anderen vollstes V. zu schenken, kann danach nur noch der Absturz kommen. Merke: Wer den Gipfel erreicht hat, dem bleibt nur noch der Weg nach unten.

Mit Dank an Sascha L. für die Inspiration.

Stabilitätsmechanismus, Europäischer (ESM)

Offensichtlich gibt es verschiedene Stabilitätsmechanismen, warum sonst wird hier betont, dass es um den europäischen geht? Wie wohl ein asiatischer oder ein amerikanischer S. aussehen mag? Aber beschränken wir uns auf den europäischen: Meyers Großes Konversationslexikon definiert Mechanismus als „die Einrichtung einer Maschine, mittels der eine Kraft ihre Wirkung hervorbringt, also Bewegung erzeugt und fortpflanzt.“ Das passt so gar nicht zur Stabilität, die ja das Gegenteil von Bewegung ist, nämlich die Fähigkeit, still zu stehen (stabilitas von stare ‚stehen‘). Der S. ist also ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich (wie alter Knabe oder Eile mit Weile). Durch Bewegung zum Stillstand? Und was bitte hat das alles mit dem Verleihen von Geld zu tun? Schließlich ist der ESM nichts weiter, als eine Gruppe von Leuten Finanzministern, die festlegt, welchem europäischen Land wie viel Geld geliehen werden soll. Zwar steht hinter diesem Tun die Hoffnung, dass dieses Geld vielleicht die Wirtschaft des betreffenden Landes etwas stabilisiert. Doch weiß niemand, ob das auch funktioniert. Der verzweifelte Wunsch ist hier also der Ursprung der Bezeichnung. Dabei birgt der Begriff Mechanismus einen verräterischen Aspekt: mechanisch bedeutet, wie eine Maschine zu funktionieren, also ohne menschliche Intervention: Damit überrascht es kaum, dass sich der Prozess des Geldverleihens demokratischer Kontrolle entzieht: Beim S. dürfen die Bürger nichts mehr kontrollieren, alles läuft mechanisch ab.