Sondervermögen

Der Staat muss Buch führen über das Geld, das er von seinen Bürgern einnimmt und das er ausgibt. So fordert es das Grundgesetz. Diese Buchführung muss alle Einnahmen und alle Ausgaben enthalten, sie muss also vollständig sein. Sie muss außerdem einheitlich sein, es darf keine zwei, drei oder mehr Haushalte geben, immer nur einen. Denn nur so ist es möglich, zu kontrollieren, was der Staat mit dem Geld seiner Bürger und Bürgerinnen tut. Sogenannte Schattenhaushalte sind verboten. Aber. Diese Regeln des Grundgesetzes enthalten wie so oft eine Lücke. Unter bestimmten Bedingungen darf der Staat sich dann doch noch eine Sonderkasse einrichten, die nicht im Haushalt auftaucht: Wenn es per Gesetz beschlossen wurde, wenn dieser Schattenhaushalt nur dazu da ist, eine einzelne und begrenzte Aufgabe zu erfüllen, und wenn das alles rechtlich sauber begründet wurde. Trotzdem klingt der Schattenhaushalt natürlich irgendwie negativ und nach dunklen Ecken oder gar schwarzen Kassen. Das macht keinen guten Eindruck. Daher wird offiziell lieber von Nebenhaushalt gesprochen, beziehungsweise am liebsten von S. Dabei ist das gar kein Vermögen, also kein angespartes Guthaben, das hier ausgegeben wird. Denn da das Geld eben nicht aus dem Haushalt stammt, werden S. durch Kredite finanziert, also durch Schulden. Damit sind es eigentlich Sonderschulden, abseits von denen, die der Staat sowieso schon hat. Ein Euphemismus also. Immerhin unterliegen solche Sonderschulden inzwischen wenigstens der → Schuldenbremse. Diese S. sind beliebt, es gibt sie immer wieder und sie werden sprachlich auch gern noch weiter verbrämt. Beispielsweise als → Rettungsschirm.

Vielen Dank an Justin S. für die Idee.

Fortschrittskoalition

In der Politik bezeichnen sich linke Gruppierungen gern als progressiv. Sie glauben daran, dass sich die Gesellschaft ständig fortentwickelt, dass sie auf dem Weg ist zu einer gerechteren, schrankenloseren Gesellschaft mit weniger sozialen Unterschieden. Progressive verstehen sich als Avantgarde dieser Fortentwicklung. Fortschritt kann natürlich auch als technischer Fortschritt verstanden werden, nämlich im Sinne von Innovation. Gerade die FDP möchte daran glauben, dass sich die Klimakatastrophe am besten durch Innovation abwenden lässt. Da lag es offenbar nahe, das mehrdeutige Wort Fortschritt als gemeinsamen Nenner auf den Koalitionsvertrag zu schreiben: „Mehr Fortschritt wagen“. Wobei das mehr hier ein Pleonasmus ist, denn „Fortschritt wagen“ ist gleichbedeutend mit „Mehr Fortschritt wagen“, weil in Fort- schon ein „mehr, weiter“ enthalten ist. Mit „Nachhaltigkeit“ im Untertitel war das dann auch für die Grünen akzeptabel und die F. war geboren. Außerdem klingt es flotter als „Ampelkoalition“. Ob die verschiedenen Bedeutungen von Fortschritt jedoch miteinander kompatibel sind, ist fraglich: Der Fortschrittsgedanke der FDP basiert auf wirtschaftlichem Wachstum, während Grüne in stetigem Wachstum eine Gefahr für die Gesellschaft sehen. Der von der SPD anvisierte gesellschaftliche Fortschritt dürfte wiederum nicht zur Postwachstumsgesellschaft passen, da Ressourcenverknappung und Zwang zu Verzicht eher geeignet sind, gesellschaftliche Konflikte zu verschärfen als auszugleichen. Die Gesellschaftsentwürfe der progressiven Sozialdemokraten dürften damit aber auch für die FDP kaum akzeptabel sein. Wenn also alle Beteiligten ihren eigenen Fortschrittsideen Rechnung tragen, werden sie gemeinsam kaum vorankommen. So erweist sich die F. eigentlich als ihr Gegenteil oder doch zumindest als Mogelpackung.

