Der FDP-Politiker Christian Lindner wünscht sich, dass im Grundgesetz „eine B. als Leitplanke“ installiert wird. Eine verräterische Metaphernhäufung. Leitplanken finden in der Politik immer dann Verwendung, wenn der Ausdruck Grenze vermieden werden soll. Sie klingen positiver und nicht so bockig wie ein „nein, das machen wir nicht mit“. Doch wichtiger ist hier noch die B. Gemeint ist von der FDP ein System, das eine metaphorische Belastung begrenzen soll, nicht etwa eine physische Last. Doch die Analogie ist gewollt. Wie bei der → Steuerentlastung geht es auch bei der B. um Steuern. Eine Steuererhöhung (von der FDP allein als Belastung verstanden), soll möglichst gering ausfallen (gebremst werden). Entstanden ist das Wortungetüm wahrscheinlich in Analogie zur → Schuldenbremse: Neue Schulden sind gar nicht so schlimm, wenn deren Höhe irgendwie kontrolliert wird, oder es wenigstens danach klingt. Nun wird auch klar, warum Lindner zu so blumigen Ausdrücken greift. Sie sollen verbergen, dass die FDP damit von ihrer ständigen Forderung nach Steuersenkungen abgerückt ist und nun sogar für Steuererhöhungen eintritt – solange diese moderat ausfallen, also metaphorisch gesprochen gebremst werden, nötigenfalls durch Leitplanken. Bei welcher prozentualen Erhöhung diese Planken stehen, lässt der Ausdruck praktischerweise offen.
Mit Dank an Hans H.
“Bei welcher prozentualen Erhöhung diese Planken stehen, lässt der Ausdruck praktischerweise offen.” – auf jeden Fall nicht mehr, als die FDP gerade in den Umfragen erhält.
Was? Nein. So eine “Belastungsgrenze” wäre neoliberal pur und liefe mittelfristig auf massive Kürzungen hinaus. Das wäre das Ende von Politik, wenn nur noch entschieden werden könnte, *wo* gekürzt wird.
Genau wie die Schuldenbremse, hätte auch eine solche “Belastungsbremse” im Grundgesetz nichts zu suchen. Wenn die FDP eine solche Pfuscherei am Grundgesetz erreichen könnte, und dafür ein klitzekleines bißchen die Spitzensteuersätze erhöht werden, hätte ihre Klientel aber ein Schnäppchen gemacht!
Christian Lindner oder welchem Stichwortgeber auch immer ist da wirklich ein bemerkenswertes sprachpolitisches Meisterstück gelungen. Kurzfristig erhöht der Begriff “Belastungsbremse” die steuerpolitische Flexibilität der FDP. Das ist ganz richtig erkannt. Aber langfristig könnte seine häufige Erwähnung neoliberale Argumentationen noch stärker in den Köpfen zementieren. “Belastungsbremse” ist alles andere als ein neutrales Wort, sachlich angebracht wäre der altbekannte “Spitzensteuersatz”. Die Wortneuschöpfung hat mehrere Effekte:
1. B. ist ein Euphemismus. Man stelle sich einmal die Reaktionen vor, wenn Lindner gefordert hätte, den Spitzensteuersatz im Grundgesetz festzuschreiben! Und doch hat er inhaltlich nichts anderes gesagt.
2. Die B. gesellt sich einträchtig zur “Schuldenbremse”. Bremsen muss man, wenn die Geschwindigkeit unkontrollierbar wird. So wird also durch eine geschickte Metapher ein Katastrophenszenario entwickelt – die Steuern steigen unkontrolliert – das der Wirklichkeit in keiner Weise entspricht. Das Wort emotionalisert also.
3. Die “Steuerbremse” hätte als Wortbildung näher gelegen. Aber der Austausch von “Steuer” durch “Belastung” inszeniert einen Rahmen, in dem Steuern eben erst einmal als Belastungen wahrgenommen werden, nicht als Einnahmequelle für staatliche Aufgaben, die dem Gemeinwohl nützlich sind.
Witzig ist auch, dass die Einführung einer B. nur die Hochsteuerzahler entlasten würden, während der größere Teil der Bürger durch zusätzliche Abgaben oder überhaupt durch den Wegfall staatlicher Leistungen zusätzlich belastet würde.
Noch einmal Chapeau an Herrn Lindner. Ich bin überzeugt, dass hinter dieser Begriffsneuschöpfung ein professionell ausgearbeitetes Kommunikationskonzept steht. Lindner war mal ein PR-Fachmann und ist es heute immer noch.
Grüße,
Jürgen
Nichts gegen eine Belastungsgrenze. Das Bundesverfassungsgericht hat ja zumindest Richtlinien dafür gesetzt. Diese Richtlinien will Lindner m. W. in das Grungesetz aufnehmen. Dafür müssten nirgendwo Leistungen und Ausgaben des Staates gekürzt werden, denn diese Regeln gelten de facto schon.
Aber dann muss es auch eine Entlastungsbremse geben.
Es kann doch nicht zur Normalität werden, dass Mittelständler ihre Steuern bis zur Belastungsgrenze zahlen, während große Konzerne durch (legale) Steuertricks die Steuern auf den Unternehmensgewinn in der EU auf (fast) Null drücken. Denen reichen die niedrigen Steuersätze in Irland nicht – nein, sie bauen noch waghalsige Konstrukte in ehemaligen Kolonien oder anderen Steueroasen auf, bis die Steuerlast lächerlich gering geworden ist.
Wenn es jemals so etwas wie einen Fiskalpakt gibt, muss dort drinstehen, dass man EU-weit nirgendwo ein Konstrukt errichten kann, dass die Steuer auf Gewinne nahezu völlig vermeidet. Denn das schadet uns letztlich am meisten und es wird dazu führen, dass wir immer höher belastet werden. Wer hier in Europa lukrative Geschäfte macht, sollte wenigstens einen Teil des Gewinns auch ehrlich versteuern.
Mal abgesehen von den inhaltlichen Implikationen dieser Wortkreation:
1.) Bei Belastung, also Last, denke ich in erster Linie an die vertikale Dimension, bei Bremse hingegen an eine horizontale.
2.) Insofern sich eine Last auf die eine horizontale Bewegung auswirkt, bremst sie diese ohnehin schon. Eine “Belastungsbremse” bremst also die bremsdienliche Last.
Minus mal Minus ergibt also immerhin Plus. Aber wieso einfach (“Fixer Spitzensteuersatz”), wenn’s auch uneinfach geht.
@Mager: Der Statiker kennt nicht nur vertikale Belastungen (z. B. Eigenlast, Schneelast), sondern auch horizontale Belastungen (z. B. Windlast). Außerdem gibt es dynamische Belastungen …
Christian Lindner will mit seiner »Belastungsbremse« nicht die Belastung bremsen, sondern eine Erhöhung der Belastung abwenden. Mit seinem Lieblingswort »Leitplanke« will er eine Richtung vorgeben. Beides passt eigentlich nicht in einen Satz.