Reserve, stille

Mit der stillen R. bezeichnen Politiker und Arbeitsmartkforscher diejenigen, die keine Arbeit haben, sich aber auch nicht arbeitslos melden – weil sie sowieso keine Unterstützung vom Staat bekommen würden oder so frustriert sind von der ewigen Arbeitssuche, dass sie aufgegeben haben. Die Bezeichnung als R. ist dabei offensichtlich eine Übernahme aus der Militärsprache. Dort meint der Begriff jene, die gerade nicht im Kriegseinsatz sind, aber jederzeit zu ihm herangezogen werden könnten. Wie von der Sprache des Militärs nicht anders zu erwarten, ist das eine Verdinglichung, eine Betrachtung von Menschen als Material. Denn R. bedeutet so viel wie ‚Vorrat‘. Dass jene, die im Sozialsystem keinen Platz finden, weil sie Hausfrau waren oder Selbständig, als sofort verfügbarer Menschenvorrat für den Arbeitsprozess angesehen werden, ist brutal. Dass sie dabei auch noch als still und somit als schweigend bezeichnet werden, ist zynisch. Schweigen die schätzungsweise drei Millionen Betroffenen doch nur deswegen, weil sie niemand fragt, beziehungsweise weil sich niemand für ihr Schicksal interessiert.

Siehe auch Mehrheit, schweigende.

Mit Dank an Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia für die Anregung.

Sicherheitsforschung

Weckt die Erwartung, dass die Ergebnisse dieser Forschung der Sicherheit dienen. Nunja. Die S. wird vornehmlich im Bereich des Militärischen betrieben und hat vor allem Waffen zum Gegenstand, beziehungsweise das Bestreben, diese besser zu machen, also tödlicher. Aber Kriegs- oder Tötungsforschung klänge nun einmal nicht so beruhigend. Selbstverständlich existiert die Überzeugung, (seltsamerweise vorwiegend bei Militärs), dass Waffen die Welt sicherer machen. Und wahrscheinlich hat aufgrund dieser Logik ein Waffenverkäufer früherer Zeiten eines seiner Revolvermodelle „Peacemaker“ also Friedensstifter genannt. Allerdings sind an der zugrunde liegenden Theorie Zweifel angebracht. Gibt es doch nicht unerhebliche Hinweise darauf, dass mehr Waffen eher zu mehr Toten führen und daher irgendwie zu weniger Sicherheit. Denn woran soll man sie messen, wenn nicht an der Zahl derer, die nicht zu Schaden kommen?

Doch auch im zivilen Bereich ist die S. wohl eher ein Euphemismus. Ja, ab und zu geht es ihr darum, Menschen aus Notlagen zu retten oder dank besserer Fluchtwege vor Gefahren zu bewahren. Meistens aber sind dann doch Pläne gemeint, die treffender mit dem Begriff Überwachung beschrieben wären. Dass Überwachung die Welt sicherer macht, ist hingegen leider ebenso falsch wie die Annahme, Waffen täten das.

Nebenbei, was machen eigentlich diese Sicherheitspolitiker, von denen immer die Rede ist? Die Politik sicherer? (Idioten-)sichere Politik?

Nachtrag:
Wer noch eine Bestätigung brauchte für die oben erwähnte Überzeugung, hier ist sie. Die Firma Heckler & Koch – die bauen zum Beispiel die sehr tödliche sichere “Granatmaschinenwaffe GMW” – versteht sich als “Teil der Sicherheitsinfrastruktur der freiheitlich-demokratischen Welt“. Was nur ein anderes Wort ist für “Waffenfabrikant mit gutem Gewissen”.

Mit Dank an @metronaut für die Sicherheitsinfrastrukturmeldung.

Gewinnwarnung

Da wird nicht etwa gewarnt, dass gleich ganz viel Geröll Gewinn auf die Aktienbesitzer niederprasselt. Die G. soll vielmehr ausdrücken, dass ein Unternehmen weniger Gewinn oder unter Umständen sogar mehr Verlust gemacht hat, als den Aktionären ursprünglich angekündigt worden war – eigentlich also eine Gewinnkorrektur. Mindestens. Beziehungsweise Börsendeutsch für das alltägliche: „Tschuldigung, wir haben uns geirrt und Euch zu viel versprochen.“ Was natürlich nicht so positiv klingt, beziehungsweise nicht so hübsch verbrämt ist. Wäre übrigens 2001 fast mal Unwort des Jahres geworden. Was die Firmen nicht daran hindert, ihre Aktionäre nach wie vor mit Hilfe dieses Begriffes zu belügen.