Freiheitsenergie

Wind, Sonne und Wasser werden in der politischen Sprache seit den neunziger Jahren als erneuerbare Energiequellen oder erneuerbare Energie bezeichnet und vor allem die Partei Die Grünen fordert seitdem ihre verstärkte Nutzung. 30 Jahre später hat endlich auch die FDP erkannt, wie sinnvoll es sein kann, auf fossile Energieträger zu verzichten. Nur so nennen wollen die freien Demokratinnen und Demokraten das nicht. Daher bezeichnet die FDP erneuerbare Energie lieber als F. Deutschland werde durch sie unabhängiger von Energieimporten aus dem Ausland und gewinne so mehr Freiheit, begründete FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag die Wortneuschöpfung. Doch die Argumentation ist schief und wohl nur ein sprachliches Ablenkungsmanöver. Denn unter Deutschland liegt haufenweise Kohle, auch damit lässt sich – unabhängig von anderen Staaten – Energie erzeugen, was ja auch weiter geschieht. Kohlestrom wäre nach Lindners Definition ebenfalls eine F. Entweder will die FDP also den grünen Politikgegnern und -gegnerinnen nicht den Erfolg gönnen, diese Idee schon immer verfochten zu haben. Oder sie müssen diese bislang vor allem den Grünen zugeschriebene Energiepolitik umbenennen und mit dem von ihnen besetzten Begriff der Freiheit bezeichnen, um sie der eigenen Gefolgschaft verkaufen zu können. Sprachlich ist diese politische Metapher der FDP dabei nicht sonderlich gut gelungen. Das Erstglied eines Kompositums ist gegenüber einem selbstständigen Wort immer bedeutungsärmer. Die F. also verliert klar gegen die Freiheit. Auch ist der Bezug zwischen dem ersten und dem zweiten Kompositionsglied nicht definiert. Diese Energie mache frei, will die FDP verstanden wissen, aber es könnte auch um freie Energie gehen. Oder um Energie, die aus Freiheit gewonnen und bei der also Freiheit verheizt wird. Wir wollen es aber nicht hoffen.

Härte des Rechtsstaats, volle

Im Gegensatz zum Polizeistaat schränkt der Rechtsstaat die Polizeigewalt ein. Die Bürgerinnen und Bürger sind in ihm gegen staatliche Übergriffe geschützt und genießen zahlreiche Rechte, darunter das Demonstrationsrecht. Die H. des Rechtsstaats besteht also darin, dass sich der Staat und seine Organe an Recht und Gesetz halten. Wenn jetzt H. gegenüber Menschen gefordert wird, die für mehr Klimaschutz demonstrieren, bedeutet das demnach eigentlich, dass die Polizei das Demonstrationsrecht derjenigen durchsetzt, die mehr Klimaschutz fordern. Leider ist das Gegenteil der Fall. Demonstranten und Demonstrantinnen werden beispielsweise mal eben verfassungswidrig in → Präventivhaft genommen, noch bevor sie überhaupt demonstrieren konnten. An Gesetzen, die so etwas erlauben, zeigt sich daher vielmehr die Schwäche eines Rechtsstaats und nicht seine Stärke. Daher haben solche Gesetze vor Verfassungsgerichten auch einen eher schweren Stand, wenn sie denn überprüft werden. Entlarvt wird diese angebliche H. auch sprachlich: durch die gern verwendeten attributiven Adjektive ganz und voll oder durch den All-Quantor mit aller H. Denn natürlich gibt es keine halbe H. Es handelt sich hier lediglich um eine hyperbolische und somit überflüssige (pleonastische) Verstärkung, denn eine halbe oder auch eine dreiviertel H. wäre ja schon eine Schwäche. 

Danke an Max für den Vorschlag!

Rückbau

Unsere Sprache kennt für viele Dinge kraftvolle und eindeutige Ausdrücke. Bei einem Abriss, um ein nicht ganz zufällig gewähltes Beispiel zu nennen, weiß wahrscheinlich jeder sofort, was gemeint ist. In manchen Zusammenhängen sind solche Ausdrücke aber offenbar nicht von allen Beteiligten gewünscht. Beispielsweise bei Atomkraftwerken. Abriss klingt den betreibenden Unternehmen wahrscheinlich zu staubig und zu hastig, weswegen sie angesichts der durchaus heiklen Aufgabe lieber vom R. sprechen und schreiben. Ist es doch ein viele Jahre dauernder und aufwändiger Prozess, ähnlich einem Aufbau und soll daher auch so klingen. Bauen wird positiv verstanden, da dabei etwas geschaffen wird. Ein R. nutzt diese Konnotation, um planmäßiger, geordneter und weniger brachial zu wirken. Gleichzeitig legt der Begriff nahe, dass das Bauwerk, das abgerissen wird, nur provisorisch dort gestanden habe und nun endlich zum Ursprungszustand zurückgekehrt werde. Technisch mag das stimmen, inhaltlich bleibt es aber ein Abriss, denn auch beim R. wird das Bauwerk letztlich beseitigt. Dass der R. ein politischer Begriff ist, zeigt sich gerade deutlich an dem kleinen Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen. Das soll abgerissen, Verzeihung, rückgebaut werden, wie das Energieunternehmen RWE schreibt, damit riesige Bagger die Kohle unter dem Ort aus der Erde holen können, um sie anschließend zu verbrennen. Dagegen gibt es aus vielen guten Gründen Proteste, weswegen RWE diesen Zusammenhang in bestes Neusprech verpackt und schreibt: Lützerath solle „anschließend bergbaulich in Anspruch genommen“ werden. Das Inanspruchnehmen ist dabei allerdings so gründlich, dass nicht nur das Dorf selbst abgerissen wird, sondern viele Meter Erde unter ihm mitverschwinden werden. Hier von einem R. zu sprechen und damit zu suggerieren, dabei werde ein ursprünglicher Zustand wiederhergestellt, ist eine Frechheit.

Mit Dank an Sabine S. für den Hinweis.