Flat Tax

Früher hieß es Pauschalpreis, heute Flat Rate. Wie auch immer, die Idee ist dieselbe: einen festgelegten Betrag bezahlen und dafür so viel essen, trinken oder telefonieren, wie man will. Das lohnt sich, weil nicht alle Vielfraße, Säufer oder Schwadronierer sind. Im Durchschnitt macht der Anbieter Gewinn und der Käufer glaubt trotzdem noch, dass er ein Schnäppchen gemacht hat. Bei der Flat Tax ist es andersherum: Alle Steuergeschenke werden abgeschafft, dafür sinkt der Höchstsatz der Steuer. Er ist somit nicht mehr abhängig von Ausnahmen oder dem Einfallsreichtum eines Steuerberaters, sondern er wird eben oder flach, daher „flat“. Das wäre natürlich ganz toll, weil es dann die ganzen Steuersparberater, Finanzbeamte und Anwälte nicht mehr bräuchte. Jeder könnte seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen.

Aber ganz so prima, wie der hübsche Begriff F. suggeriert, ist das Ganze dann doch nicht. Denn es profitieren unter Umständen wieder einmal nur die, die sowieso schon viel haben. Abgeschafft werden Dinge, die auch ein Normalverdiener nutzen kann, um Steuern zu sparen, die Werbungskostenpauschale beispielsweise. Gesenkt aber wird nur das, was Spitzenverdienern Reichen nützt, je reicher, desto mehr. Ein Parfümerie-Fachverkäufer beispielsweise kommt auch mit einer F. nie in die Nähe des Spitzensteuersatzes. Die „Minderzahler“ also zahlen drauf.

Dass die Idee auch gern mit Einheitssteuer übersetzt wird, macht es nicht besser. Wir Deutschen finden Einheit gut, wir mögen es, wenn alle gleich behandelt werden, das hält unseren Neid im Zaum. Aber von Gleichbehandlung sollte besser keine Rede sein. Denn würden alle gleich behandelt, würde also für alle der gleiche Steuersatz gelten, wären wieder die Armen arm dran und würden im Verhältnis zu ihrer Habe mehr zahlen.

Soll es halbwegs gerecht zugehen, muss gleichzeitig auch der Eingangssteuersatz steigen, oder aber eine entsprechend hohe Summe steuerfrei bleiben. Dann und nur dann kann die F. für alle funktionieren, daher jene stärker belasten, die mehr haben. Flat, beziehungsweise einheitlich aber ist das Ganze dann natürlich nicht mehr, sondern sogar ziemlich krumm. Der Name also kann getrost als Irreführung gelten. Wozu es die braucht? Nun, vielleicht um die Neugier nach der genauen Höhe des Freibetrages zu bremsen.

innehalten

Angesichts dramatischer Ereignisse äußern Politiker gerne den Wunsch, sie irgendwer die Welt möge i. Sie möge also ‚pausieren‘, denn nichts anderes bedeutet das Wort. Immerhin, so die Begründung, könne man nach einer Katastrophe nicht einfach „zur Tagesordnung übergehen“. Könnte man schon, es schickt sich aber nicht. Wirkte es doch, als nähme man der betreffende Politiker das Ereignis nicht ernst genug. Da Handeln meist mühsam und teuer ist, wird alternativ kurz innegehalten. Das wirkt wohlerzogen, ein wenig Besinnung schließlich hat jeder gern, vor allem zu Weihnachten. Dabei drückt beispielsweise eine Bundeskanzlerin vor allem eines aus, wenn sie versucht, der Zeit der Strahlung der Debatte Einhalt zu gebieten: dass sie alles lieber täte, als zu handeln, beziehungsweise etwas zu ändern. Viel einfacher ist es, sich kurz zu besinnen, der Opfer zu gedenken und dann weiter zu machen wie bisher.